8.10.2022 Konzertsaal des Kulturpalastes Dresden
Marek Janowski setzt die Ring-Aufführung der DD-Philharmonie fort
Von den Segmenten des „Ring des Nibelungen“ hat „Siegfried“ die komplexeste Entstehungsgeschichte. Als der 30-Jährige Richard Wagner im Jahre 1843 beim Kuraufenthalt in Teplitz erste Berührungen mit Jacob Grimms „Deutsche Mythologie“ hatte, faszinierte ihn bereits neben Wotan und den Walküren die Person Siegfrieds.
Die aus Meißen stammende Dichterin und spätere Frauenrechtlerin Luise Otto-Peters (1819-1895) entwickelte 1844 erste Ideen für eine große heroische Oper über die Nibelungensage und trug den Entwurf auch dem, von ihr verehrten Hofkapellmeister zur Vertonung an. Der selbstbewusste Wagner lehnte ab und meinte, wenn er den Stoff aufgreifen werde, wird er selbst dichten.
Er begann auch in den Folgejahren, sich ernsthaft mit den mittelalterlichen Dichtungen zu beschäftigen und hatte 1848 Prosaentwürfe und eine Dichtung „Siegfrieds Tod“ sowie ein Ring-Konzept auf dem Papier. Das war noch in Dresden, so dass wir in Sachsen in den Naturschilderungen eher die Elbe statt des Rheins zu erkennen glauben.
Im Züricher Exil entstanden bis 1851 eine Prosa-Skizze und die Urschrift „Der junge Siegfried“.
Im Zusammenhang mit der Walküre-Dichtung kam es dann im Folgejahr zum Entschluss, „Siegfrieds Tod“ den „Jungen Siegfried“ voran zu stellen.
Es entstanden bis zum Dezember 1856 die Kompositionen des „Rheingoldes“ und „Die Walküre“.
Der Kopfeintrag der Siegfried-Orchesterskizze trägt das Datum 22. September 1856 und der Partitur-Reinschrift den 12. Mai 1857.
Aus uns bekannten Gründen unterbrach Richard Wagner im Juni 1857 mitten im zweiten Akt die Arbeit am „Siegfried“ und konzentrierte sich auf den Text und in der Folge auf die Fertigstellung von „Tristan und Isolde“.
Eine 1845 in Marienbad geschaffene Skizze wurde im Anschluss zu den „Meistersingern von Nürnberg“ zwischen geschaltet.
Erst vom Ende September 1864 gibt es einen Eintrag über die Weiterführung in der „Siegfried-Partitur-Reinschrift“ sowie am Ende des Jahres 1865 die Vollendung des zweiten Aufzugs.
Diesem Zwischenabschluss folgte eine weitere Unterbrechung der Arbeit am „Siegfried“ bis zum März 1869, der in Hinsicht auf bestimmte Stilelemente im dritten Aufzug besondere Bedeutung zugemessen wird.
Die Arbeit am dritten Aufzug war offenbar 1869 abgeschlossen. Die Vollendung des „Siegfried“ wurde aber offenbar gegenüber dem König Ludwig II. bis 1871 unter Verschluss gehalten, um den Befehl bezüglich einer vorzeitigen Aufführung analog des „Rheingolds“ und der „Walküre“ auszuschließen. Denn bereits am 2. Oktober 1869 begannen die Arbeiten an der Götterdämmerung.
Den Abschluss des „Siegfrieds“ hat Wagner noch am 27. März 1872 verleugnet.
Wenn es bei den Musikern der Dresdner Philharmonie bei den Aufführungen des „Rheingoldes „ und der „Walküre“ noch Reste von Nervosität und, ob der Größe der Aufgabe, noch mangelndes Selbstbewusstsein gegeben haben sollte, so waren diese bei der konzertanten Aufführung des „Siegfried“ überwunden. Das Orchester hatte weitere Statur gewonnen und steigerte sich zum dritten Aufzug.
Guten Rhetorikern gleich, konnten Marek Janowski und das ihm verschmelzende, blind vertrauende Orchester differenzierende Stimmungen erzeugen. Ohne Verständnisprobleme wechselte J anowski von der Darstellung von Missgunst, Mord, Allmachtsgehabe, Ernüchterung und Resignation zu „leuchtender Liebe, lachendem Tod“.
Dabei konnte der Dirigent der Partitur immer wieder Feinheiten und neue Aspekte entlocken, so, als habe er Wagners letzte Geheimnisse verstanden. Im dritten Aufzug waren insbesondere von den Streichern scheinbare Nichtigkeiten zu hören, die uns eine Darbietung aus dem Graben zwangsläufig vorenthalten muss. Trotz seines flotten Tempos unterschlug uns Janowski keines der Details.
Die, ob der Komponier-Pause doch etwas anders geartete Musikalität des zweifelsfrei schönsten, des dritten Aufzugs konnte Janowski mit guter Wirkung kompensieren.
Die Anordnung des Orchesters hinter den Singenden, nur Fafner und der Waldvogel durften sich vom ersten Seitenrang artikulieren, ermöglichte, das der Gesang von der Orchesterwucht in das Publikum regelrecht getragen wurde.
Vincent Wolfsteiner verwöhnte die Titelpartie mit einer durchsetzungsfähigen Höhe, ausnehmend schöner Mittellage und in der Tiefe, ohne uns den metallischen Anklang seiner Stimme vorzuenthalten. Souverän ging er in den schnellen Passagen der ersten Aufzüge Janowskis Tempo mit, ohne seine Textverständlichkeit zu vernachlässigen.
Die Brünnhilde, uns von Wagner bis zum dritten Aufzug leider entzogen, war von Catherine Forster mit sichtbarer Freude und Souveränität gesungen worden. Mit Durchschlagskraft ließ sie ihre dunkelgoldene Stimme zur Gestaltung einer selbstbewussten Frau entfalten.
Einen überzeugenden Wanderer-Wotan mit trocken-markantem Schmelz in seiner warmen Stimme und einer glänzenden Textverständlichkeit offerierte uns der lettische Bariton Egils Silins. Ohne Schnörkel, geradlinig blieb er selbst in der Niederlage überzeugend.
Ihm partnerschaftlich erfreute auch die Erda. Mit schöner Stimme und souveräner Stimmführung glänzte Wiebke Lehmkuhl mit ihrem eindringlichen Rollenportrait.
Der Zwerg Mime von Jörg Schneider war der üble Kerl, dem auch übel mitgespielt wird. Mit näselnder, zänkischer Stimme spielt er seine Hinterlist auf das glaubwürdigste.
Ein ausdifferenziertes Portrait des Alberich konnte Jochen Schmeckenbecher mit seiner Kraft, Bosheit und Machtgier, dabei nicht ohne Ängstlichkeit einschließlich auch einer gewissen Menschlichkeit, abbilden.
Auch Rúni Brattaberg wusste seinen prachtvollen Bass als Fafner von der rechten Ecke der Chorempore aus, in Stellung zu bringen.
Mit einer jungen, flutenden, biegsamen Sopranstimme erfreute vom rechten Seitenrang mit Christina Landshammer ein bezaubernder Waldvogel.
Zu einem Höhepunkt des Abends gestaltete die Solo-Hornistin der Dresdner Philharmonie Sarah Ennouhi mit ihrer Interpretation von Siegfrieds Hornruf.
Fazit dieses vorletzten Abends des „konzertanten Dresdner Ringes“: dieses Format ist eigentlich im Zeitalter des überbordeten Regietheaters die authentische Möglichkeit, Richard Wagners Intensionen einem aufgeschlossenem Publikum nahe zu bringen.
Begeisterter, lang anhaltende Bravorufe und stehende Ovationen machten den Abend zu einem Erfolg für die beteiligten.
Nachtrag: Intensive Marketingarbeit der vergangenen Woche unter der Dresdner Studentenschaft hatte mit einem 15-Euro-Ticket die gröbsten Lücken im Publikum gefüllt. Leider dünnte sich das nach der ersten Pause wieder aus. Wenn aber nur eine Handvoll der Konzertaspiranten Geschmack an der Hochkultur fänden, wäre schon ein Erfolg akzeptabel.
Thomas Thielemann
© Oliver Killig
Thomas Thielemann, 11.10.22