Der als Gastdirigent weltweit bewährte, aus dem Baskenland stammende Juanjo Mena, war am 26. November 2022 in den Dresdner Kulturpalast gekommen, um gemeinsam mit der Philharmonie die Vielfältigkeit seines Repertoires zu demonstrieren.
Als Beginn des Konzertes dirigierte Mena von Joseph Haydn (1732-1809) die Symphonie Nr. 85 B-Dur aus der um 1785 entstandenen Pariser Konzertreihe. Der Beiname „La Reine“ (die Königin) bezieht sich auf Marie-Antoinette, die Mäzenin der Konzertreihe war und die Nr. 85 aus der Reihe der Haydn-Symphonien Nr. 82 bis 87 besonders geschätzt habe. Eine Besonderheit für uns späte Musikfreunde erhält diese Symphonie, dass die formale Struktur Ecksätze von Haydn durch besonders farbige und anmutige Mittelsätze ausgeglichen worden sind. Hier war Haydn aus seinem höfischen Gestus herausgetreten und hatte die technischen Anforderungen den Möglichkeiten des qualifizierteren Pariser Orchesters angepasst.
Mit seinem schwungvollen Dirigat betonte Mena den spitzfindigen Humor Haydns, lotete die Gegensätze zwischen den thematischen Passagen und der freieren Gestaltung der subtilen Behandlung der Ableitungen prachtvoll aus. Luftig ließ er das Orchester das Allegretto spielen und betonte mit dem Menuetto die humorvollen Aspekte der Komposition. Haydns Spiel mit Grenzen und Traditionellen, sein gelegentlicher Hang zum Absurden war insbesondere mit dem Trio deutlich erkennbar.
Für die Gesangspartien des Konzertes war die britische Opern- und Konzertsängerin Sally Matthews nach Dresden gekommen. Zunächst sang sie, begleitet vom Orchester der Philharmonie von Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791) die Konzertarie „Ah, se in ciel benigne stelle“ und die Arie der Gräfin Almaviva aus dem dritten Akt des „Figaros Hochzeit“. Die hochvirtuose Konzertarie mit ihren endlosen Läufen und üppigen Koloraturen, deren Text dem Librettisten Pietro Metastasio (1698-1782) zugeschrieben wird, brachten Sally Matthews an die Grenzen ihrer stimmlichen Möglichkeiten. Trotzdem gefielen ihre fulminanten Höhen. Wie selbstverständlich behielt ihre Stimme bei den blitzenden Spitzentönen Substanz und gut eingefasste Rundungen.
Die, einer der musikalischen Höhepunkte guter Figaro-Aufführungen, wurde mit deutlich ruhigen Tönen und lebhaften Farben gestaltet. Ihre Gestaltung der Stimmungsumschwünge zwischen verzweifelter Dramatik und hingebungsvoller Lyrik lassen erahnen, welche Möglichkeiten Frau Matthews auf der Opernbühne zu entwickeln vermag. Erstaunlich sicher gelingt es Juanjo Mena die orchestrale Gewalt im Zaum zu halten und der Sängerin ausreichend Platz zu bieten.
Die vierte Symphonie G-Dur mit Sopransolo ist Gustav Mahlers (1860-1911) letzte der „Wunderhorn-Symphonien“. Ursprünglich hatte der Komponist eine Symphonische Humoreske mit sechs Sätzen konzipiert, von denen drei aus Wunderhorn-Liedern bestehen sollten. Letztlich hat er während der Sommerurlaubsaufenthalte der Jahre 1899 und 1900 im Kärntner Maiernigg drei Sätze komponiert und zum Finalsatz das bereits 1892 vertonte Bayrische Volkslied „Das himmlische Leben“ aus der Liedersammlung der Schwager-Freunde Achim von Arnim (1778-1831) sowie Clemens Brentano (1778-1842) „Des Knaben Wunderhorn“ komplettiert.
Schon im eröffnenden Allegro bestach das transparente Klangbild. Mahlers Überschreibung des ersten Satzes „Bedächtig, nicht eilen“ nahm Mena ziemlich wörtlich, erreichte warm, wohlig eine scheinbare Idylle. Mit dem zweiten Satz zerstörte der Dirigent die Idylle nur bedingt. Der gewohnt schaurig- schöne Totentanz mit der bedrohlich schaurigen Musik und das grausig-groteskes Violinsolo blieben harmlos. Selbst die hämisch wirkenden Bläsereinwürfe führten kaum zur Unruhe. Die Detailversessenheit des Dirigenten vermittelte zwar eine deutliche Transparenz der kompositorischen Struktur des Mahler-Werkes, ermöglichten uns aber gemütlich zuzuhören. Helle Klänge der Violinen und Holzbläser ließen eine massive Spannung am Beginn des dritten Satzes erwarten. Mena löste den Spannungsbogen im Verlaufe des Adagios filigran auf, ließ sich Zeit für helle, lichte überschwängliche Visionen und bot ein ruhevolles elegisches Zuhören. Ziel und Höhepunkt der Interpretation war der vierte Satz „sehr behaglich“ Mit ausgewogener Klangfülle und schlank geführtem Sopran gestaltete Sally Matthews die kindhaft-bäuerliche Beschreibung des Paradieses. Mit stilistischer Sicherheit traf sie den Ton der kindlichen Naivität, den Ausdruck kindlichen Staunens. Sie hätte die Fragen der ersten drei Sätze, dass die himmlischen Freuden vor allem ein Versprechen sind, auflösen können, wenn es diese Rätsel gegeben hätte.
Der im Grundton fröhlichen Symphonie verlieh Juanjo Mena wenige Kanten, verzichtete auf zu scharfe Kontraste. Über alle vier Sätze hatte sich ein wenig markanter, kaum dramaturgisch gesetzter Bogen gespannt. Zumindest waren aber Details der Mahler-Komposition zu entdecken, die ansonsten im Interpretationstrubel untergehen.
Die Philharmonie erwies sich als Meister einer Leichtigkeit die von den Holzbläsern und akkurat, flexibel spielenden Streichern zur Klangsinnlichkeit entwickelt worden waren. Ist es die Stimmung der Zeit, dass die fast schwunglose Mahler-Interpretation Juanjo Menas vom zu zweidritteln besetzten Auditorium trotzdem gefeiert wurde?
Thomas Thielemann, 28.112022
Kulturpalast
27.11.2022
Joseph Haydn: Symphonie Nr. 85 B-Dur
Mozart: Konzertarie „Ah, se in ciel benigne stelle“ (Figaros Hochzeit)
Gustav Mahler: vierte Symphonie G-Dur mit Sopransolo
Sally Matthews
Dirigat: Juanjo Mena
Dresdener Philharmonie