Vorstellung am 20. November 2019
Die Macht der Manipulation der Massen…
Giacomo Meyerbeer war der Doyen der Oper in Paris Mitte des 19. Jahrhunderts und der prägende Komponist der Grand Opéra, die Richard Wagner so verachtete als oberflächliches Unterhaltungsprogramm. Dabei hatte ihm Meyerbeer durch eine persönliche Intervention beim Königlichen Hofopernintendanten in Dresden dort zur UA des „Rienzi“ 1842 verholfen. Es wurde Wagners erster großer Erfolg, auch weil der „Rienzi“ der damals beliebten Grand Opéra sehr nahe kam und dem Publikum somit gefiel.
Wagner wollte aber etwas ganz Anderes. Das Ende kennen wir ja: „Tristan und Isolde“, „Ring des Nibelungen“, sowie „Parsifal“, alles Werke mit großen Herausforderungen an das Publikum, bis heute. Dass Meyerbeer mit seiner Grand Opéra durchaus nicht nur gefällig war und Wagner damit also nicht ganz Recht hatte, wird mit dem „Prophète“, den er 1849 nach einem Libretto von Eugène Scribe und Émile Deschamps komponierte und der noch im selben Jahr an der Pariser Oper seine UA erlebte, sehr deutlich. Hier geht es um die Manipulation der Massen mit einer von Gott abgeleiteten Pseudo-Autorität, die im Rahmen der Geschichte der sozialrevolutionären Wiedertäufer im 16. Jahrhundert in Holland sowie in und um die Stadt Münster, genauer von 1533–1535 spielt. Die Wiedertäufer krönten Jan van der Leyden zum König und zogen damit den Widerstand des Establishments auf sich, bis zur Verfolgung und finalen Vernichtung. Was könnte – auch heute noch – aktueller sein als solch ein Stoff, wobei die Verführung bekanntlich über religiöse wie über politische Inhalte erfolgen kann. Das zeigten Regisseur Alexander von Pfeil und Bühnenbildner Piero Vinciguerra in Linz dramaturgisch spannend und optisch eindrucksvoll.
Was wir hier zu sehen bekommen, ist eine gnadenlose Darstellung der Skrupellosigkeit religiös abgeleiteter Macht. Vinciguerra hat erst dieser Tage mit einem ungewohnten Bühnenbild in der Felsenreitschule Salzburg mit der Bebilderung eines neuen „Lohengrin“ des Landestheaters Furore gemacht. Er stellte ein komplettes Flugzeugwrack mit 40 Metern Länge auf die dortige Riesenbühne. In Linz für den Propheten und die Machenschaften seiner Wiedertäufer baute er ähnlich gigantomanisch eine riesige gasometerartige Metallkonstruktion, in der sich das ganze Drama auf verschiedenen Ebenen abspielt. Die eher unauffälligen Kostüme von Katharina Gault sind optimal auf das einfache Volk in Verbindung mit dem jeweiligen Geschehen abgestimmt, womit ihr zum Krönungsgewand des Jean ein umso größerer optischer Exzess möglich ist. Mit weiß getünchter Maske sieht er in dem viel zu großen und schweren weißen Pelzmantel mit Krone darin aus wie ein schon zu Beginn zum Scheitern Verurteilter.
Anfangs geht es Jean nur um die Liebe zu seiner Verlobten Berthe, die hier von Brigitte Geller mit einem klangvollen, aber nicht allzu großen Sopran gesungen und mit viel Emotion verkörpert wird. Dann zeigt von Pfeil, wie durch die immer militanter und grausamer werdenden Aktionen der drei Wiedertäufer Zacharie (Dominik Nekel), Jonas (Matthäus Schmidlechner) und Mathisen (Adam Kim), die stimmlich wie darstellerisch viel aus ihren Rollen machen und eigentlich die treibende Kraft dafür sind, dass das Schicksal Jeans immer mehr in die Richtung des (vermeintlichen) Propheten treibt, unter Missachtung seiner privaten und vor allem familiären Wünsche.
In dieser Historienoper zeigt Meyerbeer, wie Dramaturg Christoph Blitt in einem Aufsatz im Programmheft formuliert, „wie der Mensch von Politik und Ideologie zum Bösen verführt werden kann, sodass das Individuum, das sich derartigen Suggestionen entgegenstellen möchte, keine Chance auf die Verwirklichung seines privaten Glücks hat.“ In der Folge vermengen sich Politik und Privates auch auf der Linzer Bühne in fataler Weise sichtbar immer mehr. Leider ist Jeffrey Hartman bei guter schauspielerischer Leistung stimmlich mit einem zu verquollenen und glanzlosen Tenor bei wenig Resonanz nicht in der Lage, der Figur auch vokal Nachdruck zu verleihen. Katherine Lerner, die schon als Klytämnestra in Linz großen Eindruck machte, kann als Fidès mit ihrem klangvollen Mezzo beeindrucken und macht den Dialog mit Berthe zu Beginn des 4. Akts zu einem Höhepunkt des Abends. Martin Achrainer ist ein stimmlich und darstellerisch präsenter Graf von Oberthal, erst als arroganter Großgrundbesitzer, später als von den Wiedertäufern zum Tode verurteilter Bittsteller. Daneben gibt es noch eine Reihe von kleinen Nebenrollen, deren Interpreten sich allesamt harmonisch in das Ganze einfügen. Der Chor, Extrachor und Kinder- und Jugendchor des Landestheaters Linz, einstudiert von Elena Pierini, Martin Zeller und Ursula Wincor, setzt starke vokale Akzente und ist auch bestens choreographiert, wie überhaupt die Personenregie sinnvoll konzipiert ist. Wie man nicht nur an den Handies erkennt, spielt das Stück in der Gegenwart, ein weiterer Hinweis auf seine bedauerliche tagespolitische Relevanz.
Marc Reibel dirigiert das Bruckner Orchester Linz mit großem Engagement, wenn auch bisweilen etwas zu laut. Allerdings könnte man sagen, dass dies zu dem militanten Geschehen ebenso passt wie der oft spröde Duktus der Musik Meyerbeers.
Fotos: Klaus Billand, Barbara Palffy, Martin Winkler
Klaus Billand /10.12.2019