Mannheim: „La Bohème“, Giacomo Puccini

Nationaltheater Mannheim, 28. Februar 2020

Stimmlicher Zauber in der Mansarde

Sie ist neben dem viel geliebten „Parsifal“ eine der Lieblingsinszenierungen des Mannheimer Publikums! Die Rede ist von Giacomo Puccinis „La Bohème“ in der Inszenierung von Friedrich Meyer-Oertel aus dem Jahr 1974.

Hier ist Mansarde noch Mansarde und natürlich darf sich der Zuschauer über ein prächtiges Café Momus oder eine Zollgrenze in beeindruckender Winterlandschaft freuen. Berührender Bühnenzauber, zeitlos, gut und überzeugend umgesetzt in der Regie von Friedrich Meyer-Oertel. Es war eine schöne und beglückende Erfahrung, die heute selten anzutreffen ist, wenn Bühnengeschehen und musikalische Erzählung Hand in Hand gehen und sich inspirieren. Und es sprach für sich, dass beim Öffnen des Vorhangs für die beiden Mittelakte das Publikum mit deutlich hörbarer Begeisterung reagierte.

Somit lag der Fokus auf dem fabelhaften Ensemble des Nationaltheaters Mannheim. Denn natürlich kann dieses Haus alle Partien aus den eigenen Reihen besetzen und dazu noch auf einem stimmlichen Niveau, das in jedem Opernhaus bestehen kann.

Eine empfindsame Eunju Kwon als Mimi gab ihrer Partie eine Bandbreite verschiedenster stimmlicher Farben. Verhalten am Beginn und scheu in der szenischen Darstellung, blühte sie in ihrer ersten Arie wunderbar auf. Die Stimme floß leicht und schwebend. Die Höhe klang immer wohltönend. Bewegend vermochte sie den Lebensweg der Näherin abzubilden. Gerade im dritten Akt gewann ihre Stimme an dramatischer Größe und blieb auch hier immer kultiviert in der klanglichen Realisierung. Ganz innig und sanft, dann der lange Weg ihres Todes. Eine schlüssige Interpretation, gut phrasiert, in sehr gutem italienisch und tadellos gesungen.

Mit Irakli Kakhidze als Rodolfo hatte sie einen idealen Partner an ihrer Seite. Mit stupender Leichtigkeit und herrlichem Schmelz in der Stimme sang er seinen Part auf Weltklasse Niveau. Spektakuläre Höhen und eine derart ausgeprägte Souveränität in der stimmlichen Bewältigung, verleihen seiner Rollenbewältigung eine Ausnahmestellung, die jedem internationalen Vergleich stand hält.

Natürlich kann er seine berühmte Arie „Che gelida manina“ in der Originaltonart singen und mit einem überwältigenden hohen C krönen. Allein die große dynamische Bandbreite in seiner Arie, ein perfektes morendo auf dem zweiten „chi son“ demonstrierten seine überragende Könnerschaft. Seine lebhafte Mimik und seine engagierte Darstellung waren mitreißend. Das Nationaltheater Mannheim kann stolz sein, einen solchen herausragenden Sänger in seinem Ensemble zu haben. Dabei fügte er sich ganz kollegial in das Spiel seiner Partner ein.

Und auch hier gab es nur erfreuliche Leistungen zu bestaunen! So gefiel als Marcello Jorge Lagunes ungemein mit seinem kernigen Bariton. Überzeugend auch er in Stimme und Gestaltung. Reaktionsschnell und sicher in der musikalischen Pointierung waren vor allem seine Szenen mit Musetta erfrischende Aktivposten der Aufführung. Lediglich seine Artikulation wirkte arg mulmig. Bei besserer Textverständlichkeit käme seine Stimme zu noch wesentlich besserer Wirkung.

Natalija Cantrak war eine nicht allzu resolute Musetta und wirkte stellenweise darstellerisch zu zurückhaltend. Mit sicherer Höhe zeigte sie einen natürlichen Rollencharakter. Allein die Stimme wirkte oft klanglich zu klein dimensioniert. Auch könnte ihr eine genauere Textbehandlung mehr Wirkung geben.

Einen witzigen Charakter kreiierte der charismatische Thomas Berau als Shaunard, der mit kantiger Stimme und großer Präsenz für sich einnahm. Dazu war er ganz routinierter Souverän, dem auch ein deutlicher Schmiss im ersten Akt nicht die Ruhe nahm.

Als empathischer Colline agierte Bartosz Urbanowicz in der Rolle des Philosophen, der mit seiner anrührend vorgetragenen Mantel-Arie einen weiteren Höhepunkt markierte. Köstlich die Wandlungsfähigkeit von Thomas Jesatko, der als Benoit und Alcindoro sichtlich in seinen skurrilen Charakterpartien aufging.

Chorleiter Dani Juris hatte sein großes Choraufgebot gut vorbereitet. Der Chor agierte szenisch sehr animiert und erfreute mit vollstimmigen Klang.

Dirigent Mark Rohde leitete sehr animiert und dynamisch das herrlich aufspielende Orchester des Nationaltheaters Mannheim. Die vielen vertrackten Ensembles und die Massenszenen wurden von ihm mit großer Umsicht koordiniert. Die Sänger wurden von ihm einfühlsam und gut ausbalanciert begleitet. Immer war seine Aufmerksamkeit bei den Sängern, denen er jeden Einsatz rauf gab. Das Orchester ließ er seufzen und blühen, ein würdiger Klang für den Klangzauberer aus Lucca.

In allen Gruppen war das Orchester sehr gut eingestimmt und musizierte mit hörbarer Spiellaune. Mit großer Aufmerksamkeit und spielerischer Präzision begeisterte der Mannheimer Klangkörper.

Viel ausdauernde Begeisterung, vor allem für das Liebespaar und den fabelhaften Dirigenten am Ende eines herausragenden Ensemble-Opernabends.

Bilder (c) Mationaltheater

Dirk Schauß, 29. Februar 2020

Credits

Musikalische Leitung: Mark Rohde

Mimi: Eunju Kwon

Musetta: Natalija Cantrak (Opernstudio)

Rodolfo: Irakli Kakhidze

Marcello: Jorge Lagunes

Schaunard: Thomas Berau

Colline: Bartosz Urbanowicz

Parpignol: Markus Graßmann

Benoît / Alcindoro: KS Thomas Jesatko

Pflaumenverkäufer: Jun-Ho Lee

Sergeant: Veliko Totev

Zöllner: Karl Adolf Appel