Premiere am 10. September 2017
Sprechblasen am Comic-Himmel
Von Verdis „Erfolgstrias“, den drei Opern seiner mittleren Schaffensphase, mit denen ihm der endgültige Durchbruch als führender italienischer Komponist seiner Zeit gelang, gilt der „Troubadour“ als szenisch am undankbarsten. Im Gegensatz zu „La Traviata“ und „Rigoletto“, so wird oft angeführt, sei seine Handlung verworren und unverständlich. Das ist untertrieben. Es gibt nämlich überhaupt keine durchgehende Handlung. Und die homöopathischen Dosen an Aktion, die das Libretto vorsieht, sind vernachlässigenswert. Stattdessen werden Tableaus präsentiert, die allenfalls lose miteinander verbunden sind. „Das Duell – Die Zigeunerin – Der Sohn der Zigeunerin – Die Hinrichtung“. Mehr als die Originalüberschriften und jeweils zwei erläuternde Sätze benötigt das Programmheft nicht, um die vier Szenen zu umreißen – und das bei einer Oper mit zweieinhalb Stunden Nettospielzeit. Ulrich Schreiber hat in seinem voluminösen Opernführer einen intellektuellen Rettungsversuch der belanglosen Textvorlage unternommen, indem er die Tableaus mit Bildern aus Comics verglich, zu denen der Text quasi auf Sprechblasenniveau nur Markierungen setze. Es ist davon auszugehen, daß Regisseur David Bösch diesen Deutungsansatz kennt. Jedenfalls zitiert das Programmheft ausgiebig aus Schreibers Werk (allerdings eine andere Passage zum musikalisch-harmonischen Aufbau der Partitur). Der Hintergrund des Bühnenbilds (Patrick Bannwart) wirkt als stilisierter Nachthimmel wie geradewegs einer Graphic Novel entsprungen.
Brian Mulligan (Conte di Luna)
Daß das Ganze vom beginnenden 15. Jahrhundert in eine vage angedeutete Gegenwart verlegt wurde, bringt zwar keine besonderen Einsichten mit sich, stört aber auch nicht. Die wenigen sonstigen Bühnenelemente, etwa Andeutungen von dürren Bäumen mit weißen Papierblüten, lassen die Szenen oft wie dreidimensionale Zeichnungen wirken. Verstärkt wird das im ersten Teil durch zurückhaltend eingesetzte Videoeinblendungen, die als behutsame Bebilderung der Musiknummern durchaus einigen Zauber entfalten. Die Zigeuner werden im Kontrast zur ansonsten vorherrschenden Düsternis mit kräftig-bunten Kostümen als Gauklertruppe gezeigt. Der Wechsel der Szenen wirkt durchaus kurzweilig, und so vergeht die Zeit bis zur Pause wie im Fluge. Im zweiten Teil jedoch geht dem Bühnenbildner die Puste aus. Außer, daß sich zum Ende hin ein riesiger, glühend rot angeleuchteter Scheiterhaufen drohend erhebt, zwischendurch ein Panzer hereingerollt wird und es beständig schneit, trägt die Ausstattung nichts mehr zur Belebung der Szene bei, bis schließlich am Schluß ein überdimensionales Stacheldrahtherz fotogen und ein wenig kitschig abgefackelt wird. Das legt die handwerklichen Schwächen des Regisseurs bloß, die mit den Videobildchen im ersten Teil noch gut kaschiert werden konnten. Bösch weiß mit seinen Figuren einfach nichts anzufangen. Interaktionen wirken schematisch, wenn sie denn überhaupt stattfinden und die Sänger nicht einfach irgendwie im Raum herumstehen. Daß die kurzfristige Einspringerin in der Rolle der zentralen Figur der Zigeunerin Azucena sich offensichtlich mühelos in die Produktion einfügen konnte, spricht weniger für ihre mimische Begabung als für die Anspruchslosigkeit der Regie. Immerhin die Chorszenen werden mit einigen Gags aufgemöbelt, die aber beliebig wirken. Ob Verdis Meistermachwerk mehr als eine Nummernfolge von Bravourstücken sein könnte, kann man in dieser Inszenierung noch nicht einmal erahnen.
Chorszene mit Selfie
Zur Musik: „Eine Aufführung des Troubadour ist einfach: Man braucht einfach nur die vier besten Sänger der Welt.“ Dieses Caruso-Zitat ist so abgedroschen wie es nichtssagend ist. Man hätte auf Jahre hin finanziell ausgesorgt, wenn man für jede Verwendung in einer Troubadour-Kritik 100 Euro ausgezahlt bekäme. Sicher, die Partien sind anspruchsvoll, aber das sind sie in anderen Opern auch. Die aktuelle Frankfurter Besetzung kommt problemlos mit den hohen technischen Anforderungen zurecht. An erster Stelle ist hier Brian Mulligan in seinem Rollendebüt als „Conte di Luna“ zu nennen, dessen samtiger, wohltönender, gut fokussierter Bariton auch in den vielen hohen Passagen ungetrübten Genuß bereitet. Elza van den Heever hat ihre üppige Stimme gut im Griff, kann sie immer wieder zu schwebenden Piani zurücknehmen und bleibt den Koloraturen nichts schuldig. Mit Piero Pretti hat die Oper Frankfurt einen international an allen wichtigen Häusern beschäftigten Spinto-Tenor für die Rolle des „Manrico“ engagiert, dessen helles, recht kopfiges Timbre Geschmackssache ist. Aber seine Stimme ist jederzeit durchsetzungsfähig und harmoniert in Duetten und Ensembles gut mit den übrigen Sängern. Singt er das hohe C? Ja, und er hält es auch lange genug, um mit dem erwartbaren Szenenapplaus bedacht zu werden.
Piero Pretti (Manrico) und Elza van den Heever (Leonora)
Das erste Wort in dieser Oper ohne Ouvertüre hat jedoch Kihwan Sim als „Ferrando“. Sein jugendlich-viriler Baß ohne Schlacken bereitet wie bei jedem seiner Einsätze in den vergangenen Spielzeiten ungetrübte Freude. Er gehört inzwischen zu den tragenden Säulen des Frankfurter Ensembles. Das mit Spannung erwartete Rollendebüt eines anderen Frankfurter Ensemble-Stars mußte indes verschoben werden: Tanja Ariane Baumgartner fiel wegen einer Atemwegserkrankung aus und wurde kurzfristig durch Marianne Cornetti in der Rolle der „Azucena“ ersetzt. Die Einspringerin erwies sich in ihrer Leib-und-Magen-Partie als Mezzosopran von altem Schrot und Korn mit üppigem Vibrato, dunkel orgelnder Tiefenlage und sicherer Technik. Man darf gespannt sein, wie die Baumgartner mit ihrer schlankeren Stimme in den Folgevorstellungen ihr Rollenporträt anlegen wird.
Das Orchester unter der Leitung von Jader Bignamini präsentiert einen gut ausgeleuchteten und differenzierten Verdi-Klang, dem man gerne zuhört und der manchen szenischen Leerlauf musikalisch abfedert. Die solide Leistung des Chors wird durch kleine Unkonzentriertheiten und Koordinierungsschwächen nur leicht getrübt.
Als Repertoire-Rahmen für ausverkaufte Vorstellungen zum Absingen von Wunschkonzert-Nummern wird diese Inszenierung ihren Zweck erfüllen. Vielleicht ist beim „Troubadour“ auch einfach nicht mehr drin.
Weitere Vorstellungen gibt es am 14., 17., 23., 30. September, 3. und 7. Oktober sowie im Dezember und Januar.
Michael Demel, 12. September 2017
Bilder (c) Barbara Aumüller