Frankfurt: „Punch and Judy“, Harrison Birtwistle

Benjamin Britten soll die Premiere im Jahr 1968 fluchtartig verlassen haben. Was Harrison Birtwistle in seiner ersten Oper auf die Bühne gestellt hatte, war wohl zu harte Kost. Dabei hatte Britten selbst den jungen Komponisten für das Festival in Aldeburgh mit den Worten empfohlen: „Er hat mehr zu sagen als die meisten seiner jungen Zeitgenossen. Ich bin sicher, er wird etwas Auffälliges und Provokantes, aber dennoch Ernsthaftes und Aufrichtiges hervorbringen“. Auffällig und provokant ist es tatsächlich geworden, ernsthaft eher nicht und aufrichtig jedenfalls in der Kompromisslosigkeit der Durchführung. Als Sujet hatte sich Birtwistle das traditionelle englische Handpuppenspiel „Punch and Judy“ gewählt, eine besonders brutale Variante des Kasperletheaters. Die männliche Hauptfigur Punch rüpelt sich dabei durch kurze Szenen, misshandelt sein Baby, tötet seine Frau Judy, anschließend noch Arzt und Rechtsanwalt, blitzt bei der von ihm begehrten Pretty Polly ab und entgeht seiner gerechten Strafe, indem er den Henker überlistet, welcher selbst gehängt wird. Das ist schon als Puppenspiel für Erwachsene nur komisch, wenn man einen speziellen Humor hat. Wird es aber mit Menschen aus Fleisch und Blut vorgeführt, wirkt es wie ein Splatter-Movie.

© Monika Rittershaus

Im Bockenheimer Depot siedeln die Kulissen (Thilo Ullrich) das Geschehen stilecht in einem heruntergekommenen Jahrmarkt an. Ein Schild an einer Würstchenbude kündigt die nächste Vorstellung des Puppentheaters an. Plastikstühle stehen für das Publikum bereit. Ein Puppenspieler (Liviu Holender mit kernig-biegsamem Bariton) begrüßt das Publikum und führt es durch den Abend. Das Spiel entfaltet sich zunächst auf einer erhöhten Bühne abwechselnd in vier setzkastenartig aufgereihten kleinen Räumen. Im linken Setzkastenfach, einem nackten, weiß gekachelten Raum, singt Punch seinem Baby ein schräges Wiegenlied, steckt es dabei in einen Fleischwolf und verarbeitet es zu Würsten. Diese setzt er im angrenzenden Setzkastenfach, einem himmelblauen, mit Wolkenkitsch ausgemalten Raum, seiner Frau Judy vor. Auch sie wird alsbald ermordet werden, wie der das Spiel von außen kommentierende Puppenspieler ankündigt, und zwar auf einem „Schmerzensaltar“, der sich in einem weiteren, altgolden ausgemalten Setzkastenfach mit Altarnischen befindet, die allerdings leer sind: Punchs nihilistische Anarchie kennt keine Götter. In der Mitte vor der Bühne dreht sich ein turmhohes Rad, das kompassartig Himmelsrichtungen anzeigt, zudem die Mordwerkzeuge, die zum Einsatz kommen: neben dem Fleischwolf ein Messer für Judy, eine Klistierspritze für den Doktor, eine Schreibfeder für den Advokaten. Die einzige Figur, die nicht ermordet wird, ist Pretty Polly. Daß sie auch als einzige an den Wahnsinn der Titelfigur heranreicht, zeigt ihre Auftrittsszene: Sie sitzt mit übergroßem pinken Kleid und einer übergroßen pinken Schleife im Haar in einer pinken Gummizelle und schneidet mit irrem Grinsen im Gesicht Barbiepuppen mit einer Gartenschere die Köpfe ab. Danae Kontora wirkt dabei wie eine durchgeknallte Variante von Jacques Offenbachs Automatenpuppe Olympia mit einer bewundernswerten Sicherheit in absurd-halsbrecherischen Koloraturen. Die übrigen Puppen-Darsteller hat Marlen Duken mit blonden Perücken und bunten Lackkostümen ausgestattet, glatt und abwaschbar.

Sven Hjörleifsson (Lawyer), Cecelia Hall (Judy), Jarrett Porter (Punch), Alfred Reiter (Doctor)
© Monika Rittershaus

Jarrett Porter gibt die Titelfigur stimmschauspielerisch grandios mit geradezu beängstigender Intensität, eine Mischung aus „American Psycho“ und dem Joker aus „Batman“. Anders als bei den schablonenhaften übrigen Figuren lässt Regisseur Wolfgang Nägele bei ihm die Grenze zwischen Puppe und Mensch beunruhigend verschwimmen. Das wird besonders deutlich ab dem Moment, in dem Punch aus der Puppenwelt herausfällt. Die Bühne teilt sich, so daß ein Spalt zwischen den Teilen klafft. Eine Strickleiter wird aus dem Schnürboden entrollt, auf der Punch die „wirkliche Welt“ betritt, um auf den Puppenspieler loszugehen – die Panik, die Liviu Holender deswegen zeigt, wirkt echt. Die anderen Puppen folgen Punch. Perücken und Lackkostüme werden abgelegt. Zum Vorschein kommen darunter aber wieder nur Puppenkörper, die mit Bändern und Nähten zusammengehalten werden. Das hat sich Marlen Duken raffiniert ausgedacht. Auch das Agieren der Figuren bleibt puppenhaft – nur bei Jarrett Porter blitzen in Mimik und Gestik in schneller Folge die unterschiedlichsten Emotionen auf, wirkt die Kasperlefigur immer wieder unheimlich menschlich, allerdings als ein vom Irresein getriebener Wahnsinniger.

Danae Kontora (Pretty Polly), Jarrett Porter (Punch), Cecelia Hall (Judy); sowie im Hintergrund: Sven Hjörleifsson (Lawyer), Alfred Reiter (Doctor)
© Monika Rittershaus

Dabei ist die Leistung der übrigen Darsteller nicht gering zu schätzen. Cecilia Hall als Judy und Sven Hjörleifson als Lawyer zeigen große Spielfreude und bewältigen die vokalen Anforderungen mit beiläufiger Leichtigkeit. Alfred Reiter als Doktor setzt seinen knorrigen Baß mit trockenem Humor wirkungsvoll ein und darf sich schließlich schön schräg als Solist auf einer Kindertrompete einbringen.

Die elaborierte Partitur, die von 14 Musikern unter der Leitung von Alden Gatt klar und präzise umgesetzt wird, tritt hinter den starken szenischen Eindrücken allerdings ein wenig zurück. All die Toccaten, Choräle und anderen Reverenzen an die Musikgeschichte, die im Notentext verzeichnet sind, kann man hörend ohnehin nur schwer nachvollziehen.

Die bildmächtige und detailverliebte Produktion verzichtet klugerweise auf Deutungen und nimmt das Publikum mit auf eine atemberaubend-wilde Geisterbahnfahrt. Besser und werkgerechter kann man das kaum machen.

Michael Demel, 14. Dezember 2025


Punch and Judy
Oper in einem Akte von Harrison Birtwistle (1968)

Oper Frankfurt im Bockenheimer Depot

Premiere am 11. Dezember 2025

Inszenierung: Wolfgang Nägele
Musikalische Leitung: Alden Gatt
Frankfurter Opern- und Museumsorchester