Graz: „Mario und der Zauberer“

Studiobühne

Packend vertonte Weltliteratur

OpernKurzgenuss ist eine seit Jahren bewährte Kooperation zwischen der Oper Graz und der Kunstuniversität Graz. Auch in dieser Saison gibt es in dieser Serie wiederum drei Produktionen. Die erste war im Jänner eine Wiederaufnahme aus der Saison 2016/17. Und nun ist über eine respektable österreichische Erstaufführung zu berichten:

Mario und der Zauberer, die bekannte Novelle von Thomas Mann (übrigens Pflichtlektüre in der seinerzeitigen DDR), ist eine Parabel über das Aufkommen des Faschismus. Sie beschreibt, wie deutsche Touristen Ende der 1920-er Jahre in einem italienischen Badeort diskriminiert werden. Anschließend erleben sie bei einem Varieté-Besuch, wie ein Zauberer seine demagogischen Fähigkeiten benutzt, Zuschauer unter Hypnose zu entwürdigenden Handlungen zu animieren. Als er den Kellner Mario in Trance dazu bringt, ihn für seine Geliebte zu halten und zu küssen, wird er von diesem erschossen. Die Erzählung wurde mehrmals für die Opernbühne adaptiert, 1988 sogar gleich zweimal: vom Ungarn János Vajda (siehe dazu den Aufführungsbericht aus Budapest) und die Vertonung von Stephen Oliver (1950 – 1992), der auch das Libretto selbst verfasste. Die knapp 80-minütige Version dieses früh verstorbenen englischen Komponisten, die 1988 beim Batignano-Festival in der Toscana als Mario ed il Mago ihre Uraufführung gefeiert hatte, erlebte nun ihre österreichische Erstaufführung. Die deutsche Erstaufführung fand 2004 in Stuttgart statt. Die nächste deutsche Produktion war dann 2012 in Dresden – und diese Produktion wird wohl der Anstoß für die Aufführung in Graz gewesen sein, war doch damals die heutige Grazer Opernintendantin Nora Schmid in Dresden Interimsintendantin. Auch in Dresden war es eine Kooperation zwischen der Semper-Oper und der Dresdner Musikhochschule – und vor allem verkörpert der Bariton Markus Butter hier in Graz ebenso wie vor sieben Jahren in Dresden die zentrale Rolle des Zauberers Cipolla. Man kann annehmen, dass es wohl auch sein Wunsch gewesen sein wird, sich in dieser Partie neuerlich zu präsentieren.

Und allein wegen Butters maßstabsetzender Interpretation der effektvollen Titelfigur lohnt es sich unbedingt, diese Aufführung zu besuchen. Als schmierig-herabgekommener Gaukler zieht er mit exzellenter Wortdeutlichkeit, souveräner Stimmführung und intensivem Spiel alle in seinen Bann – die handelnden Personen ebenso wie das Publikum, das immer wieder in seine Aktionen einbezogen wird. Der Regisseur Christian Thausing verlegte gemeinsam mit dem an der Kunstuniversität Graz ausgebildeten Bühnen- und Kostümbildner Christoph Gehre das Stück in ein schäbiges Provinz-Zirkuszelt der österreichischen Gegenwart – in einen Unraum, der den momentanen Zustand unserer Gesellschaft und den Kern des Stückes widerspiegelt (Zitat aus dem Programmheft). Das Publikum sitzt im Kreis um ein verdreckt-schäbiges Podium – verteilt im Publikum sind auch die Figuren des Stücks, die Jungen aus dem Dorf und viele Statisten. Der Bürgermeister im Trachtenanzug, Signora Angiolieri im Dirndl und die Mutter als Außenseiterin mit Hidschab-Kopftuch – es ist sofort klar: es geht nicht mehr um den italienischen Faschismus der Novelle, sondern um bedrohliche Entwicklungen in unserer heutigen Gesellschaft. Das Konzept kann sich da mit gutem Recht auf ein Wort von Thomas Mann berufen, wonach die Novelle entschieden einen moralisch-politischen Sinn hat.

Ein Stärke der Inszenierung ist es zweifellos, dass sie es bei den leicht zu dechiffrierenden Versatzstücken der Kostümierung belässt, ohne penetrant diese Kodierung in der Personenführung breitzutreten – die Figuren des Dorfes sind gerade durch ihre banale Gewöhnlichkeit bedrohlich genug. Neben dem dominierenden und schon gewürdigten Markus Butter bewähren sich die jungen Mitglieder des Grazer Opernensembles und die Studierenden durchaus: vor allem Sonja Šarić als dominante Signora Angiolieri, Andrea Purtić als elegant-verzweifelte Mutter und Mario Lerchenberger als bieder-gefährlicher Bürgermeister – alle mit erfreulich prägnanter Wortdeutlichkeit, an der Albert Memeti und Valentino Blasina noch zu arbeiten haben. Der Schauspielstudent Romain Clavareau war eine ideale Besetzung für die kleine, aber wichtige Rolle des Kellners Mario. Marcus Merkel – trotz seiner erst 27 Jahre bereits vielfältig erprobter Dirigent – hielt das zehnköpfige Instrumentalensemble aus Studierenden mit sicherer Hand und energisch-klaren Gesten zusammen. Zu Beginn wäre vielleicht etwas weniger Lautstärke angezeigt gewesen, das hätte die Textverständlichkeit gefördert. Im weiteren Verlauf fand Merkel dann zu schöner Balance für Stephen Olivers Musik voller synkopisch forcierter Unruhe, flirrender Orchestrierung mit Elementen à la Weill, mit Ragtime und Walzer.

Das Ende des Stücks ist überraschend: die schon bei Thomas Mann angelegte und auch von Stephen Oliver betonte Homoerotik wird in der Szene zwischen Cipolla und Mario bedrückend deutlich und aus dem (Statisten)Publikum abfällig apostrophiert. Dann geht plötzlich mit einem Orchester-Fortissimo das Licht aus. Als es wieder hell wird, führt die Mutter den Kellner Mario mit blutigen Händen hinaus. Der Zauberer Cipolla ist verschwunden – war alles am Ende nur ein Albtraum?

Das Publikum bleibt ratlos zurück, weiß nicht recht, ob es nun applaudieren soll – und verlässt zögernd und letztlich ohne Applaus den Raum… Es ist offenbar das gelungen, was der Regisseur im Programmheft schrieb: Falls wir es richtig gemacht haben, gehen die Menschen mit Fragen und Unbehagen nach Hause

Und zu Hause liest man dann – tatsächlich mit Unbehagen – jenes Flugblatt, das die Ausführenden dem Publikum bei Betreten des Saals in die Hand gedrückt hatten.

Hermann Becke, 3. 4. 2019

Aufführungsfotos: Oper Graz © Werner Kmetitsch

Noch fünf weitere Aufführungen im April – unbedingt empfehlenswert!