Leipzig: Bieitos „Tannhäuser”

Vorstellung am 16.3.2018

Sexueller Missbrauch auf der Wartburg

TRAILER

Es sollte eine Neuinszenierung von Wagners Tannhäuser durch Katharina Wagner geben an der Oper Leipzig, aber das Projekt scheiterte aus nicht näher bezeichneten Gründen. Die Leitung des Hauses verpflichtete Calixto Bieito, seine Inszenierung von der Opera Vlaanderen und dem Teatro La Fenice in Leipzig einzustudieren, die nun als Koproduktion mit den beiden Opernhäusern gezeigt wurde. Auch mit dieser Arbeit spaltete der katalanische Regisseur das Premierenpublikum durch verstörende Bilder und abwegige Einfälle. Das beginnt schon beim Venusberg, den Rebecca Ringst als Waldstück mit üppig grünender Natur in diffusem Licht (Michael Bauer) zeigt. Wie Lianen hängen die Baumranken von oben herab und fahren Karussell auf der Drehbühne.

Venus im kurzen schwarzen Unterkleid und Strickjäckchen (Kostüme: Ingo Krügler) hat ein seltsam inniges Verhältnis zu den Bäumen, berührt sie zärtlich, umschlingt sie und windet sich mit ihnen orgiastisch auf dem Boden. Kathrin Göring, durch Indisposition entschuldigt, singt mit hellem, in der Höhe herbem Mezzo. Sinnlich klingt die Stimme nicht, und auch die Beziehung zu Tannhäuser entbehrt jedes erotischen Reizes. In seinem Kapuzensweatshirt wirkt er wie ein Penner und wird in der letzten Strophe seines Preisliedes gar gewalttätig gegenüber der Liebesgöttin. Stefan Vinke, sehr kurzfristig für den erkrankten Burkhard Fritz eingesprungen, rettet die Premiere mit seinem leistungsfähigen, robusten Tenor, dem es jedoch an Farben fehlt und dessen dröhnende Tongebung irritiert. Aber seine „Erbarm dich mein!“-Rufe von enormer Kraft imponieren ebenso wie die gewaltige Steigerung in der „Rom-Erzählung“. Zudem hörte man hier auch interessante Zwischentöne von Inbrunst, Ekel und Ingrimm.

Seltsamerweise gibt es vom Venusberg zum Wartburgtal zunächst keinen Szenenwechsel. Offenbar hat sich der junge Hirt (Danae Kontora mit klarem Sopran) in den Wald der Venus verirrt. Bei Bieto ist er ein pubertierendes Lolita-Girl im geblümten Kleid und rosa Jäckchen, das an seinen langen Haaren nestelt und aus einem Balthus-Gemälde entsprungen scheint. Voll Verlangen küsst es Tannhäuser und lässt sich von ihm huckepack tragen – nach der göttlichen erfährt dieser nun die kindliche Verführung. Grölend und von bajuwarischer Grobheit treten die Minnesänger auf. Ein raues Klima herrscht in dieser Männerwelt, auch vokal klingt das Quintett derb und unausgeglichen. Offenbar scheinen die Männer einer Sekte anzugehören, denn sie beschmieren ihre nackten Oberkörper mit Blut und beziehen auch Tannhäuser in das Ritual ein. Wenn Wolfram diesen mit der Nennung von Elisabeths Namen zum Bleiben überredet, posieren zwei Minnesänger als Ballett-Schwäne und vereinen sich zum Tanzduo – eine ebenso unnötige wie lächerliche Episode.

Getanzt wird auch auf der Wartburg, wenn der Landgraf Elisabeth beim Einzug der Gäste zum Langsamen Walzer auffordert und sie dann an Wolfram weiterreicht. Denn eigentlich hat er eher pädophile Neigungen und widmet sich intensiv dem jüngsten der vier Edelknaben. Rúni Brattaberg mit verquollenem, grobschlächtigem und intonationsgefährdetem Bass ist das vokale Problem der Besetzung.

In gleißend-kaltem Licht zeigt sich die schmucklose weiße Halle mit hohen Säulen und ohne jeden regionalen Bezug, in der sich Elisabeth, im schwarzen Unterkleid wie Venus gekleidet, auf dem Boden räkelt. Nach ihrer Salome am selben Haus bietet Elisabet Strid mit kraftvollem, voluminösem Sopran eine weitere Probe ihres Könnens, wenn auch die Höhe gelegentlich etwas angegriffen klingt. Aber das innige Gebet im 3. Aufzug und die insgesamt intensive Auslotung der Partie überzeugen vollkommen. Darstellerisch wird sie von der Regie besonders gefordert, denn die Figur zeigt pathologische Anzeichen einer psychischen Gefährdung. Verzückt folgt sie Tannhäusers vehementem Gesang und wird nach Bedrohung durch die Gäste zunehmend das Opfer sexueller Belästigung durch die Minnesänger, die massiv handgreiflich werden und dabei Elisabeths Intimzonen nicht verschonen. Insofern ist Bieitos Inszenierung auch ein aktueller Beitrag zur MeToo-Debatte.

Selbst Wolfram vermag es nicht, seine starken Gefühle für diese Frau unter Kontrolle zu bringen, bedrängt sie gleichfalls körperlich und versucht gar, sich während Elisabeths Bittgesang für Tannhäuser zu erdrosseln. An der dramatischen Auseinandersetzung des Sängerkrieges (darunter Patrick Vogel mit wenig klangvollem Tenor als Walther von der Vogelweide und Randall Jakobsh mit grobem Bass als Biterolf) ergötzt sich die Menge, wogt an der Rampe in Trance auf und nieder, hin und her. Tannhäuser wird von den Minnesängern mit Zweigen in Ekstase ausgepeitscht, was sich zu einer wilden Orgie steigert.

Im 3. Aufzug hat die Natur von der Architektur Besitz ergriffen. An den Säulen rankt sich grünes Blattwerk empor, aber auch schwarzer Latex als

Zeichen der Umweltverschmutzung. Elisabeth ist im Ausnahmezustand, versucht sich die Pulsadern aufzuschneiden, will sich von Wolfram strangulieren lassen und führt gleich darauf seine Hand an ihr Genital. Er ist gleichermaßen im Konflikt mit sich und der Welt, bereitet sich nach seinem Lied an den Abendstern selber ein Grab. Mathias Hausmann setzt mit dieser Szene das gesangliche Glanzlicht der Aufführung. Sein kernig-männlicher Bariton findet nach den energischen Auftritten auf der Wartburg hier zu feinen lyrischen Valeurs und makelloser Phrasierung. Wie Lemuren mit verschmierten Gesichtern kriechen die Pilger von hinten nach vorn zum finalen Heils-Gesang. Der Chor und Zusatzchor der Oper Leipzig (Einstudierung: Thomas Eitler-de Lint) überzeugt hier mehr als bei seinem Auftritt auf der Wartburg, weil er dort ungünstig im Hintergrund postiert war, was zu klanglichen Einbußen geführt hatte. Ulf Schirmer findet mit dem Gewandhausorchester Leipzig die Balance zwischen Keuschheit und Ekstase, bestätigt dies auch mit der differenziert ausgeloteten Einleitung zum 3. Aufzug, die sich von zartesten Klängen bis zum sinnlichen Rausch steigert.

Bernd Hoppe 17. 3. 2018

Bilder (c) Tom Schulze