Premiere: 21.06.2019
besuchte Vorstellung: 23.06.2019
…und kann dem Sog nicht entkommen
Lieber Opernfreund-Freund,
schon zum dritten Mal bringt Michael Thalheimer ein großes Verdi-Werk an der Vlaamse Opera auf die Bühne. Nach der Macht des Schicksals und dem düsteren Otello, der mit großem Erfolg auch an der Rheinoper in Düsseldorf und Duisburg zu sehen war, widmet sich der aus Frankfurt stammende Regisseur nun Verdis Macbeth, zeigt eine hochpsychologisierte Lesart mit sensationell intensiven Bilder und bereitet so weit mehr als nur die Kulisse für ein veritables Sängerfest.
Als Getriebene erscheint der Titelheld – oder vielmehr seine Frau, die schrecklich furchteinflößende Lady, die bei Thalheimer nicht erst im letzten Akt dem Wahn verfällt, sondern wie Macbeth auch – aber vielleicht in noch viel durchdrungenerem Maße – vom Bösen besessen ist – und das ist durchaus wörtlich zu verstehen. Die Hexen, die den Abend vor gespenstischer Kulisse eröffnen, treiben das Paar von Mord zu Mord, werden zum Katalysator der blutrünstigen Terrorherrschaft, spornen die Protagonisten an zu ihren Untaten, so dass vor allem die Titelfigur gar nicht so recht zu wissen scheint, warum er jetzt Könige, Feinde und Gefährten gleichermaßen niedermetzeln soll, es aber angestachelt von der blutrünstigen und erfolgsgeilen Lady ohne große Gegenwehr wie eine Marionette einfach tut. Der gewaltige Bühnenaufbau von Henrik Ahr ist eine Grube in Halfpipe-Form, erinnert an den Querschnitt eines Hexenkessels – und jeder, der einmal da hineingeraten ist, kommt alleine kaum mehr heraus. So entfaltet sich ein Sog, ein Blutrausch vor düsterem Hintergrund, die Kilts der Herren und die Roben der Damen, die Bustiers der Hexen bewegen sich in allen Schwarzschattierungen (hervorragend designt von Michaela Barth) – einziger Farbtupfer ist das Blut, das schon zum Ende des ersten Aktes das Mörderpaar nahezu komplett bedeckt und im Laufe des Abends noch präsenter wird. Das können auch die Luftschlangen nicht verdecken, die sich die Partygesellschaft im zweiten Akt um den Hals gelegt hat – also landen sie, wie später auch der Wald von Birnam gleichermaßen im riesigen Kessel, der den Strudel des Unheils symbolisiert. Das hat zwar zum Ende des Abends ein wenig von Vermüllung – aber wenn aus diesen Trümmern der Macbeth’schen Herrschaft dann ein fordernd auftretender Malcolm und eine Art Kindkönig auftreten, wird klar, dass auch mit dem neuen Herrscher nicht wesentlich weniger Unterdrückung zu erwarten sein wird. Trotz mitunter recht viel Statik in der Personenführung gelingen Thalheimer und seinem Team wie schon im Otello düster-geheimnisvolle Bilder voller Kraft und Suggestion – so sterben Macbeth und seine Lady zum Beispiel in einer Umarmung, die das Mörderpaar im Tod vereint. Und dank der hervorragenden Sängerriege wird der Abend zu einem Erlebnis.
Craig Colclough gestaltet die Titelfigur ganz nach dem Regieansatz als fremdgesteuert Handelnden und kann so seinem kräftigen, raumfüllenden Bariton immer wieder zweifelnd-zaudernde Zwischentöne beimischen, nicht nur sein Pietá, rispetto, amore wird da zum Meisterstück, das er mit unverhohlener Inbrunst über die Rampe schickt. Maria Prudenskaya stattet die Lady mit bedrohlicher, fast androgyn wirkender Tiefe aus und wirkt vom ersten Augenblick dermaßen wahnsinnig, als sei sie aus einer Nervenheilanstalt entflohen. Mit höchster Intensität erfüllt sie die Höchstschwierigkeiten ihrer Partie, von Arie zu Arie steigert sich ihr Furor, ehe der in der Wahnsinnsszene von ihr ab und ihre Figur in sich zusammen zu fallen scheint. Zum Niederknien! Wann immer mir ein toller Banquo-Sänger auf der Bühne begegnet, bedauere ich, dass seine Figur schon so früh das Zeitliche segnen muss – und genau so ist es bei der Interpretation von Tareq Nazmi ergangen, deren Intensität und nicht nachlassende Kraft mich förmlich in den Sessel drückt – ich hätte seinem imposanten Bass noch stundenlang zuhören können. Kämpferisch gibt sich auch Najmiddin Mavlyanov als Macduff, da hätte ich mir ein wenig mehr Gefühl im an sich herzzerreißenden Ah, la paterna mano gewünscht. Ähnlich draufgängerisch kommt der Malcolm von Michael J. Scott daher, hier passt die klangliche Wucht des US-Amerikaners aber durchaus zur Rolle – und nicht zuletzt auch zum Regieansatz.
Der Koor Opera Ballet Vlaanderen ist unter der Leitung von Jan Schweiger bestens aufgelegt und bewältigt die Mörderpartie scheinbar mühelos – die Herren als kampfeslustige Krieger voller Durchschlagskraft, die Damen als keifende Hexen und beide zusammen als von Macbeth geknechtetes Volk, das seinem Schmerz im verzweifelten Patria oppressa! gefühlvoll Ausdruck verleiht. Im Graben betont Paolo Carignani die dunkle Seite des Werkes, düster bedrohlich klingt es da von Beginn an, so dass auch musikalisch ein Sog entsteht, dem man sich als Zuschauer nicht entziehen kann. Szene und Musik greifen wie Zahnrädchen ineinander, so wird das Gesamtkunstwerk perfekt.
Trotz der sommerlichen Temperaturen ist das Opernhaus in Antwerpen bis auf den letzten Platz besetzt – und das Publikum hat sein Kommen nicht bereut, applaudiert begeistert, ja beglückt allen Beteiligten. Sie, lieber Opernfreund-Freund, haben nun noch bis Anfang Juli die Möglichkeit, diese Co-Produktion in Antwerpen zu erleben, in der kommenden Saison reist sie über Gent und Luxemburg dann nach Düsseldorf, wo sie in anderer Besetzung, aber immer noch in der intensiven Deutung Thalheimers zu sehen sein wird.
Ihr Jochen Rüth 24.06.2019
Die Fotos stammen von Annemie Augustijns.