Premiere: 20.11.2018
Im belgischen Liege ist die Opernwelt noch in Ordnung: Dort werden die großen Werke des Musiktheaters nicht interpretiert, sondern optisch ansprechend auf die Bühne gebracht. So auch Puccinis „Tosca“, die in einer Wiederaufnahme der Inszenierung von Claire Servais aus dem Jahr 2014 gespielt wird.
Das Bühnenbild von Carlo Centolavigna zeigt im ersten Akt nicht etwas die Kirche Santa Andrea della Valle, sondern in einem dunklen Raum befinden sich nur Versatzstücke dieser Kirche, aus denen sich der Zuschauer den Gesamtraum selbst konstruieren muss. In der Mitte befindet sich der Hochaltar, der sich allerdings erst im „Te Deum“ in seiner ganzen Pracht zeigt. Seitlich davon stehen zwei große Heiligenfiguren. Links ist das Torr zur Attavanti-Kapelle und links das Bildnis von Maria Magdalena, an dem Cavaradossi gerade arbeitet. Die präsentiert sich hier halbnackt.
Im zweiten Akt befindet sich im Hintergrund ein riesiges Kruzifix, das von diversen Kriegs- und Folterbildern umgeben ist, mit denen Scarpia sein Arbeitszimmer schmückt. Hier beginnt der Betrachter zu grübeln. Im ersten Akt befand sich im Zentrum des Hochaltars nämlich eine Taube als Symbol des Heiligen Geistes. Nun steht Jesus im Zentrum des Bühnenbildes. Arbeitet sich der Bühnenbildner an der Heiligen Dreifaltigkeit ab, um zu zeigen, dass Gott die Menschen beobachtet, aber in all dem Elend der Welt letztlich doch alleine lässt?
So erwartet man für den dritten Akt eine Darstellung Gottvaters. Hinter den kalten Mauern der Engelsburg tut sich aber nur ein sternklarer Himmel auf. Soll das die Darstellung des unsichtbaren Gottes sein, oder hat sich der Bühnenbildner vielleicht doch nichts bei seinen Raumkonzepten gedacht? Regisseurin Claire Servais entfaltet die Geschichte realistisch, wobei besonders die Verhöre des zweiten Aktes besonders spannungsvoll geraten.
Aus dem Trio der Hauptdarsteller ragt Marco Vratogna besonders heraus. Der italienische Bariton singt den Scarpia mit großer Stimme und kostet genüsslich jede Bosheit der Figur aus. Aquiles Machado aus Venezuela singt den Cavaradossi. Er besitzt eine volle und schön gerundete Stimme, die eine schöne Färbung besitzt. Die Spitzentöne sind für ihn kein Problem, doch hier könnte die Stimme noch ein letztes Fünkchen Strahlkraft vertragen.
Die Argentinierin Virginia Tola ist in der Titelpartie eine schlanke und elegante Erscheinung. In der Mittellage des ersten Aktes klingt ihr Sopran angenehm, doch in den dramatischen Ausbrüchen des 2. Aktes sind ihr in der Höhe viele Anstrengungen anzuhören. In den Nebenrollen ist Roger Joakim ein zuverlässiger Angelotti und Laurent Kubla ein jugendfrischer Messner.
Am Pult der Opera Liege steht an diesem Abend Gianluigi Gelmetti. Im ersten Akt kostet er die lyrischen Momente schön aus und steigert Chor und Orchester im Finale zu einem starken „Te Deum“. Ab dem zweiten Akt dirigiert er einen spannungsgeladenen Opernkrimi.
Bis zum 2. Dezember ist „Tosca“ noch in Liege zu sehen. Als Weihnachtsproduktion folgt ab 21. Dezember Rossinis „Comte Ory“ in einer Koproduktion mit der Pariser Opéra Comique.
Rudolf Hermes 23.11.2018
Fotos © Opéra Royal de Wallonie-Liège