Vorstellung am 15.04.2018
Die ausverkaufte Volksvorstellung gestern Nachmittag im Opernhaus Zürich war ein engagiertes Plädoyer für Verdis LUISA MILLER, ein Werk, das vom Namen her zwar die meisten Opernfreunde kennen, das aber insgesamt (zu Unrecht) immer noch zu selten auf den Spielplänen auftaucht. Damiano Michielettos Inszenierung im ausgeklügelt stimmigen Bühnenbild von Paolo Fantin und mit den herrlichen Kostümen von Carla Teti vermag auch acht Jahre nach der Premiere erneut zu überzeugen. Dabei legt Michieletto in seinem Blick auf das Stück den Schwerpunkt auf die Vater-Kind Beziehungen, dominierende Väter, die eigentlich nur das beste für ihre Kinder wollen, sie aber im Erwachsenenalter nicht loslassen können und somit grosse Schuld für den tragischen Ausgang des Stücks auf sich laden. Lauren Felix (Luisa als Kind) und David Ragazzi (Rodolfo als Kind) verkörpern diese stummen Rollen hervorragend.
Während Michieletto in der Personenführung also die psychischen Dimensionen der Familienbeziehungen auslotet, spielt Paolo Fantin in seinem Bühnenbild mit den spannenden Spiegelungen auf die Standesunterschiede zwischen dem einfachen Soldaten a.D. Miller und dem reichen und mächtigen Conte di Walter an. Carla Teti wiederum zeigt in den Kostümen, die vom Rokoko der Entstehungszeit von Schillers Drama bis zum frühen 20. Jh. (für den Chor) reichen, die Allgemeingültigkeit des Konflikts zwischen Vätern und Kindern auf – eine exemplarisch geglückte Zusammenarbeit zwischen den Sparten Bühne, Kostüm und Regie. Dazu kommen noch die symbolhaften beiden Videoprojektionen von Timo Schlüssel bei der Aufdeckung des Verbrechens in der unrühmlichen Vergangenheit von Walter und Wurm (beängstigendes Irren durch den Wald) und in der Vergiftungsszene mit den blauen, sich beinahe poetisch schön ausbreitenden Tropfen. Ja, das war mal wieder eine kluge Inszenierung, wie man sie sich des öfteren wünscht, wo man nicht einfach drei Stunden lang auf schmucklose holzgetäfelte oder Betonwände starren musste.
Auch musikalisch steht diese Wiederaufnahme unter einem ausgezeichneten Stern. Riccardo Frizza am Pult der Philharmonia Zürich lässt dem Sturm und Drang des frühen Verdi kontrollierten, rhythmisch präzisen Lauf, im Orchester blitzen wunderbare Kantilenen vor allem der Klarinette und der Celli auf, da ist alles da, von den ganz fein gemalten, farbig orchestrierten Passagen zu den wuchtig-dramatischen Akzenten. Wunderbar gestaltet Frizza die Ouvertüre, kostet das intensiv vorwärtsdrängende Motiv grossartig aus.
Der von Janko Kostelic einstudierte Chor der Oper Zürich gestaltet seine Auftritte mit fantastisch schöner und runder Tongebung. Nino Machaidze singt eine sehr einnehmende, anrührende Luisa (die georgische Sopranistin debütiert mit dieser Partie in Zürich). Ihr dunkel gefärbter Sopran verfügt über die intensiven Piani, mit denen sie ihre zwiespältigen Gefühle ausdrücken kann. Sie hat das erforderliche Volumen für die Steigerungen. Einzig in der Höhe und bei gewissen Koloraturen klingt sie etwas metallisch und es zeigen sich leichte Verhärtungen des Klangs. Insgesamt jedoch eine ausgezeichnete Interpretin dieser Rolle. Matthew Polenzanis robuster, heller Tenor scheint über unermessliche Kräfte zu verfügen, der Sänger weiss jedoch, sein Volumen im richtigen Moment zurückzuschrauben, er gestaltet selbst die schwierige Arie Quando le sere, al placido mit bestechendem Schmelz und biegsamer Stimme, wunderbar phrasierend und die Kantilenen einfühlsam auskostend. Sein Papa, il Conte di Walter, wird von Mika Kares mit einem in der Mittellage herrlich sonor strömendem Bass gesungen. In der Höhe klingt seine Stimme ab und an etwas angeraut, nicht ganz frei. Herausragend singt Wenwei Zhang den Wurm: Verdi hat ihm zwar keine eigene Arie zugedacht, doch ist der Bösewicht eigentlich dauerpräsent in den meisten Szenen, mischt sich selbst in Arien ein (sehr ungewöhnlich und fortschrittlich konzipiert vom jungen Verdi). Zhang gestaltet die servil-schleimige Rolle darstellerisch und mit seiner ungemein klaren, profunden Bassstimme mit markanter Präsenz. Judith Schmid verleiht der Duchessa Federica mit ihrem satten Mezzosopran Profil, vermag mit der evozierten Melancholie auf die Vergangenheit zu überzeugen, aber auch mit ihrem energisch intonierten Besitzanspruch auf Rodolfo. Das a cappella geschriebene Concertato Wurm-Walter-Federica-Luisa gerät zu einem veritablen Showstopper, hochklassig gesungen von allen Beteiligten. Soyoung Lee lässt als warmstimmige Laura aufhorchen und Dmytro Kalmuchyn singt seinen kurzen Auftritt als Bauer mit Verve.
Und dann ist da natürlich noch der Star des Abends, der Grandseigneur unter den Baritonen, das Urgestein des Verdi Interpreten: Leo Nucci als Vater Miller. Seit über 40 Jahren dominiert er die internationalen Bühnen als Rigoletto, Germont, Nabucco, Macbeth und eben als Miller. Die Stimme sitzt an diesem Nachmittag hervorragend, seine Interpretation ist wahrlich zum Niederknien, da ist auch eine mimische Präsenz, eine Intensität der Gesangslinie und ein Eingehen auf die PartnerInnen da, ein Verschmelzen in und ein Aufgehen mit der Rolle. Grandios. Die Caballetta seiner ersten Arie löst Begeisterungsstürme aus, da ist nichts von dem Anschleifen und gelegentlichen Bellen der Töne hörbar, die auch ich in früheren Kritiken moniert habe. Leo Nucci scheint die Partie des Miller (wie auch des Rigoletto) von Verdi auf den Leib geschrieben zu sein.
Verdiente standing ovations am Ende!
Kaspar Sannemann 17.4.2018
Bilder (c) Danielle Liniger / Opernhaus Zürich