Bayreuth: „Terra Mater. Natur in der Musik“, L’Arpeggiata und Malena Ernman.

Schon Giovanni Bononcini hat, als er von Italien nach Berlin reiste, nicht das Flugzeug genommen.

Man muss darauf hinweisen, zumal es auch die Festspielleitung macht: Malena Ernman ist die Mutter von Greta Thunberg. Inspiriert von ihrer Tochter, die sich den Kampf gegen all die aufs Panier geschrieben hat, die, gegen alle wissenschaftliche Erkenntnisse, den vom Menschen gemachten Klimawandel für ein nicht vom Menschen gemachtes Phänomen halten, Malena Ernman ist nicht mit dem Flieger, sondern dem Zug nach Bayreuth gekommen. Es passt zum Thema des Abends und zu seinem Titel: Terra Mater. Natur in der Musik. Dass es da vor allem, wie in Pietro Torris Son rossignol (aus des Münchner Hofkapellmeisters Oper L’innocenza difesa dai Numi von 1715) humoristisch und selten melancholisch zugeht, liegt in der Natur der Musik, denn nicht allein im 17. und 18. Jahrhundert liebte man es, Tiere und Tierisches vorzugsweise der heiteren Muse zu überantworten. Und also hören wir am Abend, wenn die Mezzosopranistin, die manchmal wie ein regelrechter Alt klingt, zusammen mit dem Ensemble L’Arpeggiata unter der Leitung seiner Gründerin Christina Pluhar auftritt, durchaus humorvolle Töne. Schon der Beginn, Heinrich Ignaz Franz Bibers kurzes Intro Die Nachtigall (aus der Sonate representativo für Violone und b.c.) reizt ja zum Lächeln, weil die Imitation natürlicher Töne – Wind, Blätterflattern, Vogelrufe – immer zum Lächeln anregt. Die dazwischen gestreuten Tänze, zumal aus John Playfords bekannter Sammlung The English Dance Master, und die Tanzlieder fahren geradewegs in die Beine; wieder werden das Festival Bayreuth Baroque und das Markgräfliche Opernhaus zur Plattform, ja: zum Ballroom für durchaus gegenwärtige Ausdrucksformen.

Unwillkürlich lässt man, sitzt man in einem Konzert, das über die verschiedensten Stil-Arten souverän verfügt, die Geschichte der Interpretation der einstmals „Alte Musik“ genannten Musik geistig Revue passieren. Stand am Anfang, im späten 19. Jahrhundert, die Ausgrabung und Interpretation der „alten“ Musik im Sinne und mit dem „klassischen“ Instrumentarium der Epoche, so folgte zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Überarbeitung eben dieser Werke im Stil der Moderne. Dann fing man endlich an, die Musik aus den penibel behandelten Noten archäologisch zu rekonstruieren, was für uns, hören wir in die Aufnahmen noch der frühen 80er Jahre des 20. Jahrhunderts hinein, inzwischen bereits seinerseits historisch geworden ist. Dem folgten jene Aufnahmen und -führungen, die auch heute noch bestehen können, bevor man endlich so frei über das Material verfügte, dass U und E, Alt und Neu zu austauschbaren Begriffen wurden. Mit einem Wort: Bei L’Arpeggiata (und vielen anderen Ensembles) lebt die Musik nun aus einem ganz anderen, das Historische und das Moderne frei verbindenden Geist.

Man geht die Musik der Vergangenheit, die niemals vergangen ist, wenn man sie heute – und so – spielt, also mit Verve an. Ein Zink und ein Cornetto können also wie eine Jazztrompete klingen, wenn Doron Sherwin sie so ins Heute bringt: jazzig. Schön auch, wenn der Zinkenist in The Frog and the Mouse plötzlich aufsteht, niederkniet und die Maus zu besingen beginnt. Wieder werden wir, nicht zuletzt bei der mitreißend gespielten Ciaconna Maurizio Cazzatis, dank des barocken Jazzpianisten Dani Espasa und seiner äußerst spielfreudigen Kolleginnen und Kollegen (1. Geige: Margherita Pupulin) Zeugen einer Jam Session, auch, wenn der Newcastle-Tanz aus Playfords Sammlung rein fetzig gespielt wird. Nicht, dass traditionelle Darbietungen des Stücks schlechter sind – Pluhars Interpretation ist nur wesentlich unmittelbarer, ohne dem Stück irgendetwas an der historisch verbürgten Originalität zu nehmen (was bei Volkstänzen per se fast unmöglich ist). Den Ton macht eh auch das Tempo: im Mulberry Garden-Dance zieht die Truppe das Tempo merklich an.  Selbst Händel kann einem derartigen Relaunch unterworfen werden; T’was when the seas were roaring, ein Lied aus einem play John Gays, wird gleichermaßen verjazzt. Händel hält das sehr gut aus.

Umgekehrt klingt manch Stück an diesem Abend in bestem Sinne herkömmlich, also mit den Mitteln der historisch informierten Aufführungspraxis gut gemacht. Händels Cruda furie degli orridi abissi aus dem Serse bleibt ein Stück aus der 4. Phase der HIP, als solches ein Sturmstück wie die Sinfonia pour la tempête aus Georg Caspar Schürmanns Getreue Alceste. Auch bei Bononcini sind wir bei einem alten Bayreuther Bekannten, dessen Brilla in cielo aus La gara delle quattro stagioni schlichtweg brillant kommt. Apropos Händel (über dessen animalistische Gleichnisarien die Händel-Verehrerin und -Kennerin Donna Leon das köstliche Buch Tiere und Töne schrieb) und Bononcini: Beide Meister stehen im Mittelpunkt internationaler Kreise. Schon damals gab es, durch Wandermusiker und -noten, eine Globalisierung des Musikmarkts, die die kulturelle Insellage Großbritanniens zwar nicht aufhob, doch stark relativierte. Dass schon Giulio Tagliatti, wie viel später ein anderer großer Meister aus Frankreich, Il canto del cigno, also den Schwanengesang, dem Violoncello solistisch schenkte (glänzend: Diana Vinagre), mag kein Zufall sein, auch wenn die Beziehung des mit einem schön geschwungenen Schwanenhals ausgestatteten und sacht dahingleitenden Tiers mit dem Instrumentenkörper und -Klang eine gewisse Logik aufweist.

Und wie klingt nun Malena Ernmans Mezzo? Wie gesagt: sehr dunkel, quasi schokoladenbraun, gut grundiert und beweglich; sie kann auch, in Thomas Arnes „Shakespeare“-Song When Daisies pied aus As you like it, einen Frosch sehr überzeugend imitieren. Die Stimme ist ein Instrument: In Francesco Gasparinis Senti quell’ usignolo, geht es unisono mit der quecksilbrigen Violine. Die menschliche Zwitschermaschne – so heißt ein Bild von Paul Klee und eine Art-Punkband aus der DDR – hat hör- und sichtbar Spaß an der Musik – so wie das Publikum, das sich drei Zugaben erklatscht, von denen die dritte, nach dem gebrummten Hummelflug, ein neuer englischer Song, weder barock noch heiter ist, dafür aber, wie die Sängerin sagt, auf das „schlimmste Tier“ hinweist, das „Alles und den Planeten tötet“.

Eben ganz die Mutter von Greta Thunberg.

Frank Piontek, 8. September 2025


Terra Mater. Natur in der Musik

Bayreuth Baroque
Markgräfliches Opernhaus, 7. September 2025

L’Arpeggiata / Malena Ernman
Leitung: Christina Pluhar