Hamburg: „Rigoletto“, Giuseppe Verdi

Gleich drei umjubelte Weltstars hat die Hamburger Staatsoper für die Wiederaufnahme von Verdis „Rigoletto“ in der Inszenierung von Andreas Homoki aus dem Jahr 1994 im Rahmen der italienischen Opernwochen gewinnen können: Als Gilda ist die Sopranistin Pretty Yende zu erleben, während Matthew Polenzani den Herzog von Mantua gibt. Die Titelrolle singt der georgische Bariton George Gagnidze, der kürzlich als Scarpia an der New Yorker Met zu sehen war.

Auch wenn die Inszenierung knapp 30 Jahre alt ist, so kommt sie doch in Wolfgang Gussmanns minimalistischer Farbsymbolik in Bühnenbild und Kostümen und der insgesamt reduzierten Gestaltung von Bühne und Requisiten zeitlos daher.

Da Blau und Gelb dominieren, hielten es manche aus dem Publikum für eine aktuelle Inszenierung mit politischem Bezug. Nein – das hat tatsächlich nichts mit der ukrainischen Flagge zu tun; die Farbe Blau mag man einerseits als Sinnbild der Treue Gildas bzw. der treuen Verbundenheit mit ihrem Vater deuten; wenn man Kandinskys Farbenlehre im Hinterkopf hat, mag es auch das in sich gekehrte, nach innen konzentrierte Moment darstellen.

Gelb steht sicher für den Neid, der die Höflinge in ihrem innersten Wesen durchzieht, aber auch für das Herrschaftliche bzw. das Streben nach Einfluß und Kontrolle, denn die Narrenkrone Rigolettos ist auch in Gelb gehalten. Durch orangefarbene verwischte Striche auf einer riesigen Krone, die entweder am Rande der Bühne liegt oder die als leicht zu übersteigendes kleines Gehege fungiert, entsteht ein Komplementärkontrast zum Blau und damit eine antithetische Spannung.

(c) Arno Declair / Staatsoper

Auch der Herzog trägt Gelb, während die Familie Monterone in Rot erscheint, das sowohl für die familiäre Liebe als auch für die Wut über die Schändung der Tochter stehen kann. Daß das Mörderpaar, Sparafucile und dessen Schwester Maddalena, die Todesfarbe schwarz trägt, ist ein bißchen plakativ, ebenso wie das Schwarz-Weiß von Rigoletto, der eben dunkle, ja bösartige Seiten hat und zugleich eine tiefe väterliche Liebe zu seiner Tochter empfindet. Da wollte vielleicht einer mal unschuldig bleiben, aber die Umstände haben ihn zu einem bösartigen Intriganten werden lassen. „Ihr habt mich häßlich und gemein gemacht“, sagt er in der Übersetzung, die in den Hamburger Übertiteln verwendet wird. Das Interessante ist, daß der Begriff „scellerato“ im Libretto sowohl „Verbrecher“ und „Schurke“ als auch „Narr“ bedeuten kann (das Wort gibt es sowohl als Substantiv wie auch als Adjektiv).

George Gagnidze ist dieser bösartige Narr und er singt seinen Part mit oft wütender, aber immer wieder gebrechlich klingender Stimme – sich selbst nennt er „vegliardo“., also einen „alten Mann“, wenn er die entführte Tochter von den fiesen Höflingen, die mit ihren venezianischen Masken wie aggressive Vögel wirken, zurückfordert, schließlich flehentlich erbittet. In den Tiefen klingt er zuweilen guttural, was allerdings zur Rolle paßt. In der zu Herzen gehenden Sterbeszene hätte die Regie ihn zu etwas mehr erschütterter Gestik ermuntern dürfen; vielleicht hätte er da auch einfach selbst mehr Mut zur Emotion zeigen können, denn stimmlich war die klar zu hören.

Matthew Polenzanis Herzog ist von phantastischer Wandelbarkeit in einem Spektrum von Übermut, Selbstgefälligkeit und Unbekümmertheit bis hin zu einer sanften Innigkeit. Kaum jemand der derzeit lebenden Tenöre dürfte die zärtlichen Stellen, in denen er Gilda seine Liebe erklärt, in einem solch schmelzenden Pianissimo singen, das zugleich bis in den letzten Winkel der obersten Ränge zu hören ist und das sich dann wieder zum leidenschaftlichen Crescendo aufschwingt.

Alle an die Wand spielt und singt aber Pretty Yende mit einem umwerfenden jugendlichen Charme – diese Frau ist in ihrer sympathischen Erscheinung, ihrer Spielfreude und vor allem ihrem hellen, kräftigen Sopran kaum zu überbieten. Die anspruchsvollen Koloraturen singt sie ohne jede Anstrengung und mit einer Anmut, die sprachlos macht. Das gilt ebenso für die mühelos beherrschte Dynamik wie die Exaktheit in jedem Ton; da wird nichts verschliffen oder in die Höhen geschraubt.

Sowohl in den berühmten Arien als auch in den Duetten brillieren die Protagonisten und erhalten dafür reichlich Szenenapplaus und „Brava“- bzw. „Bravo!“-Rufe. Aber auch das große Quartett im dritten Akt gerät makellos – hier zeigt Marta Śviderska als Maddalena, daß die Mörderschwester mehr als nur eine Nebenrolle zu übernehmen hat. Tigra Martirossian als ihr Bruder Sparafucile steht ebenbürtig an ihrer Seite; er und Maddalena gestalten die Psychologie der beiden überzeugend, denn sie sind ja beide keine reinen Mordmaschinen, sondern haben eigene Ehrbegriffe und empfinden sogar Mitleid.

(c) Arno Declair / Staatsoper

Stefano Ranzani leitet das Philharmonische Staatsorchester Hamburg mit Engagement und guter dynamischer Abstimmung mit Solisten und Chor, es dürfte aber bei den nächsten Vorstellungen etwas an Schmissigkeit zulegen.

Daß beim begeisterten Schlußapplaus nur die Hauptrollen abräumen durften und die kleinen Rollen (Blake Denson als Monterone, Hubert Kowalczyk als Graf Ceprano sowie Sujin Choi als dessen Gattin, Chao Deng als Marullo, Seungwoo Simon Yang als Bosra u. a.) sowie der choreographisch wie auch gesanglich einwandfreie Chor hinter dem Vorhang bleiben mußten, ist absolut unverständlich. Wer das verfügt hat, der hat den Begriff „Gesamtkunstwerk“ nicht verstanden. Es zeigt Undankbarkeit gegenüber all denen, die diesen großartigen Opernabend zu dem Erlebnis gemacht haben, das denen in Erinnerung bleiben wird, die am 17. März in der Staatsoper sein konnten.

Dr. Andreas Ströbl, 18. März 2023


Giuseppe Verdi

Rigoletto

Staatsoper Hamburg

17. März 2023

Inszenierung: Andreas Homoki

Musikalische Leitung: Stefano Ranzani

Philharmonisches Staatsorchester Hamburg

Nächste Vorstellungen: 22. und 25. März 2023