Besuchte Aufführung: 16.2.2019 (Premiere: 3.12.2017)
Gelungene Parabel auf gesellschaftliche Vorgänge
Seit einiger Zeit steht Peter Konwitschny s bereits aus dem Jahr 2017 stammende Inszenierung von Luigi Cherubinis Oper Medea wieder auf dem Spielplan der Stuttgarter Staatsoper. Das ist sehr zu begrüßen, denn wir haben es hier mit einer hoch gelungenen Produktion zu tun, die Regiealtmeister Konwitschny zur großen Ehre gereicht. Wieder einmal hat er es geschafft, den Zuschauer nachhaltig in seinen Bann zu ziehen und mit theatralen Mitteln Probleme unserer Zeit nachhaltig zu thematisieren. Um klar zu machen, dass die auf der Bühne verhandelten Probleme uns alle angehen, lässt er hier und da mal das Licht im Zuschauerraum angehen. Er deutet das Stück als Parabel auf gesellschaftliche Vorgänge, wobei er sehr sensibel auf die Zwischentöne von Gefühlen, Liebe und Zorn eingeht. Diese setzt er mit großer Akribie um. Ungemein packend ist erneut seine Personenregie. Aber darauf hat er sich ja schon immer trefflich verstanden. Die szenische Leitung der Wiederaufnahme besorgte Anika Rutkofsky.
Neris, Johannes Rempp und Julius Brodbeck (Kinder), Medea
Konwitschny und sein Bühnenbildner Johannes Leiacker, von dem auch die gelungenen Kostüme stammen, haben das Werk ausgezeichnet durchdacht und in imposanten Bildern auf die Bühne gebracht. Wenn das Auditorium seine Plätze einnimmt, erschließt sich dem Blick zunächst einmal der Vorhang, auf den ein wunderschönes Ägäis-Motiv aufgemalt ist. Sobald sich dieser hebt, wird der Eindruck aber sehr ernüchternd. Man sieht eine schmutzige Küche, in der zeitgenössisch gekleidete Menschen ihr Wesen treiben. Im dritten Akt sind die Wände dann verschwunden. Hier wird offenkundig, dass sich das Ganze auf einem Floß abspielt, dessen Spitze in bedrohlicher Art und Weise über den Orchestergraben ragt. Offenbar ist die Welt aus den Fugen geraten. Es gibt keinen Halt mehr. Hier sitzt während der von der Regie psychologisch interpretierten Gewittermusik Medea und isst sehr selbstbewusst und siegessicher einen Apfel – ein sehr eindringliches Bild. Das Meer rund um das Floß ist mit jeder Menge Plastikmüll bedeckt. Immer wieder wirft das Volk neuen Abfall in das Wasser. Die hereinbrechende Ökokatastrophe hat es selbst verschuldet.
Matthias Klink (Iason), Medea
Auch sonst lässt der Regisseur kein gutes Haar an dieser doch recht fragwürdigen, stets heiteren Gesellschaft, die von dem ein wenig Elvis Presley ähnelnden Schlagerstar Kreon beherrscht wird und ein sehr fragwürdiges Konsumverhalten an den Tag legt. Party machen, das können diese modernen Schnösel ganz vortrefflich. Sie besaufen sich und gefallen sich darin, zu den von Konwitschny als Außenseiter gedeuteten Ausländern auf Konfrontationskurs zu gehen. Toleranz ist diesem Volk fremd. Die vielfältigen Hochzeitsgeschenke, die Boten im ersten Akt herein tragen, sind dann auch eher für die Prinzessin Kreusa bestimmt als für den Fremdling Iason. Die Verpackungen, in die die zahlreichen Präsente eingewickelt waren, werden achtlos beiseite geworfen und bleiben dann die ganze Aufführung über auf der Bühne liegen. Derart intensiviert sich der Eindruck einer Müllhalde noch. Hier wird vom Regieteam auf eindringliche Art und Weise Kritik an dem fragwürdigen Konsumverhalten einer Gesellschaft geübt, die augenscheinlich keine höheren Werte mehr kennt, brutal mit Schlagstöcken hantiert und von den Verhältnissen stark deformiert wurde. Unter diesen Umständen ist es nicht weiter verwunderlich, dass die Männer karikative Züge aufweisen. Kapitalismuskritik und Gesellschaftsstudie waren schon immer ein Lieblingsthema von Konwitschny. Und auch dieses Mal führt er sein Steckenpferd recht gekonnt vor. Sein Warnruf, mit unserer Umwelt etwas pfleglicher umzugehen, schallt unüberhörbar in die Weiten des Raumes. Endzeitstimmung breitet sich aus.
Johannes Rempp und Julius Brodbeck (Kinder), Medea
Das Volk wird vom Regisseur schon außergewöhnlich negativ gezeichnet. Dieser fragwürdigen patriarchalischen Gesellschaft fällt Medea zum Opfer. Dass Konwitschny in ihr mithin nicht nur die Täterin sieht, die auf grausame Art und Weise ihre beiden Söhne ermordet, ist einer der essentiellen Komponenten der Produktion. Bei ihm sind es die Gesellschaft und die Macht der Masse, die Medea zum Mord an ihren Kindern verleiten. Diese werden von Konwitschny stark aufgewertet. Sie sind fast immer präsent und dürfen einmal sogar singen, was im Original von Cherubini nicht der Fall ist. Fast könnte man mit Medea Mitleid bekommen. Als Außenseiterin ist sie in dieser verkommenen Gemeinschaft chancenlos. Da mag sie Kreon, mit dem sie einmal sogar Oralsex hat, noch so inbrünstig um eine letzte Frist anflehen. Hier ist sie nicht so sehr Rächerin als vielmehr die Liebende. Mit großem Einfühlungsvermögen zeigt Konwitschny den Weg auf, der sie zur Tötung ihrer Kinder treibt, und betont, dass sich die Verhältnisse ändern müssen. Das Private mutiert zum Politischen. Die beiden Söhne der Protagonistin sind Ausdruck der einst großen Liebe zwischen Medea und Iason, indes ebenso Angehörige einer Generation, die noch fest in anrüchigen herkömmlichen Werten verankert ist. Damit eine Änderung überhaupt eintreten kann, müssen sie sterben. Das hat Medea trefflich erkannt. Zum Schluss eskaliert der Fremdenhass der Korinther: Medea, Iason und Neris werden in einem regelrechten Massaker von dem aufgebrachten Volk umgebracht. Dieses Ende erscheint ausgesprochen pessimistisch. Es ist nicht zu erwarten, dass sich die Gesellschaft ändern wird.
Man hat die Medea schon in den verschiedensten Sprachen gehört. Aus der Taufe gehoben wurde sie auf Französisch. Die berühmte Aufführung mit Maria Callas aus den 1950er Jahren, mit der eine Renaissance des Werkes eingeleitet wurde, erfolgte in italienischer Sprache. In Stuttgart war auf Wunsch Konwitschnys eine von Bettina Bartz und Werner Hintze geschaffene, die Ecken und Kanten des Textes betonende deutsche Fassung zu erleben. Auf die von Lachner nachkomponierten Rezitative wurde verzichtet. An deren Stelle traten sehr modern wirkende und stark gekürzte Dialoge, die Konwitschny höchstpersönlich eingerichtet hatte. Der Regisseur wollte damit eine größere Verständlichkeit des Inhalts erreichen. Dieser Entschluss erwies sich rein stilistisch als nicht sehr glücklich. Man hätte lieber beim Französischen bleiben sollen. Zudem gab es ja deutsche Übertitel. Das aufgebotene Ensemble bewegte sich auf hohem Niveau. Als Glücksfall für die Titelpartie erwies sich Cornelia Ptassek, die bereits 2017 die Premiere gesungen hatte. Es war in hohem Maße eindrucksvoll, wie sie die Rachegelüste der sehr dämonisch gezeichneten Medea auslebte, dabei aber auch tiefere Gefühle zeigte. Frau Ptassek erwies sich an diesem Abend als äußerst versierte Sing-Schauspielerin, die ihrer Rolle bereits rein darstellerisch ein starkes Gepräge gab. Auch gesanglich war sie mit ihrem wunderbar italienisch fokussierten, farbenreichen, sehr differenziert geführten und über eine gute Höhe verfügenden jugendlich-dramatischen Sopran mehr als überzeugend. Bravo! Mit großer Spiellust und insgesamt trefflich sitzendem flexiblem Tenor gab Matthias Klink dem Iason ein ansprechendes Profil. Einen bleibenden Eindruck hinterließ auch der einen voll und rund klingenden, dabei sehr sonoren Bariton aufweisende Shigeo Ishino in der Rolle des Kreon. In der Partie seiner Tochter Kreusa bewährte sich Josefin Feiler, die einen bestens fundierten, frischen Sopran ihr Eigen nennt. Bei der Neris von Helene Schneidermann bestachen in erster Linie die saubere Linienführung und der emotionale Stimmklang. Die größte Stimme hat sie indes nicht. Als Brautjungfern gefielen Aoife Gibney und Fiorella Hincapie. Einen beherzten Eindruck hinterließen die beiden Kinder von Johannes Rempp und Julius Brodbeck. Hochkarätig präsentierte sich wieder einmal der von Manuel Pujol einstudierte Staatsopernchor Stuttgart.
Ensemble, Staatsopernchor und Statisterie
Am Pult erbrachte Marie Jacquot, Erste Kapellmeisterin und stellvertretende Generalmusikdirektorin am Mainfrankentheater Würzburg, eine ansprechende Leistung. Zusammen mit dem versiert aufspielenden Staatsorchester Stuttgart erzeugte sie einen nuancenreichen und von großen Gefühlen geprägten Klangteppich, der sich obendrein oft durch große Dramatik auszeichnete. Insbesondere die leisen Stellen schienen der französischen Dirigentin sehr am Herzen zu liegen.
Fazit: Ein rundum gelungener Opernabend, der der Stuttgarter Staatsoper zu großer Ehre gereicht.
Ludwig Steinbach, 17.2.2019
Die Bilder stammen von Martin Sigmund