Berliner Premiere am 10.7.2016
Blutiges Geschehen zu Minimalmusik
Nun auch in den großen Saal des Schillertheaters geschafft hat es das bereits zur Tradition gewordene Festival „Infektion!“, jeweils am Ende einer Saison stattfindend, mit Salvatore Sciarrinos „Luci mie traditrici“, und Intendant Jürgen Flimm selbst hat das Stück seines Freundes in Koproduktion mit Bologna als seine dritte Produktion in dieser Saison nach“ Le Nozze di Figaro“ und „Orfeo ed Euridice“ inszeniert.
1998 fand die Uraufführung des Zweiakters in deutscher Sprache und unter dem Titel „Die tödliche Blume“ statt, 2010 war es in Originalsprache (das Libretto stammt vom Komponisten selbst) bereits im Rahmen des Festivals zeitgenössischer Musik in Berlin zu erleben. Die Handlung geht auf den 1590 stattgefundenen Mord des Komponisten Carlo Gesualdo Fürsten von Venosa an seiner Gattin und deren Geliebten zurück, der von Giacinto Andrea Cigognini zum Stoff eines Schauspiel gemacht wurde, welches wiederum die Vorlage zum Libretto abgab.
Sciarrinos Kammeroper beginnt mit der Bearbeitung einer Elegie von Claude Le Jeune, von einer Solostimme gesungen, die abbricht, wenn das Orchester einsetzt, und die immer wieder, der Handlung entsprechend degeneriert, immer zerrissener und schwächer werdend, erklingt. Die Musik schildert eher die Vorgänge in den Seelen der Mitwirkenden als das szenische Geschehen, den uralten Konflikt, dem sich gehörnte Ehemänner Jahrhunderte hindurch ausgesetzt sahen: Wenn ein Dritter (hier der Diener) vom Ehebruch der Gattin weiß, kann die verlorene Ehre nur wieder hergestellt werden, wenn die immer noch geliebte Sünderin mit dem Tode oder Verstoßenwerden büßt. Dieses traf nicht nur im 16. Jahrhundert Gesualdo, sondern neben vielen anderen im 19. Jahrhundert Baron Instetten, Ehemann von Effie Briest, Theodor Fontanes tragischer Heldin. In Sciarrinos Oper allerdings driftet man sehr schnell vom Sozialen zum Existenziellen, bezieht auch den Diener in das mörderische Geschehen mit einem Messer im Rücken ein.
Jürgen Flimm lässt das Stück im 19. Jahrhundert in einem karg möblierten, nicht adligen, nicht einmal großbürgerlichen Wohnraum spielen (Bühne Annette Murschetz), in der Schlussszene öffnet sich die hintere Wand, die bereits früh einen klaffenden Riss zeigte, um den Blick auf ein eher Dienstbotenzimmer als ein Schlafgemach mit Alkoven freizugeben. Kostbarer sind die Gewänder, so das der Malaspina, das des Servo allerdings kann sich nicht recht entscheiden zwischen Harlekin- und Kellnerkluft (Kostüme Birgit Wentsch). Die insgesamt recht realistische Optik befindet sich in einem gewissen Widerspruch zur sich über weite Strecken und zunehmend in unwirklich erscheinendes Wispern, fast unhörbares Zirpen verlierenden Musik. Auch die Sänger, deren gutes Italienisch im Juni in der italienischen Presse gelobt wurde, nehmen streckenweise etwas Verhuschtes, Unbestimmtes in Sprech- und Singweise an, das einen wirkungsvollen Kontrast zu den voll ausgesungenen Phrasen bildet und für ein ständiges Spannungsverhältnis zwischen Handlung und Haltung ihrer Protagonisten sorgt.
Wo Sciarrino ist, findet man meistens auch Otto Katzameier, für den der Komponist mehrere Partien und einen Liederzyklus geschrieben hat. Der Bariton klingt etwas dumpf, kann aber auch auftrumpfen und charakterisiert den unglücklichen Malaspina vorzüglich, macht ihn zu einer unvergesslichen Bühnenfigur. Attraktiv in jeder Hinsicht füllt Katharina Kammerloher mit hochpräsentem Mezzo die Rolle der Malaspina aus. Meistens von einem Countertenor gesungen wird L’ospite. Lena Haselmann lässt die Figur gerade durch den Geschlechterwechsel geheimnisvoll und anziehend wirken, und der frische Sopran trägt das Seinige dazu bei. Mit klarem, prägnantem Tenor singt Christian Oldenburg den Servo. Eine sehr gute Idee ist es, das Madrigal zu Beginn hinter der Bühne von Kindern singen zu lassen so dass der Kontrast zwischen der Reinheit des puren Gesangs und dem nachfolgenden blutigen Geschehen noch krasser ausfällt. Das kleine Orchester unter David Robert Coleman widmet sich mit Hingabe und Erfolg der ungewohnten Aufgabe, aber immerhin ist es bereits die vierte Produktion einer Oper des sizilianischen Komponisten an der Staatsoper.
Fotos Clärchen und Matthias Baus
10.7.2016 Ingrid Wanja