Braunschweig: „L’Invisible“

Besuchte Vorstellung am 30.05.19 (Premiere am 25.05.19)

Spiel´mit mir das Lied vom Tod

TRAILER

Was mir an der "neuen" Linie des Staatstheaters Braunschweig gut gefällt, ist das neue Opern, nach der Uraufführung nachgespielt werden und sich so im Repertoire bewähren können. Statt, das sich ein Haus mit den Federn einer Uraufführung schmückt, die dann sang- und klanglos in den Annalen der Welt verschwindet. So hatte man sich diese Saison für Aribert Reimanns "LÍnvisible" entschieden, der an der Deutschen Oper Berlin im Herbst 2017 zum ersten Mal auf die Bretter kam. Reimann hat ja schon fast ein bißchen Tradition in Braunschweig, so in den Siebziger Jahren "Melusine", und in den Achtzigern der "Lear".

Jetzt also Reimanns letzte Oper, wie er selbst sagt, nach drei Einaktern von Maurice Maeterlinck in französischer Sprache. Maeterlinck ist mindestens also Autor von "Pelleas und Melisande" bekannt, das Werk war dem Komponisten ein echtes Bedürfnis und reifte schon lange in ihm heran. In allen drei Einaktern geht es um Situationen in Familiengruppierungen die mit dem Tod zu tun haben, diesem mysteriösen Geschehen, das stets um uns herum webt, aber über das keiner so recht erzählen kann. Reimann hat für jeden der Akte eine eigene Orchestersprache gefunden, während der erste nur in den Streichern der Orchesters statt findet, dominieren die Holzbläser den zweite, erst im dritten findet das gesamte Orchester zum Gesamtklang. Reimann hat das so raffiniert komponiert, das sich einem das eher sinnlich, als bewußt mitteilt. Das der Komponist ein Sängerfreund ist wissen wir schon lange. Man hört also eine moderne, aber auch sehr betörende Musik, die sich direkt dem Zuschauer mitteilt. GMD Srba Dinic und das Staatsorchester Braunschweig beweisen und spielen das einfach fantastisch, mehr muss man nicht sagen.

Auch die Sänger scheinen handverlesen zu sein und übernehmen in jedem Akt die entsprechenden Rollen: an der Spitze Jelena Bankovic in den drei Hanptpartien mit schlichtweg schönem Sopran und hoher Ausdrucksbreite von feinem Lyrismus bis dramatischem Espressivo. Alle anderen ordnen sich in kleineren Partien unter, gefallen aber in ihren jeweils herausragenden Momenten und beweisen, wie schön moderne Musik klingen und gesungen werden kann, daher ein gemeinsamer Dank an Zhenyi Hou, Dorothea Spilger, Samuel Levine, Vincenzo Neri und Jisang Ryu, ebenso an den jungen Fabian Zöller in der Sprechpartie des Tintagiles. Besonders herausgehoben müssen allerdings das Trio an Countertenören werden, die zwischen den ersten Akten die madrigalhaften Zwischenspiele singen und erst im dritten Teil als mörderische Dienerinnen dramatisch Bedeutung gewinnen; purer Schönklang von allen dreien, dabei bei jeweils sehr ausgeprägtem persönlichen Timbre mit spürbarer Freude an der musikalischen Aufgabe: danke an Zvi-Emanuel Marial, Konstantin Derri und Rik Willebrords.

So wunderschön die musikalische Seite ist, so habe ich doch mit der szenischen meine Probleme. In der Berliner Uraufführung konnte man eine sehr konservative, opulente, aber auch enorm werkdienliche Inszenierung erleben, in Braunschweig konnte man mit Tatjana Gürbaca eine bekannte Regisseurin gewinnen, die versuchte einen anderen Zugang zu gewinnen. Auf der vorgezogenen Bühne bis in den Zuschauerraum fand das Geschehen statt, während das Orchester im Hintergrund der Hauptbühne plaziert war. Marc Weeger stellt in die Mitte einen offenen, wie geschlossenen Raum der sowohl "Haus" wie auch "Zimmer" suggeriert, links trockenes Laub, rechts kahles Gezweig als Symbol des Todes, im hochgefahrenen Orchestergraben neben Stühlen auch Garderobenständer mit Kostümen ,modern und auch historisch von Silke Willrett. Es handelt sich um eine Situation des "Spiels" auf der Bühne, Rollen werden verteilt, Menschen versuchen mit dem Phänomen "Tod" auf theatralische Weise klar zu kommen, so würde ich die Grundsituation beschreiben. Gürbaca hat mit den engagierten Sängern sehr fein gearbeitet, doch irgendwie entgleitet einem der Abend, denn es gibt ständig vielerlei zu sehen, dann wird die Bühne nach und nach mit Requisiten zugemüllt, bis im letzten Teil merkwürdig clowneske Ballettkostüme für die mordenden Dienerinnen dazukommen, da wird verzweifelt und auch viel verzweifelt gelächelt und gegrient, bis die Handlung noch verworrener als sie ist wird.

Mir persönlich ist das alles viel zu viel und ich habe das Gefühl immer ärgerlicher auf dieses Szenenkonglomerat zu werden, das mir eher das Denken verstellt, als das es einem irgendwie gearteten Nutzen dient, zu werden. Am Schluss finde ich diese Regiearbeit einfach gräßlich gewollt, entschuldigung, aber meine Meinung !

Was bleibt: ein wirklich interessantes Werk voll ganz toller Musik, aber ein verstellendes "Viel zu Viel" auf der Bühne. Trotzdem für Freunde "Neuer Musik" oder einfach neugierige Opernfreunde ein hörenswerter Abend.

Martin Freitag 6.6.2019

Fotos (c) Thomas M. Jauk / Stage Pictures