Premiere am 28. Oktober 2018
Spannendes Musiktheater
Mit Machtspiele, der neuen spartenübergreifenden Produktion des Staatstheaters, die jetzt im Kleinen Haus Premiere hatte, ist spannendes, jede Minute fesselndes Musiktheater gelungen. Es handelt sich dabei um die Zusammenfassung dreier Einakter aus dem vorigen Jahrhundert, die sich mit unterschiedlichen Strukturen und Facetten von Machtausübung beschäftigen.
Zunächst geht es in der 1930 uraufgeführten so genannten Schuloper Der Ja-Sager von Kurt
Weill ins japanische Nô-Theater des 15. Jahrhunderts, wo eine Gemeinschaft alte Bräuche über die Moral stellt. In dem „Lehrstück“ der damaligen Schulmusikbewegung wird eine einfache Geschichte erzählt: Ein Junge beteiligt sich an einer Expedition seines Lehrers mit Studenten zu den „großen Ärzten“ jenseits des Gebirges, um Medizin und Rat für seine kranke Mutter zu bekommen. Den schwierigen Weg schafft der Junge nicht; er kann weder selber weitergehen noch getragen werden. Mit seinem „Einverständnis“ wird der Junge nach dem „Großen Brauch“ ins Tal und damit in den Tod gestürzt – ein Ende, das an die Nieren geht, aber zum Widerspruch reizen soll.
Im Hintergrund der Bühne im Kleinen Haus waren das bestens disponierte Staatsorchester in kleiner Besetzung sowie ein kleiner, ausgewogen klangvoller Projektchor (Mike Garling) postiert, die alle mit überaus präziser Zeichengebung von Alexis Agrafiotis geleitet wurden. Warum er eine blonde Perücke à la Simon Rattle trug, hat sich mir nicht erschlossen. Auf der großen weißen Spielfläche gab es in allen drei Stücken nur ganz sparsames Mobiliar, das von Technikern aufgestellt und wieder von der Szene getragen wurde. Sie gaben auch die Requisiten wie Kaffeetassen, Aschenbecher, Wassergläser oder später ein Telefon und die im dritten Stück wichtige Pistole den Protagonisten und nahmen sie ihnen wieder ab – das war meist überflüssig und sogar störend. Entscheidend aber waren die raffinierten Videoprojektionen (Ausstattung: Florian Barth), die die jeweiligen Örtlichkeiten und das Geschehen sehr instruktiv verdeutlichten. In allen drei Stücken erwies sich außerdem die Regie des Braunschweiger Schauspielleiters Christoph Diem als insgesamt ausdrucksstark und wurde dem jeweiligen Anliegen der unterschiedlichen Werke angemessen gerecht. In Der Jasager trat Maximilian Krummen als biederer Lehrer auf, der mit tragfähigem, abgerundetem Bariton glaubwürdig seine Empathie gegenüber dem Jungen (mit sauberem und klarem Knabensopran sowie intensiv glaubhaftem Spiel Moritz Gildner) zeigte. Die kranke Mutter war mit angenehm timbrierten Sopran das neue Ensemblemitglied Anat Edri; als Studenten, die letztlich den „Alten Brauch“ durchsetzten, agierten stimmkräftig Matthias Stier, Michael Pflumm und Jisang Ryu.
Alexis Agrafiotis/Saskia Petzold
In Der Tribun, Musiktheater für einen politischen Redner, Marschklänge und Lautsprecher von Mauricio Kagel (1979), probt ein Staatsoberhaupt mit Hilfe von Rhetorik und Musik die Manipulation der Bevölkerung. Kagel beschreibt das u.a. so: „…der erste Mann im Staat übt eine jener endlos dahinfließenden Reden, die er häufig der versammelten Bevölkerung vorzutragen pflegt.“ Von Zeit zu Zeit spielt er sich Märsche ein, besser gesagt Parodien; denn die eingespielten Märsche in ihrem verqueren Rhythmus können wohl nicht zum Sieg verhelfen. Dies war nun die große Stunde der Schauspielerin Saskia Petzold: Wie sie den seit Jahrzehnten herrschenden „Tribun“ mit seiner Phrasendrescherei, aber auch seinen Zweifeln und auf der anderen Seite den bewussten Manipulationen seines Volks darstellte, das hatte wirklich herausragendes Format. Auch hier zeigten die Videoproduktionen, wenn plötzlich alles in Flammen steht oder auf Grund von Bombeneinschlägen zugrunde geht, eindrucksvolle Wirkung. Neben dem riesigen Schreibtisch saß der Dirigent, der über Video das hinter einem Vorhang sitzende Staatsorchester leitete, das die teilweise grotesken Marsch-Rhythmen intonierte.
Anat Edri/Jelena Bankovic
Als drittes Werk gibt es Der Diktator von Wolfgang Krenek, uraufgeführt 1928: Der Diktator (Vorbild: Mussolini) macht angeblich Urlaub in Montreux. Tatsächlich hat er Pläne zur Durchführung eines neuen Kriegs. Seine Frau Charlotte beschwört ihn vergeblich, mit dem Blutvergießen aufzuhören. Er begehrt Maria, die Frau des Offiziers, der im vorigen Krieg infolge des eingesetzten Giftgases erblindet ist. Diese beschließt, den Diktator zu töten. Als Maria ihm jedoch gegenübersteht, fühlt sie sich so sehr von ihm angezogen, dass sie sich schließlich die Waffe wegnehmen lässt (von einer Technikerin!) legt; beide beschwören unerwarteter Weise ihre gemeinsame Liebe. Die eifersüchtige Charlotte erhält die Waffe, um den Diktator zu erschießen, trifft jedoch versehentlich Maria, die sich schützend vor ihn gestellt hat.
Erneut beeindruckten die Video-Einspielungen am Boden der Spielfläche, die die Eleganz des Hotels in Montreux ebenso gut charakterisierten wie den dazu gehörenden Park mit seiner Blumenpracht oder die sich ausbreitende Blutlache.
Maximilian Krummen/Anat Edri
Hier überraschte besonders die gestalterische Vielseitigkeit von Maximilian Krummen, der den Diktator mit charismatischer Anziehungskraft überzeugend darzustellen wusste. Dabei gefiel erneut sein überaus ausdrucksstarker, sicher durch alle Lagen geführter Bariton. Die Ehefrau des Diktators Charlotte war bei Jelena Banković und ihrem intonationssicheren, klaren Sopran in guten Händen. Ihre „Gegenspielerin“ Maria war Anat Edri, die ebenfalls durch sichere Sopranhöhen und differenzierte Ausdruckskraft imponierte. Als versehrter Offizier setzte Michael Pflumm seinen in allen Lagen gut durchgebildeten Tenor überzeugend ein.
Das Publikum zeigte sich zu Recht begeistert über die zum Nachdenken bringende, in jeder Beziehung lohnende Produktion und spendete allen Mitwirkenden lang anhaltenden Applaus.
Fotos: © Thomas M. Jauk
Gerhard Eckels 29. Oktober 2018