Meiningen: „Die Csárdásfürstin“, Emmerich Kálmán

© Christina Iberl

Setzt ein Theater heute die Csárdásfürstin auf den Spielplan, kann mit Emmerich Kálmáns Musik fast nichts danebengehen. Es sei denn, die Operette wird als glitzernde Revue überfrachtet oder in ein polit- und gesellschaftskritisches Gegenwartsstück minimiert. Davon blieb das Meininger Theater gottlob verschont.

Dass Regisseur Dominik Wilgenbusch zusammen mit Peter Engels Bühnenideen und den Kostümen Uschi Haugs dem Werk Leichtigkeit und Tiefgang, Komik und Tragik verleiht, ist ein prächtiges Weihnachtsgeschenk für das Publikum.

Draußen knirscht es im Weltgefüge, der Erste Weltkrieg ist ausgebrochen. Drinnen will man das nicht wahrhaben und blendet es aus. Wer es sich leisten kann, findet in Varietés bei den „Mädis“ und im Rausch Zerstreuung und flüchtiges Glück.

Sylva Varescu ist der Star des „Orpheum“ in Budapest. Emma McNairy prägt diese Rolle nicht nur stimmlich eindrucksvoll, sondern auch charakterstark. Fürstensohn Edwin hat sich in sie verliebt und verspricht ihr sogar die Ehe. Aber gegen Sylva erscheint er blass und schwach. Garrett Evers darf weit weniger Persönlichkeit zeigen und wirkt auch optisch eine Nummer kleiner, obwohl der zarte Schmelz seiner Stimme durchaus besticht. Ganz das Gegenteil verkörpert sein Freund Graf Boni. Johannes Mooser verleiht diesem ungestümen Lebemann ein hinreißendes Profil. Er changiert zwischen Leichtlebigkeit, Nachdenklichkeit, Sinnesfreude und Humor. Sein Auftreten ist stets hyperpräsent und raumfüllend und fast ist er, optisch zumindest, der eigentliche Star dieser Aufführung. Trotz seiner mächtigen Erscheinung agiert er mit Leichtfüßigkeit und herrlicher Choreografie, was aufkeimender Tragik gleich wieder den Raum nimmt. Tomasz Wija zeigt als Theaterchef Feri klare Kante und wird dieser Rolle als hervorragender Bass-Bariton mehr als gerecht.Natürlich wollen Edwins Eltern, Fürst Lippert-Weylersheim und seine Frau Anthilde verhindern, dass der Spross eine Dame aus dem Theater heiratet. Matthias Herold gibt sich als Fürst autoritär mit übertriebenem Dünkel, der ihn á la Harald Juhnke fast zur Karikatur werden lässt. Mit der Einberufung des Sohnes zum Militär funkt er dazwischen. Außerdem arrangiert er eine standesgemäße Hochzeit mit Cousine Stasi. Enttäuscht verlässt die Star Chansonette mit Graf Boni das Land.

© Christina Iberl

Im ersten Akt fungiert eine rote Minibühne auf der Bühne als Kulisse, die szenisch interessant wandelbar ist. Davor bleibt genügend Raum für die Darsteller Sylva hat ihren großen Auftritt. Sie trägt kein frivoles Glitzerfähnchen, sondern eine fast königliche Robe im Stil der Zeit. Männer im Frack mit weißen Straußenfedern vollführen ein Ballett, das mit wohldosierter Komik schon darauf hindeutet, dass die Choreografie Tamás Mesters noch Überraschungen bieten wird. So zeigt ein Tanzpaar im Pas de deux hochsensibel die innersten Wünsche und Qualen der beiden Protagonisten. Diese zweite Darstellerebene wird bis zum Schluss bleiben und verleiht dem Geschehen eine zu Herzen gehende Tiefe. Melancholie keimt auf, wenn ein altes Paar seine Liebe und Empfindsamkeit ganz zart in den Raum gleiten lässt. Spätestens hier begreift auch der Letzte, dass es dem Regisseur um weit mehr als oberflächliche Walzerseligkeit geht.

Toll, was sich Bühnenbildner Engel für den 2. Akt einfallen ließ. Nicht etwa Protz und Prunk im Fürstenpalast signalisieren den Schauplatzwechsel, sondern ein riesiges Halbrund im Hintergrund voller exotischer Vögel, die starr auf Gitterstäben sitzen. In der Mitte gähnt ein großes Einflugloch. Der Clou ist ein überdimensionales Vogelvieh, mit dem sich allerlei anstellen lässt.

Edwin wehrt sich nicht mehr gegen die geplante Vernunftehe, und wenn Cousine Stasi nun rät: „Machen wir’s den Schwalben nach, bau’n wir uns ein Nest“, erklärt sich die Vogelmetapher von selbst: Man sitzt dann zwar im Käfig, aber in einem goldenen. Und wieder ist die Frau dem Mann überlegen. Sie ergreift die Initiative, büxt nicht aus, sondern arrangiert sich. Monika Reinhard hellt die Situation durch ihre quirlig kesse Art spontan auf. Mädchenhaft und grazil, raffiniert und selbstbewusst gibt sie den Ton an. Und was für einen. Seit Jahren gehört sie zu den Juwelen im Meininger Ensemble.

© Christina Iberl

Spätestens im 3. Akt, wenn die Lampen flackern, wird die heile Operettenwelt brüchig. Ein riesiges Loch klafft in der Wand, als hätte eine Bombe eingeschlagen. Sirenengeheul, Kanonendonner und Rauch zeigen die Realität des Kriegsgeschehen unübersehbar und unüberhörbar. Auch wenn sich Sylva und Edwin nach typischem Operettenschwachsinn doch kriegen und Stasi und Boni ebenfalls ein Paar werden, bleibt die äußerst bange Gewissheit: Die heile Welt ist nur Fiktion.

Schon die Ouvertüre lässt richtungsweisend Tragik und Melancholie spürbar werden. Eine Tänzerin geistert durch nebelverhangenen Raum. Kens Lui balanciert Musik und Geschehen sehr einfühlsam aus. Natürlich peitscht er sein Orchester zum mitreißenden Csárdás und erlaubt dem Publikum Gelegenheit zum Mitklatschen. Ohne geht’s halt nicht. Es gelingt ihm auf einer fein abgestimmten Basis stets so zu agieren, dass die Protagonisten nicht überspült werden. Kálmáns Musik ist eine Droge und hier wird sie behutsam bewusstseinserweiternd eingesetzt, macht aber natürlich süchtig. Dass auch David Rothenaicher seinen Chor stimmlich und choreografisch genau auf diese Bedeutungsebene gehoben hat, trägt dazu bei, dass in dieser Inszenierung weder der Spaßfaktor, noch plumpe Folklore viel Raum gewinnen können.

Regisseur Dominik Wilgenbusch, Bühnenbildner Peter Engel und Kostümbildnerin Uschi Haug gelang eine außergewöhnliche Version dieser Operette, die in ihrer Stimmigkeit und Perfektion dem Meininger Staatstheater mehr als würdig ist.

Was bleibt? Neben den Ohrwürmern das Bewusstsein: „Carpe diem!“

Inge Kutsche, 12. Dezember 2025


Die Csárdásfürstin
Operette von Emmerich Kálmán
Staatstheater Meiningen


Premiere am 5. Dezember 2025

Regie: Dominik Wilgenbusch
Musikalische Leitung: Kens Lui
Meininger Hofkapelle

Weitere Vorstellungen: 14., 19., 31. Dezember 2025, 10., 20., 21. Januar, 21. März, 29. Mai und 2. Juli 2026