Premiere: 12.5. 2019
Möglicherweise soll das lustig sein…
Angeblich weiß ja jeder Regisseur, wer oder was das ist: Lohengrin. Für Wagner war er, jedenfalls hat er das einige Jahre nach dem Entwurf des Textbuchs ungefähr so ausgedrückt, der Ausnahmekünstler an sich (also er selbst: Wagner). Für die einen ist er eine Traumgestalt, Elsas Wunschvision (die Version Kupfer), für die anderen ein frauenfeindlicher Faschist (die besonders schreckliche Variante war vor Urzeiten in Augsburg zu sehen), für die dritten ein Chemielehrer (Konwitschnys Vorstellung), für Neo Rauch und Rosa Loy der Mann vom Elektrowerk, für Henning von Gierke und Werner Herzog war er ein Mann, der aus den Tiefen der deutschen Romantik kam. Für Lorenzo Fioroni war er, das war in Kassel, und es war gut, drei verschiedene Figuren aus drei Epochen. Für Hinz und Kunz ist er eine Art Supermann. Genau so tritt er auch in der neuen Nürnberger Inszenierung auf: wie eine Figur aus einem Marvel-Comic. Und Elsa und ihre Gegenspieler ähneln auffällig, nein: SEHR auffällig den kostümierten Figuren aus dem „Game of Thrones“. Die Kostümgestalterin Katharina Tasch hat fröhlich im Fundus gewühlt, den ihr die Filmserie zur Verfügung gestellt hat. Einfaches Googeln bringt die Vorbilder, bis hin zu den Perückendetails, zum Vorschein: von Ortruds und Telramunds wodanistischen Rabenüberzügen zu Elsas blondem Haarkranz. Hinzu kommt, bei den Deutschen, ein peinlicher Schuss Mittelalter-Historismus im Stil der Historienschinken der 50er Jahre. Ich sage nur: Prinz Eisenherz. Möglicherweise soll das lustig sein, aber wenn zwischen Ironie und relevanter Anspielung kein Partiturblatt mehr passt, hat die Regie irgendetwas falsch gemacht. Eine Inszenierung im konsequenten Stil von Monty Python wäre vielleicht nicht besser, aber lustiger gewesen.
Auch weist der Besetzungszettel neben den bekannten Namen und den vier Edelknaben, die hier als buchstäblich aufgescheuchte Hühner mit silbernen Engelsflügeln über die Bühne wedeln, zwei weitere Figuren explizit aus: Wotan und Parzival. Sie stehen im ideologischen Hintergrund des Konflikts, werden auch von Wagner ausdrücklich genannt, wobei wir mal eine Sekunde vergessen, dass Wotan bei Wagner, gut sächsisch, mit weichem „d“ geschrieben wird (Textkenner können ja, auch und gerade in der Oper, so lästig sein…). Der Besetzungszettel hätte eine dritte Figur listen können. Nennen wir sie die „Rabenmutter“ oder „Rabenfrau“ – ein Teil jener heidnischen Gemeinschaft, die der Regisseur David Hermann und der Dramaturg Georg Holzer als „Brabanter“ definiert haben. Telramund darf im zweiten Akt heftig mit der kleinen Frau rummachen, die der Ortrud so ins Ohr flüstert wie Parzival seinem Sohn im Brautgemach. Dafür fehlt nur der Schwan… aber der ist, wir erfahren es am Ende, kein Anderer als Telramund, der flugs von den Toten aufersteht, um die Herrschaft an sich zu reißen. Zugegeben: diese Szene ist so hirnzerreissend originell wie der Beginn des dritten Akts, den man gewiss noch nie so gesehen hat. Der wilde Wotan feiert da, samt Spanferkel, mit seinen Walküren oder Mitgöttinnen eine wilde Sauf- und Fressorgie. 30 Minuten später wird der wilde Geselle neben dem toten Telramund stehen und höhnisch lachen.
Nun kann man ja den Gegensatz von Heiden und Christen, wie er sich im Wiederspiel von Ortrud und Elsa niederschlägt, zur Grundlage einer Inszenierung machen und den wilden Wotan hier und den – wie gesagt: im Stil von Filmen wie „Ivanhoe, der schwarze Ritter“ erscheinenden – Parzival persönlich aufeinander treffen lassen. Die Brabanter werden in dieser Lesart zu einem Volksstamm, der unzureichend christianisiert wurde und nur durch die Gewalt der deutschen Ritter daran gehindert wird, zu den alten Kulten der „vermoderten Götter“ (O-Ton Wagner) zurückzukehren. Nur dumm, dass das sog. Konzept schon bald nicht mehr funktioniert, weil Wagners Text, sehen wir einmal von der Kleingruppe der vier Edlen ab, blöderweise eine ideologische Einheit von Brabantern und Deutschen behauptet, die auch durch bekannte Regietricks (die Brabanter meinen nicht wirklich das, was sie jubelnd singen, weil ihnen die Deutschen Textblätter in die Hände drücken: billiger geht’s nicht) nicht beseitigt werden kann. Ergo: Die neue Nürnberger Inszenierung ist ein hervorragendes Beispiel für ein absurdes Operntheater, das sich – unbeeindruckt von relevanten Informationen des Textbuchs und, was schlimmer ist, der Musik und ihrer konkreten Motivik – mit Brachialgewalt den Stoff zurichtet.
Zugegeben: eine „stimmige“ Interpretation der Oper, die mit unseren Erfahrungen zu tun hat, ist furchtbar schwer. Die besten Regisseure sind an dieser Oper gescheitert; Hermanns und sein Team aber reduzieren Wagners gewiss nicht einfache, vielleicht, seien wir ehrlich, für uns letzten Endes unverständliche Botschaft auf eine Pointe, die zwar gelegentlich für witzige und gelinde bildmächtige Szenen sorgt, aber leider nichts als gut gemeint ist. Die Buhrufe am Ende waren nur allzu verständlich – die Begeisterung zumal für die Sängerinnen schon etwas weniger. Denn Emily Newton liegt die Partie der Elsa noch nicht so gut in der Kehle, auch wenn man nicht jeden etwas tiefergelegten Ton auf die Goldwaage legen sollte, und Martina Dikes Ortrud zeichnet sich bisweilen durch unschöne Tongebung und undeutliche Artikulation aus. Wo es um die absolute Genauigkeit der Sprache und den Wortsinn geht, ist auch Sangmin Lee als Telramund, zumindest in den schnelleren Passagen, ein problematischer, wenn auch kraftvoll auftretender, dramatisch und dunkel timbrierter Sänger, der wie ein wilder Asiate eine wilde Horde anführt. Daneben glänzt Karl-Heinz Lehner als äußerst profunder König, während Daeho Kim, der wie der kleine Bruder der Turandot auftritt, als Heerrufer gut, aber eben nicht mehr als das ist. Merke: Heerrufer müssen so exzellent sein, dass man sie jederzeit als Hauptrolle wahrnimmt.
Bleibt die Hauptrolle: Eric Laporte ist ein Sänger, der sie tatsächlich ausfüllt. Gesegnet mit einem warmen Tenor, hat er beides im Repertoire: das Heldische und das Lyrische, das Piano und das ausgewogene Forte. Als Typ, der während des Vorspiels in der Gralsrunde steht, wo ihm die Aufgabe erteilt wird, der gerade als Imago erscheinenden Elsa zu Hilfe zu eilen, ist er von Beginn an ein Fremdbestimmter, der am Ende von seinen Genossen mit Gewalt abgeholt wird und der Frau nicht als „Held“, sondern als einer entgegen tritt, der keine Erfahrung mit Frauen hat. Zärtlich: ihr erster Kuss, vor allem Volk. Das ist rührend, auch nicht ganz falsch, zumindest auf einem Niveau psychologisierend, das dem allzu einfachen Konzept des Antagonismus von Heiden- und Christentum etwas Intelligenteres entgegen setzt. Man ist ja inzwischen schon dankbar, wenn Elsa im Brautgemach nicht mit Stromkabeln fixiert wird… Der Rest bleibt Behauptung – und mehr oder weniger amüsantes Kasperletheater. Die zentrale Ortrud-Telramundszene bietet an diesem Abend leider kein wirkliches Gegengewicht.
Gab es sonst noch Schönes? Durchaus. Das Bildkonzept (Jo Schramm) steht zwar quer zum historistisch-modernistischen Kostümbild, um einen symbolistischen und abstrahierten Eklektizismus zu ermöglichen. Die Riesenstäbe, die zunächst wie im Mikadospiel durcheinander stehen, ordnen sich mit dem Auftritt des Supermannes zu regelmäßigen Reihen, die immer wieder, in der Vertikale und der Horizontale, neue Raumstrukturen und -verwandlungen, Reihen und Wände ermöglichen. Die Gralserzählung wird, zum Beispiel, separiert vom Chor gesungen, der übrigens während derselben abgeht (wie gesagt: absurdes Theater). Hier hat der phänomenale, von Tarmo Vaask geleitete Chor genügend Platz, auch wenn mal ein Riesengefährt, auf dem sich Telramund und Ortrud triumphierend positionieren, die Bühne erobert. Endlich steht wieder die GMD Joana Mallwitz am Premierenpult. Die Staatsphilharmonie Nürnberg spielt einen ganz exzellenten Wagner, indem jede „Nebenstimme“ so lebendig aus dem Orchestergewebe heraustönt, wie Wagner es konzipierte. Im Gegensatz zur Regie setzt die orchestrale Interpretation auf eine Genauigkeit, die die großen Bögen mit den kleinteiligsten Phrasen ins Gleichgewicht bringt: sublim die Holzbläser, erhaben die Posaunen, im Ganzen zügig bewegt (typisch: das Brautgemachlied), immer um dramatische Klarheit bemüht. Riesenbeifall für Sänger und Orchester, gemischter Applaus oder eben: auch Nichtapplaus fürs Regieteam, das die Frage, wer denn Lohengrin sei, nicht ganz falsch beantwortete, um sein konzeptionelles Glück denn doch auf eine fixe Idee zu setzen.
Frank Piontek