Bremerhaven: „Orpheus in der Unterwelt“, Jacques Offenbach

Nun wissen wir, wer den Bremerhavener Molenturm in Schieflage gebracht hat: Es war der teuflische Pluto. Diese Erkenntnis verdanken wir der rundum gelungenen Inszenierung von Jacques Offenbachs Operette Orpheus in der Unterwelt durch Isabel Hindersin in der Ausstattung von Dietlind Konold. Zu Beginn sieht man nämlich ganz im Hintergrund einen noch aufrechten Turm, der in dem Moment schräg steht, wenn der Schäfer Aristäos sich spektakulär als der Höllenfürst Pluto zu erkennen gib und Eurydike nach einem Schlangenbiss in die Unterwelt entführt. Dorthin wünschte ihr Gatte Orpheus sie ohnehin, denn er selbst war es, der die giftige Schlange in ihrem Bett versteckt hat.

Direkt vor dem beschädigten Turm spielen die weiteren Szenen, die im Olymp und die in der Hölle. Eigentlich gibt es da auch keinen Unterschied, denn hier wie dort geht es in Hindersins Inszenierung turbulent und vergnüglich zu. Dazu hat sie den Spielraum um einen Steg rund um den Orchestergraben erweitert – und viele Auf- und Abtritte finden durch die Seitentüren des Zuschauerraums statt. Die Charakterisierung des göttlichen, höllischen und irdischen Personals ist vortrefflich gelungen. Jupiter ist ein leicht überforderter und genervter Chef des Olymps, Cupido ein schalkhafter Teenager, der Jupiter mit „Opa“ anredet, Pluto ein charmantes Schlitzohr, Orpheus ein dröger Musiklehrer. Und Eurydike, das Objekt der Begierde, gibt sich schmollend, selbstbewusst und verführerisch.

(c) Heiko Sandelmann – Signe Heiberg (Diana), Lilian Giovanini (Venus), Elena Zehnoff (Juno), Róbert Tóth (Mars), Opernchor des Stadttheaters Bremerhaven

Auch dem Auge wird viel geboten: Die Öffentliche Meinung (Boshana Milkov) schwebt aus schwindelerregenden Höhen herab, Jupiter und Pluto liefern sich einen Fechtkampf mit bunten Leuchtstäben, sechs Tänzerinnen (Choreographie Rosemary Neri-Calheiros) sorgen für hübsche Balletteinlagen, die Bühne wird in viele Lichtstimmungen getaucht und bei den bunten, oft knalligen Kostümen (auch von Dietlind Konold) sind der Phantasie keine Grenzen gesetzt . Allein wie Jupiter in eine Fliege verwandelt wird, ist sehenswert. Und der berühme Cancan wird hier zu einem überbordenden Fest der Sinne. Ein höllisches Vergnügen!

Absolut hörenswert ist, wie Hartmut Brüsch am Pult des Philharmonischen Orchesters Offenbachs schmissige Musik zum Klingen bringt. So schwungvoll und gleichzeitig so differenziert, mit soviel Drive und mit einem so fulminanten Cancan hört man Orpheus in der Unterwelt selten.

Unterstützt wird er von einem bestens disponierten Chor (Einstudierung Mario El Fakih Hernández) und einem glänzend aufgelegten Ensemble. Viktoria Kunze ist eine stimmige Eurydike mit viel Sopranglanz und ausgeprägter Spielfreude, Andrew Irwin ist der knochentrockene Orpheus mit schlankem Buffotenor. Marcin Hutek und Sydney Gabbard gestalten ihre Partien als Jupiter und Cupido sehr ansprechend.

(c) Heiko Sandelmann – Victoria Kunze (Eurydike), Hans Neblung (Hans Styx)

Herausragend präsentieren sich die Sopranistin Signe Heiberg als Diana und der Tenor Konstantinos Klironomos als Pluto. Beide  dürften mit ihren Ausnahmestimmen das Potenzial für eine große Karriere haben. Für ein Kabinettstücken sorgt Hans Neblung als Hans Styx: Eine traurig-melancholische und doch in sich ruhende Persönlichkeit. Er läuft in Stöckelschuhen und trägt unter seinem Bademantel Strapse – das hat was. Wie es oft beim Frosch in der „Fledermaus“ gemacht wird, nutzt er sein Couplet „Als ich noch Prinz war von Arkadien“, um aktuelle Ereignisse auf die Schippe zu nehmen, von Bremerhavener ICE-Verbindungen bis zum Schiff „Seute Deern“. Fazit: Eine gelungene Produktion, die einfach Spaß macht.

Wolfgang Denker,  12. Februar 2023


„Orpheus in der Unterwelt”
Operette von Jacques Offenbach

Stadttheater Bremerhaven

Besuchte Premiere am 11. Februar 2023

Inszenierung: Isabel Hindersin
Ausstattung: Dietlind Konold
Musikalische Leitung: Hartmut Brüsch
Philharmonisches Orchester Bremerhaven

Weitere Vorstellungen: 17.,19. Februar, 2., 4., 12., 28. März 2023