Fürth: „Dear Evan Hansen“, Benj Pasek und Justin Paul

Im März dieses Jahres fand beim Musical-Frühling im österreichischen Gmunden die deutschsprachige Erstaufführung des mehrfach ausgezeichneten Musicals Dear Evan Hansen statt, die in Koproduktion mit dem Stadttheater Fürth entwickelt wurde. Am 11. Oktober 2024 stand nun die Deutschlandpremiere des Werkes im wunderschönen historischen Stadttheater Fürth auf dem Spielplan. Eine beispielhafte Zusammenarbeit zweier Theater, die bereits 2022 mit der deutschsprachigen Erstaufführung von Andrew Lloyd Webbers Die Frau in Weiß bewiesen haben, dass man nicht nach Wien oder Hamburg reisen muss, um erstklassige Musicals zu erleben.

© Thomas Langer

Trotz seiner Verfilmung im Jahr 2021, sechs Tony Awards, drei Olivier Awards – jeweils auch in der Kategorie Bestes Musical – und einem Grammy für das Beste Musical-Album ist Dear Evan Hansen außerhalb der Musicalwelt noch recht unbekannt, daher zunächst eine kurze Inhaltsangabe: Für Evan Hansen beginnt das letzte Jahr der High School so schlimm, wie das vorherige aufgehört hat. Evan leidet unter Angstzuständen und gilt in der Schule als Sonderling und Außenseiter. Im Rahmen seiner Therapie hat ihm sein Psychologe die Aufgabe gestellt, Briefe an sich selbst zu schreiben. Diese sollen mit „Lieber Evan Hansen, heute wird ein großartiger Tag und ich sage dir auch warum“ beginnen. Da sein erster Schultag aber alles andere als großartig verläuft, schreibt er einen Brief, in dem er beschreibt, dass sein Tag bislang überhaupt nicht großartig war. Diesen Brief druckt er im Computerraum der Schule aus, wo er jedoch Connor Murphy in die Hände fällt. Connor ist ständig bekifft und gilt als sehr gewalttätig. Evan befürchtet nun, dass Connor ihn mit dem Brief unter Druck setzen wird, zumal er darin auch Connors Schwester Zoe erwähnt, in die er heimlich verliebt ist. Doch es kommt anders, denn Connor begeht Suizid und seine Eltern sehen in dem Brief eine Art Abschiedsbrief an den ihnen bisher unbekannten „besten Freund“ ihres Sohnes. Evan findet nicht den Mut, ihnen die Wahrheit zu sagen und verstrickt sich immer mehr in seine Lügengeschichten über seine angebliche Freundschaft mit Connor. Mit diesen Geschichten erträumt er sich auch ein Stück weit ein Leben, das er lieber hätte als sein eigenes. Auch die Mutter von Connor und Zoe malt sich durch Evans Lügen ihr eigenes Wunschbild von ihrem Sohn. In der Schule erschüttert die Nachricht von Connors Selbstmord die Schüler. Verstärkt durch die sozialen Medien bewegt Evans Freundschaft mit Connor auch hier schnell die Gemüter. Doch wie lange kann das gut gehen?

© Thomas Langer

Nicht zuletzt durch die Verbindung von ernsten Themen wie Suizid, Angststörungen, Depression oder Trauer mit sehr positiven Aussagen und einer gut geschriebenen Geschichte von Steven Levenson sprach die Washington Post bei der Uraufführung von „einer der bemerkenswertesten Shows in der Geschichte des Musiktheaters“. Dazu beigetragen hat zweifellos auch die gelungene Musik von Benj Pasek und Justin Paul, die unter anderem auch bei den beiden bekannten Filmen La La Land und The Greatest Showman zusammengearbeitet haben. Mit Du wirst gesehen hat Dear Evan Hansen zudem eine der bemerkenswertesten Szenen vor der Pause zu bieten. Da die Texte in diesem Musical sehr handlungstragend sind, ist es sehr erfreulich, dass die deutsche Übersetzung von Nina Schneider als sehr gelungen bezeichnet werden kann und es dem Zuschauer ermöglicht, sich ganz auf das Stück einzulassen. Regie und Bühnenbild stammen von Markus Olzinger. Das Bühnenbild überzeugt durch eine geschickte Herangehensweise, die verschiedenen Räume mit relativ einfachen Mitteln darzustellen. Evans Zimmer wird in Form eines Bettgestells immer wieder ferngesteuert auf die Bühne gefahren. Im Bühnenhintergrund befindet sich die Wohnung der Murphys, die einfach durch eine Wand verdeckt werden kann. Hinzu kommen einige LED-Wände, auf denen sehr eindrucksvoll die Videotelefonate der Protagonisten gezeigt werden, die aber auch in einigen Schlüsselszenen der Produktion für weitere sehenswerte Effekte genutzt werden. Da Bilder bekanntlich mehr als 1000 Worte sagen, sei an dieser Stelle ausdrücklich auf den am Ende verlinkten Trailer verwiesen, der einen sehr passenden Einblick in dieses Bühnenbild gibt.

© Thomas Langer

In der Hauptrolle glänzt Denis Riffel mit enormer Intensität. Mit vollem Körpereinsatz gibt er einen ebenso verzweifelten wie zerbrechlichen Evan Hansen, der in einem Moment fast an seinen Qualen zerbricht, im nächsten dann aber seine Probleme gegenüber den anderen einfach weglächelt. Gestik und Mimik sind bis in die letzten Reihen des Parketts eindrucksvoll erkennbar. Dazu überzeugt er auch stimmlich mit einer Leistung, an der sich alle nachfolgenden Interpreten dieser Rolle messen lassen müssen. Wie er immer wieder in die vorgeschriebenen höheren Töne wechselt, ist nicht nur rollengerecht, sondern absolut phantastisch. Überhaupt ist die Besetzung dieser Produktion aller Ehren wert. Mit Anna Thorén als Evans Mutter, Michaela Thurner als Zoe Murphy, Jelle Wijgergangs als Connor Murphy, Yngve Gasoy-Romdal und Monika Maria Staszak als deren Eltern, Vanessa Heinz als Mitschülerin Alana und Savio Byrczak als Mitschüler Jared sind die weiteren sieben Rollen absolut erstklassig besetzt. Die achtköpfige Band unter der Leitung von Jürgen Goriup spielt die meist poppigen Songs mit einem guten Gespür für das richtige Tempo und die richtige Lautstärke. Die Textverständlichkeit ist den ganzen Abend über sehr gut, dennoch kommt der Sound aus dem Orchestergraben an den Stellen, wo es darauf ankommt, durchaus druckvoll.

© Thomas Langer

Insgesamt beweist Dear Evan Hansen wieder einmal eindrucksvoll, wie vielfältig das Genre Musical ist und welche großartigen Produktionen mittlerweile an den verschiedenen Theatern des Landes zu finden sind. Das Premierenpublikum in Fürth zeigte sich begeistert und dankte allen Beteiligten mit großem Applaus. Die Zuschauer waren zum Teil von weit her angereist, wie die Intendantin in einer kurzen Ansprache vor der Vorstellung nicht ohne Stolz verkündete. Und diese Zuschauer können sich schon heute auf ein Wiedersehen in Fürth freuen, denn ein Vertrag für die nächste Deutschlandpremiere in Fürth liegt derzeit mehr oder weniger unterschriftsreif auf dem Schreibtisch der Intendantin. Es bleibt also spannend…

Markus Lamers, 12. Oktober 2024


Dear Evan Hansen
Musical
von Benj Pasek, Justin Paul (Musik und Texte) und Steven Levenson (Buch)

Stadttheater Fürth

Deutschland-Premiere: 11. Oktober 2024

Inszenierung: Markus Olzinger
Musikalische Leitung: Jürgen Goriup

Trailer

Weitere Aufführungen bis zum 20. Oktober 2024