Aufführung am 11.9.19 (Premiere am 2.9.)
Ist ein rechtzeitiges Abtreten von der Bühne wirklich so schwierig?
Vor der Sommerpause war nach der Sommerpause, denn nach der Kombination Salieri/Puccini mit den Kräften der Accademia della Scala wurden die jungen Leute gleich wieder eingesetzt. Nach Ambrogio Maestri vor dem Sommer war nun Leo Nucci ihr Tutor. Angeblich interpretierte der Bariton in dieser Inszenierung von Gilbert Deflo aus 1994 seine Leib- und Magenrolle zum letzten Mal, doch „never say never“. Angestaubt und wenig überzeugend war diese Produktion schon vor 25 Jahren mit ihren gefälligen Balletteinlagen im 1. Bild, die so gar nichts vom wüsten Lebensstil des Herzogs zeigten, mit der ungeschickt gezeigten Entführung Gildas im 2. Bild, mit der fabrikähnlichen Ruine im 3. Akt, die Sparafuciles Spelunke sein soll (Bühnenbild: Ezio Frigerio, prunkvolle Kostüme: Franca Squarciapino).
Dem Bildmaterial lässt sich entnehmen, dass Deflo persönlich gekommen war, um mit den jungen Leuten zu arbeiten. Am ehestens konnte man das beim lebhaft agierenden Chor (Einstudierung: Salvo Sgrò) sehen, am wenigstens bei Gilda, die sichtlich nicht wusste, wohin mit ihren Armen. Das war schade, denn Enkeleda Kamani hob sich stimmlich stark aus der Schar ihrer Kollegen hervor. Ein silbrig klingender, technisch schon recht versierter Sopran, von dem man sich noch einiges erwarten darf, sollte die junge Albanerin ihre Scheu vor der Bühnenpräsenz ablegen. Das Publikum erkannte ihre Sonderstellung und feierte sie mit berechtigten Ovationen. Ihr Herzog war der Chinese Chuan Wang mit gutem Material, sicheren Höhen und relativ unbefangenem Auftreten. Dennoch sollte er sich in näherer Zukunft mehr auf Bellini und Donizetti konzentrieren, um der Stimme nicht zuviel abzuverlangen. Der baumlange Kroate Toni Nezic ließ einen noch ein wenig ungeschliffenen, aber interessanten Bass hören und gab einen überzeugend furchterregenden Sparafucile.
Maddalena war mit der ihre Bruststimme geschickt einsetzenden und sicher auftretenden Ukrainerin Daria Cherniy gut besetzt. Das richtige Bühnentemperament zeigte auch der Argentinier Ramiro Maturana, der mit angenehmem Bariton aus dem Marullo eine lebendige Figur schuf. Giorgi Lomiseli aus Georgien donnerte den Monterone mit nicht allzu schönem Material. Vielversprechend klang der Mezzo von Valeria Girardello, deren Giovanna allerdings szenisch gleichfalls unterbelichtet blieb. Auch die übrigen Kleinrollen wurden mit Eifer und Engagement interpretiert.
Bleibt also Leo Nucci in der Titelrolle, dessen Popularität und sympathische Ausstrahlung gefeiert wurden. Allerdings war mein Eindruck, dass Nucci nicht Rigoletto interpretierte, sondern sich selbst, der Rigoletto interpretiert. Seine Stimmkraft erlaubt ihm immer noch, Spitzentöne ohne Wackler zu schmettern; die geraten allerdings zum Selbstzweck und sind nicht in die vokale Gestaltung eingebunden, die in kürzeren Phrasen wiederholt zum Sprechgesang mit nicht immer sicherer Intonation verkommt. Ist ein rechtzeitiges Abtreten von der Bühne wirklich so schwierig?
Das Orchester der Accademia stand unter der Leitung des wild gestikulierenden Daniel Oren (zu Saisonbeginn war noch Nello Santi angekündigt), der zwar wiederholt zu übertriebener Lautstärke neigte, aber seinen Schäfchen doch eine behutsame Stütze war. Auch der Chor der Accademia bot eine ansprechende Leistung.
Wie bereits erwähnt feierte das volle Haus neben Nucci die junge Gilda am ausgiebigsten.
Eva Pleus 12.9.19
Bilder: Brescia&Amisano / Teatro alla Scala