Teatro Sociale – Aufführung am 23.11. (Premiere)
Donizettis allererste Oper
Im Rahmen des unter der Leitung des Regisseurs Francesco Micheli seit einigen Jahren wieder aufgeblühten Festival Donizetti wurde die allererste Oper des zur Zeit der Niederschrift 19-jährigen Bergamasker Meisters gegeben. Das Libretto von Bartolomeo Merelli basiert auf dem Drama „Der Graf von Burgund“ des zu seiner Zeit sehr populären Autors August von Kotzebue (1761-1819) in der freien italienischen Übertragung von Lorenzo Schabel. Den Kompositionsauftrag hatte Donizetti von dem Impresario Paolo Zancla auf Betreiben seines Lehrers Johann Simon Mayr erhalten.
Die Handlung unterscheidet sich nicht sehr von vielen anderen aus jenen Jahren (die Uraufführung fand im November 1818 im venezianischen Teatro San Luca statt): Ein getreuer Diener seines von einem Usurpator vom Thron vertriebenen und getöteten Herrn hat den kleinen Thronfolger gerettet und an Sohnes Statt aufgezogen. Als die Zeit reif ist, wird Enrico, wie der junge Mann heißt, unerkannt an den Hof des Usurpatorsohnes Guido gebracht. Dieser liebt Elisa, deren Vater, ein verarmter Adeliger, sie in diese Verbindung gedrängt hatte. Elisa und Enrico hingegen lieben einander seit ihren unbeschwerten Jugendtagen. Es kommt, wie es kommen muss, nämlich dass Enrico Elisa für treubrüchig hält und Guido tobt. Nach etlichen Intrigen und Verwirrungen wird Guido vertrieben, und Enrico kann mit Elisa den Thron besteigen.
Über diesem ersten Donizetti liegt natürlich der mächtige Schatten Gioachino Rossinis, aber als Hörer kann man nicht umhin, zu bewundern, wie authentisch die Melodien klingen, so als kämen sie direkt aus der Feder des Meisters aus Pesaro. Zu diesem Eindruck trägt auch die Figur des Höflings Gilberto bei, eine Bufforolle. Die Oper trägt zwar den Untertitel melodramma per musica, aber Donizetti hatte einen Vertrag für eine opera semiseria unterschrieben, weshalb eine lustige Figur eingeführt werden musste, die in bestem raschem parlando schnattert. Wiederholt sind aber auch schon Züge der Romantik zu hören, für die der Komponist zum Großmeister heranreifen würde.
Die Uraufführung nahm übrigens einen tragikomischen Verlauf, da die Interpretin der Elisa zuvor ihre Erfahrungen nur bei Auftritten in Privathäusern gemacht hatte und erstmals in der Öffentlichkeit auftrat. (Sie hieß Adelina Catalani und war übrigens Schwägerin der sehr viel bekannteren Angelica Catalani). Durch ihre übergroße Nervosität erlitt sie im Finale des 1. Aktes eine Ohnmacht, weshalb die Vorstellung schlecht und recht mit einer eilends herbeigerufenen Kollegin beendet wurde, die die Rolle gar nicht kannte. Erst einen Monat später konnte das Werk komplett über die Bühne gehen.
Diese Ereignisse gaben der Regisseurin Silvia Paoli die Idee ein, die Vorkommnisse während der Vorstellung durch eine Theatertruppe zu zeigen. Paoli gelingt dies ausgezeichnet, denn die Eingriffe des verzweifelten Regisseurs, wenn die Primadonna ohnmächtig wird, der Inspizient, der einem als Bären verkleideten, die Szene störenden Comprimario nachjagt, der (scheinbare) Ausfall der Interpretin der Titelrolle, die eine zaudernde Schneiderin, die immer schon singen wollte, auf die Bühne bringt, und vieles mehr sind nicht nur lustige Einfälle, sondern auch handwerklich bestens realisiert.
Außerdem kam eine merkliche Liebe zum Sujet dazu, wie sie Bechtolfs Regie für den Mailänder „Ernani“, der eine ähnliche Grundidee hat, so sehr fehlte. Und realistisch wurde das Ganze auch noch, wenn Bühnenarbeiter während Enricos Schlussrondo mit dem Abbau der Bühne begannen. Andrea Belli und Valeria Donata Bettella sorgten für das richtige Ambiente und die passenden Kostüme, unterstützt durch die geschickte Lichtregie von Fiammetta Baldisseri. Die winzige Bühne des Teatro Sociale wurde in Erwartung der Wiedereröffnung des restaurierten Teatro Donizetti bestens genützt.
Auch musikalisch war (fast) alles in bester Ordnung. Alessandro De Marchi leitete seine Academia Montis Regalis mit der für diesen Musiker charakteristischen Feinheit und Präzision, welchen Eigenschaften aber keineswegs ein gesunder Schwung fehlte. Noch in Rossinis Tradition ist die Rolle des Enrico für einen Mezzosopran geschrieben. Anna Bonitatibus erwies sich als Besitzerin einer sehr schön rund geführten Stimme mit viel Ausdruckskraft, die nur für größere Häuser etwas schmal sein dürfte. In ihrer doppelten Primadonnenrolle als Elisa brillierte Sonia Ganassi mit hinreißendem Bühnentemperament und immer noch satt und pastos klingendem Mezzo.
Der böse Guido wird von einem Tenor gesungen (auch dies entsprach noch der Tradition) und hat in der allgemein hohen Tessitura seiner Rolle auch zahlreiche sovracuti zu bewältigen. Mit dieser Aufgabe erwies sich der Südafrikaner Levy Sekgapane als überfordert, denn er tupfte mit seinem hellen, neutral klingenden Tenor die hohen Töne gerade noch an. Mit seinem dunkel timbrierten Bass war Luca Tittoto an die Bufforolle des Gilberto fast verschwendet, aber natürlich war es ein Genuss, einen echten Stimmbesitzer in so einer Partie zu hören. Nach etwas zögerlichem Beginn gelang Francesco Castoro als Pietro, einer weiteren Tenor-Vaterrolle (er ist es, der Enrico gerettet und aufgezogen hat) eine schöne Leistung. Der Bariton Lorenzo Barbieri (Brunone, ein Anhänger Enricos) zeigte sich als sehr spielfreudig, aber im Besitz von eher trocken klingendem Material. In der kleinen Rolle des Nicola ließ der Tenor Matteo Mezzaro aufhorchen, und die Sopranistin Federica Vitali war eine köstlich aufgescheuchte Geltrude (sic!), Begleiterin der Elisa.
Viel Stimmung im Haus und großer Jubel am Schluss.