18.9.20: Messa da Requiem, Parco Ducale
25.9.20: Ernani, Teatro Regio
Auch die klassische „terra verdiana“ mit dem Festival Verdi ist durch COVID schwer getroffen worden, eigentlich doppelt, ist/wäre Parma doch europäische Kulturhauptstadt 2020 (was glücklicherweise angesichts der zahlreichen ins Wasser gefallenen Projekte auf 2021 ausgedehnt wurde).
Das Teatro Regio wollte sich nicht geschlagen geben und hat viele Veranstaltungen an Nebenschauplätzen erarbeitet, die unter dem Titel „Verdi-Off“ so „neben“ nicht sind, weil z.B. eine Karawane von Künstlern durch die Stadt und das benachbarte Busseto zieht, um auch weniger musikaffinen Menschen etwa „La Traviata“ nahezubringen. Diese Schiene, die es schon in den letzten Jahren gab, wurde angesichts der Umstände heuer natürlich noch wichtiger, und es wäre schön, könnte man alle dieses Programm durch das gesamte Festival Verdi hindurch bereichernden Vorstellungen sehen.
Bei der Oper hingegen mussten sowohl hinsichtlich der geplanten Titel, als auch des Aufführungsorts große Veränderungen vorgenommen werden. Geblieben sind von den ursprünglichen Plänen konzertante Aufführungen von „Macbeth“ und „Ernani“ und neben einigen Konzerten Verdis „Requiem“. Da angesichts der Publikumsbeschränkungen an Aufführungen im Opernhaus zunächst nicht zu denken war, fiel die Wahl auf Freiluftvorstellungen im großen Parco Ducale, ursprünglich von den Farnese errichtet und dann von Marie Louise von Österreich, der zweiten Gemahlin Napoleons und nach dessen Sturz Herzogin von Parma, Piacenza e Guastalla, zu neuer Blüte gebracht.
Vor dem Palazzo Ducale wurde eine Bühne errichtet, die größenmäßig alle Stück’ln spielt, denn darauf findet das Orchester Filarmonica Arturo Toscanini bequem Platz, dahinter der Chor, mit der beleuchteten Fassade des Palazzo im Hintergrund. Die geschickte Anordnung ermöglicht, dass die Klangverstärkung absolut minimal und diskret bleibt, was ich an den Stimmen, die mir fast alle bekannt waren, beobachten konnte.
Da es Aufgabe eines Festivals ist, auch Produktionen von Werken zu bringen, die im normalen Repertoirebetrieb selten oder nie aufscheinen, hatte man sich für die Pariser Fassung des „Macbeth“ entschieden, aber in französischer Sprache, so wie das Werk 1865 in Paris erklungen ist. Verdi hatte sein Werk aus 1847 im ursprünglichen Italienisch überarbeitet, und der Direktor der Opéra Léon Carvalho ließ die Oper von Charles Nuittier und Alexandre Beaumont übersetzen. Interessant und zutreffend ist dabei die Bezeichnung „Opéra en quatre actes imité par Shakespeare“, denn der Text ist manchmal dem englischen Barden näher als dem Textbuch von Francesco Maria Piave und (teilweise) Andrea Maffei. Diese Version wurde nach einem nicht eben durchschlagen Erfolg nie mehr gegeben, und so kennen wir die „Pariser“ Fassung international auf Italienisch.
Ein Atout für diese Wahl der künstlerischen Leitung des Festivals war die Verkörperung der Titelrolle durch Ludovic Tézier, der als Muttersprachler dem Text besondere Prägnanz zu verleihen vermochte.
Mit seinem wunderbar sämig timbrierten Bariton durchmaß er mit erschütternder Expressivität die zwischen Triumph und Furcht schwankenden Höhen und Tiefen der Karriere des Königsmörders. Hier war es besonders schade, dass Carvalho von Verdi die Änderung des ursprünglichen Finales verlangt hatte und Macbeth mit seinen letzten verzweifelten Phrasen nicht vor Publikum stirbt. Die für Lady Macbeth vorgesehene Davinia Rodriguez sagte schon vor Probenbeginn ab, und es war natürlich schwierig, für diese Fassung einen Ersatz zu finden. Schließlich war Silvia Dalla Benetta bereit, die Rolle in kurzer Zeit zu lernen. Die Künstlerin ist ein lyrischer Sopran mit passabler Technik, und es gelang ihr trotz mancher schriller Töne und Intonationstrübungen der machtgierigen Frau Profil zu verleihen. (Eine gute Idee war es, den Brief beim ersten Auftritt der Lady aus dem Off von einer Künstlerin mit französischer Muttersprache lesen zu lassen). Als Banquo lieferte Riccardo Zanellato eine professionelle Leistung, was auch für Giorgio Berrugi als Macduff gilt. Aufhorchen ließ der junge David Astorga aus Costa Rica als Malcolm, eine Rolle, die schon öfter zum Macduff geführt hat (ähnlich wie die Giannetta im „Liebestrank“ später zur Adina). Als Arzt und Comtesse (in der italienischen Fassung „Dama“) gefielen Francesco Leone und Natalia Gavrilan. Einen Diener, einen Meuchelmörder und die Erste Erscheinung (Premier Fantôme) gab zufriedenstellend Jacobo Ochoa aus Kolumbien.
Roberto Abbado dirigierte die Filarmonica Arturo Toscanini mit zügigen Tempi, die nie die Spannung nachlassen ließen. Sehr schön gelangen auch die für Paris geschriebenen „Ballabili“, die Tanzeinlagen, die bei einer szenischen Darstellung oft hemmend wirken. Der von Martino Faggiani einstudierte Chor des Teatro Regio di Parma ließ sich nicht lumpen und gab eine Interpretation auf dem von diesem Klangkörper gewohnten Niveau.
Vor dem „Requiem“ bat Parmas Bürgermeister Federico Pizzarotti um eine Schweigeminute für die in Parma besonders zahlreichen COVID-Opfer. Auch hier stand Roberto Abbado, der Musikdirektor des Festival Verdi, am Pult der Filarmonica Arturo Toscanini und zelebrierte auf zu Herzen gehende Weise das Meisterwerk des Atheisten Verdi, in dem sich alle Zerrissenheit eines zum Glauben nicht Geborenen in höchstem künstlerischem Ausdruck manifestiert. Auch der Chor des Teatro Regio di Parma in der Einstudierung des unersetzlich scheinenden Martino Faggiani gab zwischen Aufschrei, Murmeln und fast Sprechgesang sein Allerbestes.
Das Solistenquartett war zu drei Vierteln ausgezeichnet bis hervorragend: Eleonora Buratto (deren Robe nicht unbedingt den Bekleidungsmaßstäben für ein sakrales Werk entsprach) interpretierte mit vollem lyrischem Sopran, der auch den schwierigen Abstieg ins tiefe Brustregister bewundernswert schaffte, ihren im „Liberame domine“ kulminierenden Part. Prachtvoll der Mezzo von Anita Rachvelishvili, die trotz ihres hinreißenden Orgeltons stilistisch immer perfekt im Rahmen blieb. Roberto Tagliavini anstelle des nach Wien „verliehenen“ Michele Pertusi setzte seinen nicht allzu voluminösen, aber farblich authentischen Bass balsamisch ein. Gegenüber diesen hervorragenden Leistungen fiel Giorgio Berrugi allerdings stark ab, denn seinem Tenor fehlte der edle Klang, was sich vor allem beim Ingemisco und beim Hostias störend auswirkte.
Da das Schlechtwetter eine Wiederholung des Requiems nach zwei Tagen verhindert hatte, musste die konzertante Aufführung von „Ernani“ doch noch ins Teatro Regio verlegt werden, wo die behördlichen Hygienevorschriften schneller als geplant umgesetzt wurden (für das Publikum bestehen sie im Parkett aus Plastikschilden, die jeweils zwei Plätze trennen).
„Ernani“, das fünfte (und für mich das musikalisch stürmischste) Jugendwerk Verdis, wurde erstmals von Michele Mariotti dirigiert, der erneut seine Begabung zeigte, die Leistung eines Orchesters zu maximieren. Die schon in den vorherigen Produktionen ausgezeichnete Filarmonica Arturo Toscanini legte noch ein Schäuferl nach und brillierte in nie nachlassender Spannung in authentischem Verdi-Sound. Der Chor des Hauses unter Martino Faggiani zeigte sich in der von ihm nach den vorherigen Leistungen zurecht erwarteten Form.
Eleonora Buratto gab ihr Rollendebüt als Elvira. Ihre furchtlose Attacke der dramatischen Koloratur, wie sie für die Sopranrollen in Verdis Jugendwerken charakteristisch ist, war beeindruckend, auch weil die Stimme dabei nie ihre Reinheit verlor. Die tiefen Töne verrieten, dass wir es mit einer im Grund lyrischen Stimme zu tun haben, die aber auf bestem technischem Fundament ruht. Dazu kam eine leidenschaftliche Interpretation, die vergessen ließ, dass es sich um eine konzertante Aufführung handelte. Auf Piero Pretti in der Titelrolle traf das leider nicht zu, denn er sang seinen Part korrekt, ohne aber die Zerrissenheit des in Wahrheit adeligen Räubers Ernani über die Rampe zu bringen, auch weil er sich auf keinerlei visuellen Kontakt mit seinen Partnern einließ. Anstelle von Amartuvshin Enkhbat, dem stimmlich außergewöhnlichen mongolischen Bariton, der in COVID-Zeiten seine Heimat nicht verlassen durfte, war Vladimir Stoyanov Don Carlo. Trotz nicht auserlesenen Timbres gefiel der Bulgare zunächst sehr, auch weil er sich intensiv um Phrasen wie „Vieni meco“ bemühte, ermüdete aber im Laufe der Vorstellung zusehends, was ihn im dem Bariton gehörenden dritten Akt mehrmals zum Forcieren zwang. Im Ganzen aber eine anständige Leistung. Zu bewundern war Roberto Tagliavini als Silva, der stimmlich mit farblich echten Basstönen erfreute und hinsichtlich Expressivität der von ihm geliebten Elvira nicht nachstand. Das Niveau der Comprimari wurde von Carlotta Vichi (Elviras Begleiterin Giovanni) besser verteidigt als von Paolo Antognetti (Don Riccardo) und vor allem Federico Benetti (Jago).
Auffallend war, dass die Arien und vor allem deren Nachspiele nicht von sofortigem Jubel unterbrochen wurden, sondern bis zum Ende störungsfrei zu hören waren. Wenn sich das Publikum in Parma gesitteter verhält, wollen wir als unbesiegbare Optimisten dies unter die wenigen positiven Konsequenzen von COVID einreihen.
Eva Pleus 27.9.20
Bilder: Roberto Ricci