Premiere: 26.07.2019, besuchte Vorstellung: 27.07.2019
Filmklassiker auf der Musicalbühne
Zu Beginn gleich ein kleines Geständnis, ich habe den Filmklassiker aus dem Jahr 1965 mit Omar Sharif in der Hauptrolle nie gesehen, obwohl er noch heute mit fünf Oskar-Auszeichnungen zu einem der erfolgreichsten Filme aller Zeiten zählt. Anders dagegen wohl Lucy Simon, die kurz nach der Jahrtausendwende die Musik zu einem Musical schuf, welches sich dem Leben des Doktors und Dichters in einer sich ändernden russischen Gesellschaft zwischen 1903 und 1930 annimmt. Die Gesangstexte steuerten Michael Korie und Amy Powers bei, das Buch stammt von Michael Weller. Die Premiere feierte „Zhivago“ 2006 am La Jolla Playhouse in San Diego, nach ein paar mehr oder minder großen Überarbeitungen fand eine weitere Premiere als „Doctor Zhivago – A new Musical“ im Jahr 2001 in Sydney statt. Die deutsche Bearbeitung übernahmen Sabine Ruflair (Texte) und Jürgen Hartmann (Buch).
Als Vollwaise wächst Jurij Schiwago im Hause seines Onkels Alexander Gromeko auf, dessen Tochter Tonia er auch nach seinem erfolgreichen Medizinstudium heiratet. Doch immer wieder kreuzen sich seine Wege mit der hübschen Lara, in die er sich wider Willen gleich verliebt. Diese heiratet aber kurz vor dem bevorstehenden Krieg den marxistischen Studenten Pascha Antipov. In der Hochzeitsnacht versprechen sich beide immer aufrichtig zueinander zu sein, daher erzählt sie ihm von ihrer unglücklichen Vergangenheit, in der ihr der reiche Rechtsanwalt Viktor Komarovskij übel mitspielte. Dieses Geständnis prägt Paschas Sicht auf die Bourgeoisie und lässt ihn im Verlauf des Stückes immer radikaler gegen das wohlhabende Bürgertum vorgehen. An der Kriegsfront treffen sich Jurij und Lara, die dort als Krankenschwester arbeitet, wieder. Noch immer versuchen beide ihre Liebe zueinander zu ignorieren. Nach Kriegsende ist der Zerfall des ehemaligen Zarenreiches nicht mehr aufzuhalten, die Revolution macht alle zum Spielball konkurrierender Kräfte. Auch hier kreuzen sich wieder die Wege aller Beteiligten und es müssen einige nicht immer leichte Entscheidungen gefällt werden. Eine Story die sich rund um die sich liebenden Personen regelrecht für ein Musiktheaterstück aufdrängt, daher ist das Werk auch sehr baladenlastig angelegt mit zwei sehr eindrucksvollen Chorstücken zum Ende der beiden Akte.
Die Inszenierung Ulrich Wiggers konzentriert sich sehr auf die Verflechtungen der Protagonisten und überzeugt durch eine gute Personenregie. Dazu gelingen ihm einige ins Mark gehende Bilder von der Kriegsfront, weswegen das Stück auch ausdrücklich mit einer Besuchsempfehlung ab 12 Jahren versehen wurde. Weitere größere Anspielungen sind aber nicht ersichtlich, so bleibt das Werk hier vor allem eine große und tragische Liebesgeschichte. Beim Bühnenbild setzen Ulrich Wiggers (Konzeption) und Jens Janke (Realisation) vor allem auf eine angedeutete verschneite Winterlandschaft, nicht ganz einfach bei solchen sommerlichen Temperaturen wie derzeit. Dazu wird ein großer Steg immer wieder geschickt eingesetzt. Die Seitenbereiche der Freilichtbühne werden bei dieser Produktion mit Ausnahme eines Feldlazaretts gar nicht eingesetzt, dafür wird der Brunnen oft bespielt. Die Kostüme stammen wie in Tecklenburg üblich von Karin Alberti und sind erneut abwechslungsreich und sehr detailliert ausgearbeitet. Bei den großen Massenszenen kann auch die Choreografie von Zoltán Fekete gefallen. Das Orchester spielt unter der musikalischen Leitung von Tjaard Kirsch gewohnt souverän.
Wie inzwischen schon zur lieben Gewohnheit geworden, versammelt die Besetzung in Tecklenburg das „Who-is-Who“ der Musicalbranche in diesem wunderschönen kleinen Örtchen. Als Doktor Schiwago zeigt Jan Ammann eine Glanzleistung, die beim Schlussapplaus nicht nur von seinen vielen angereisten Fans lautstark bejubelt wird. Die beiden weiblichen Hauptrollen sind mit Milica Jovanovic als Lara und Wietske van Tongeren als Tonja mit den derzeit vielleicht besten weiblichen Darstellerinnen besetzt, die mit ihrem großen Duett im zweiten Akt („It comes as new suprise“) für das Highlight des Abends sorgen. Pawel Antipov ist mit Dominik Hees ebenfalls passend besetzt, der seine Stärken vor allem bei den etwas rockigeren Stücken voll ausspielen kann. Über die gesanglichen Leistungen von Bernhard Bettermann hüllen wir hier dagegen besser das Tuch des Schweigens. Zum Glück ist die Rolle rücksichtslosen Rechtsanwalts Viktor Komarovskij abgesehen von zwei Ausnahmen auch eher auf gutes Schauspiel angelegt, so dass hier die namhafte Besetzung durchaus aufgeht.
Als Eheleute Gromeko stehen Bettina Meske und Kevin Tarte in zwei vergleichsweisen kleinen Rollen auf der Bühne, konzentriert sich die Handlung doch vor allem auf die Beziehungen der fünf Hauptrollen untereinander. Abgerundet wird die Cast von Florian Soyka als Liberius und Nicolai Schwab als Janko, der mit seinem Tod im Krieg für einen der emotionalsten Momente des Werkes sorgt. Auch das Ensemble sorgt wie üblich in Tecklenburg für einen gelungenen Musicalabend, der am Ende von den Zuschauern lautstark bejubelt wird. Dabei war die Freilichtbühne fast bis auf den letzten Platz besetzt, hier scheint man erneut einen echten Zuschauermagneten gefunden zu haben, der noch bis zum 14. September 2019 zu sehen sein wird.
Markus Lamers, 28.07.2019
Bilder: © Stefan Drewianka