Sternenhimmel mit Totenkopf
Zum Zweiten
am 6.1.2018
Der Tod ist allgegenwärtig in der ambitionierten Inszenierung Ewa Teilmans von Verdis unverwüstlichem Reißer „La Traviata“ im Theater Aachen. Zwar fehlt es nicht an farbigem Mummenschanz und fast ausgelassenem Liebesgeturtel Violettas und Alfredos bei einer scheinbar unbeschwerten Kissenschlacht zu Beginn des 2. Bildes, die Bedrohung dieses brüchigen Glücks nimmt indes stets konkrete Gestalt in Violettas Arzt Dottore Grenvil (Vasilis Tsanaktsidis) an, der als düsterer Unheilsbote von Beginn an die kreisrunde, weiße Drehscheibe umkreist, auf der sich die Akteure dieses Totentanzes in den verschiedensten Positionen bewegen, da die runde Spielfläche immer wieder gedreht und gekippt wird. Violetta muss bei ihrer großen Arie im ersten Akt „ È Strano! È Strano“ gleichsam symbolisch alle Höhen und Tiefen durchmessen, steht völlig isoliert und allein gelassen am höchsten Punkt der aufgeklappten Spielfläche und sieht dadurch unbewusst in den Abgrund, der sie verschlingen wird.
Elisabeth Pedross variiert das Einheitsbühnenbild mit sparsamsten, sehr eingängigen Requisiten. Sind es im 2. Bild noch mannsgroße blühende Kamelien, die fälschlich ein gutes Ende der Liaison zwischen Violetta und Alfredo vorgaukeln, so deuten die verwelkten Blätter im Schlussbild auf Violettas Tod hin, der als furchterregender Totenkopf schon vor Beginn des 3. Aktes im Sternenhimmel des Vorhangs erscheint. Violetta ist in diesem Schlussbild endgültig die von der Gesellschaft Ausgestoßene, der keine Chance gegeben wird, sodass es angesichts der gesellschaftlichen Ächtung des von ihr selbst initiierten Drogentods- der Sinn dieser Modernisierung bleibt unklar! – eigentlich gar nicht mehr bedarf. Andreas Becker trägt mit seinen farbigen, eher modernen Kostümen ebenfalls zu einer dezenten Modernisierung des Stoffs bei. Insgesamt eine Inszenierung, die nicht das Rad neu erfindet, aber auch den Besucher nicht vor unlösbare Deutungsrätsel stellt.
Musiziert wird in Aachen auf gutem Niveau. Es ist schon erstaunlich, was die Verantwortlichen in diesem kleinen Stadttheater immer wieder auf die Beine stellen. Chor und Orchester bewältigen ihre Aufgabe mit Leidenschaft und Hingabe und Justus Thorau ist ein aufmerksamer Begleiter der Solisten, neigt allerdings manchmal dazu, das Tempo zu verschleppen.
Das begeisterte Publikum im ausverkauften Haus feierte die französische Koloratursopranistin Solen Maiguené , die schon im Musiktheater im Revier, in Leipzig, Hamburg und an kleineren Häusern auf sich aufmerksam gemacht hat, in der Titelpartie der Violetta frenetisch. Schauspielerisch bleibt sie in der Tat der Partie nichts schuldig und auch musikalisch hat sie das Zeug dazu, einmal eine ganz große Interpretin dieser Rolle zu werden. Ihre besonders in der Mittellage und im Piano ungemein einnehmende Stimme kommt da noch etwas an ihre Grenze, wo es gilt, auch die Spitzentöne der Gesangslinie unterzuordnen. Auch die eine oder andere Koloratur könnte noch gestochener daherkommen. Dennoch: insgesamt eine beeindruckende Leistung der jungen, ungemein begabten Sängerin!
Alexey Sayapin , der einige Jahre im Alto Theater in Essen zum Ensemble gehörte, gibt einen wunderbar lyrischen, wohlklingenden Alfredo, zeigt dann aber im 3. Bild, dass er stimmlich auch noch deutlich zulegen kann. Nur sein mit Spannung erwartetes „Parigi, o cara“ kam doch etwas trocken und hölzern daher. Ensemblemitglied und Publikumsliebling Hrólfur Saemundsson als Vater Germont steigerte sich nach eher verhaltenem Beginn zu gewohntem Bariton-Balsam und versetzte das Publikum bei seiner Auseinandersetzung mit Alfredo darüber hinaus mit einem veritablen Sturz auf den Rücken in Aufregung: da konnte man schon um die Bandscheiben des Isländers Angst haben!
Auch alle Nebenpartien waren rollendeckend besetzt, sodass der Abend insgesamt , zieht man die Bedingungen am Stadttheater in Aachen in Betracht, nur wenige Wünsche offen ließ. Das Publikum feierte jedenfalls alle Beteiligten lautstark und anhaltend. Und das völlig zu Recht. Mein Tipp: lassen Sie sich diese Traviata in Aachen nicht entgehen!
Norbert Pabelick 8.1.2018
Weitere Aufführungen am 14./21./28.01./15./21.02.2018