29.10.2019 (Premiere am 17.10.)
Eine gelungene „tour de force“ an Gefühlen
Mozarts Tito, eine Opera seria in zwei Akten und sieben Bildern, merkt man an, dass es als „Auftragswerk“ für die Krönung Kaiser Leopolds II. zum König von Böhmen in kürzester Zeit fertiggestellt werden musste. Eben deshalb musste Mozart wohl auch die Komposition der Secco-Rezitative seinem Schüler Franz Xaver Süßmayr überlassen. Als Folge der Zeitnot fielen ein Großteil der Arien und Ensemblesätze relativ kurz aus.
Mozart richtete das Hauptaugenmerk auf den jeweiligen Affekt der handelnden Personen und gestaltete daher sämtliche Arien als virtuose „Abgangsarien“. Die Ouvertüre steht in keinem thematischen Zusammenhang mit der Oper. Als Libretto diente Pietro Metastasios La clemenza di Tito, das Caterino Mazzolà (1745-1806) für Mozart einrichtete. Die Handlung der Oper spielt im Jahre 79 n. Chr. in Rom. In einer Ko-Produktion mit der Frankfurter Oper war „La Clemenza di Tito“ zuletzt 2006 im Theater an der Wien mit der Lettischen Mezzosopranistin Elīna Garanča als Sesto zu erleben. Den englischen Regisseur Sam Brown dürfte die Frage, wie man heutzutage einen handlungsarmen „Römerschinken“ inszeniert, wie viele seiner Vorgänger dazu verleitet haben, das historische Etikett völlig außer Acht zu lassen und stattdessen die Seelenqualen der Protagonisten in diesem „quid pro quo“ in einem angedeuteten „Spiegelkabinett“ (Ausstattung: Alex Lowde) aufzuzeigen.
In diesem aus Rahmen aufgebauten, abstrakten dreieckigen Raum, begegnen einander die Personen der Oper und liefern sich einen emotionalen Schlagabtausch, der durch die grelle Beleuchtung samt Spiegeleffekten und Videoeinspielungen (Tabea Rothfuchs) noch verstärkt wird. Der Regisseur will bewusst keine Geschichte über einen römischen Kaiser im ersten nachchristlichen Jahrhundert erzählen, sondern im Stile mancher Printmedien, die Beziehungen rund um diesen und mit diesem Kaiser schonungs- und schamlos aufdecken. Und das gelingt ihm zum größten Teil recht gut, denn die Sängerdarsteller dürfen sich in diesem abstrakten Raum ohne Ablenkung ganz auf den Gesang und die Darstellung der jeweiligen Gefühle konzentrieren. Und das überzeugt zumindest bei den Protagonisten.
Beim Chor fiel dem Regisseur lediglich ein, die Damen im zweiten Akt als glückliche Schwangere vorzuführen, die der kommenden Mutterschaft fröhlich entgegen schreiten und will damit wohl das Happy End des Finales, wo die Chordamen bereits entbunden haben und ihre Babys mit hoch gehaltenen Armen in der Luft schwenken, vorwegnehmen. Der Concentus Musicus unter Stefan Gottfried am Cembalo war den Sängern auf der Bühne ein mehr als kongenialer Begleiter. Sesto und Annio, jahrzehntelang eine Domäne der Mezzosopranistinnen, wurden in dieser Produktion von dem australischen und dem koreanisch-amerikanischen Countertenören David Hansen und Kangmin Justin Kim gesungen. David Hansen ist stimmlich omnipräsent und man würde die Oper anstelle des sperrigen Titels „La Clemenza di Tito“ doch viel lieber in „Sesto“ umbenennen. Kangmin Justin Kim hat die wesentlich kleinere Rolle des Annio gut im Griff.
Sein Part ist eher lyrisch gehalten und enthält nur wenige dramatische Ausbrüche. Der britische Tenor Jeremy Ovenden bot einen noblen Titus, der erst gegen Ende der Oper dramatisch ausbrach. Jonathan Lemalu hatte für den „Todesboten“ Publio einen eher rauen Bass zur Verfügung. Mari Eriksmoen konnte ihren lyrischen Sopran als Servilia in ihren wenigen Auftritten angenehm einzubringen. Nicole Chevalier als Vitellia verfiel in ihrer Gestik als Ausgleich zu der nicht vorhandenen Szenerie häufig in Posen, um ihren Auftritten mehr Gewicht zu verleihen. Sie verfügt zweifellos über eine große Stimme mit einer gewaltigen, fallweise etwas grellen Höhe, die in der Mittellage aber manchmal versagte. Gestalterisch blieb sie zumeist eine Furie. Am Ende gab es starken Jubel für die Sänger, Dirigenten, Chor und Orchester.
Harald Lacina, 1.11.2019
Fotocredits: Werner Kmetitsch