Der unfaustische Faust
Hector Berlioz`Semi-Oper "La damnation de Faust" ist eigentlich ein recht undramatisches Werk, sehr frei nach Goethes Drama machte der Dichter-Komponist Gebrauch von den Szenen und scheute sich nicht aus einfachen, musikalischen Gründen eine Ungarnreise innerhalb des Stückes zu begehen. Vielleicht kommt diese Mischform unserer heutigen Ästhetik mit offenen Formen, so zum Beispiel Musik-Videoclips, entgegen, denn immer öfter findet die Oper den Weg auf die Bühnen, so in Lübeck.
Anthony Pilavachi hat dort schon viele tolle Produktionen, so auch den vielbeachteten und ausgezeichneten "Ring" herausgebracht, doch der Berlioz-Faust scheint noch einmal ein echter Höhepunkt zu sein. Mit Stefan Heinrichs als Bühnenbildner, dazu noch Franziska Funke bei den Videobildern und Constanze Schuster als Kostümbildnerin, schafft er eine schiere Bilderflut, die von Sinn und Assoziationsgehalt ihresgleichen sucht. Gerade die Videoeffekte sind in einer selten vorgefundenen Professionalität gestaltet und gehen weit über den , sonst oft so modischen Zuckerguss, mit dem dieses Medium in Operninszenierungen ge- und verbraucht wird hinaus.
Berlioz Faust ist eigentlich das gegenbild zu Goethes schaffendem Menschen, er ist passiver Beobachter, so wird er denn auch inszeniert. Die vielen schönen Gedanken der Menschheit, das Miteinander, die Liebe, immer wieder wird es durch gedankenlose Untätigkeit zersetzt und gleitet ins Destruktive, ja Zerstörerische. Aus der Liebe zum anfänglichen Traumbild Margaretes, sie erscheint wie in einer zarten Seifenblase, entsteht Enttäuschung und Ausgrenzung. Pilavachi scheut sich nicht Bezug auf die modernen Medien via "Facebook" zu nehmen, hier sehr passend und anschaulich. Faust selbst vermischt sich figürlich mit seinem Alter Ego, Mephistopheles, zu einer Person, ist auch als Kind, Oskar Eichenberg spielt das hervorragend, den ganzen Abend auf der Bühne anwesend, wie David Winer-Moses, der als Puppentheater-Teufel als negativer Spielleiter durch den Abend führt. Das Lübecker Theater selbst wird als Bildungs- und Unterhaltungsanstalt auf der Bühne gespiegelt und zum Thema. Die Inszenierung bietet viele Bilder, die im Kopf bleiben werden und zum Nachdenken anregen.
Doch auch musikalisch bleiben fast keine Wünsche offen: Jean-Noel Briend gestaltet mit heldisch angelegtem Tenor die Titelpartie mit ihrer heiklen Tessitur, die baritonalen Tiefen gelingen mit dediziertem Ausdruck, die leichten Verhärtungen in den Höhen sind bei dieser Partie marginal, das muß man erst einmal so singen, wie es der, auch schauspielerisch, sehr begabte Künstler macht. Taras Konoshenko setzt mit wuchtigem,aber auch flexiblem Bass seinen Mephisto dagegen. Wioletta Hebrowskas üppig strömender Mezzosopran ist einfach nur ein Traum, hier wird die Partie der Marguerite gesanglich einfach auf den Punkt gebracht, szenisch wird die Entwicklung der Martyrerin intensiv aufgebrochen. Seokhoon Moon als Brander gibt mit angenehmem Bariton seine Visitenkarte ab. Die Chöre klingen, bei diesem gewaltigen Chorstück, wie sie sollen und machen schauspielerisch mit großem Einsatz viel Freude.
Andreas Wolf am Pult des hervorragend aufspielenden Philharmonischen Orchesters der Hansestadt ist der richtige Mann für die manchmal etwas eklektische Partitur und bringt die verschiedenen Seiten von Berlioz`Klangwundern auf das Beste zum Leuchten, den romantischen Überschwang der Kantilene, die Brutaltät des Ungarischen Marsches, die klerikale Süße des Finales, alles findet den rechten Ton.
Eine außergewöhnliche Darbietung, die deutlich ein volleres Haus verdient hätte. Für mich sicherlich einer der Höhepunkte der Saison, wer es noch schafft, eine der wenigen Vorstellungen anzusehen, wird mir zustimmen.
Fotos von Jochen Quast
Martin Freitag 21.5.14