
„Groß ist das Geheimnis der Musik – sie ist ohne Zweifel die tiefsinnigste, philosophisch alarmierendste, durch ihre sinnlich-übersinnliche Natur, durch die erstaunliche Verbindung, die Strenge und Traum, Sittlichkeit und Zauber, Vernunft und Gefühl, Tag und Nacht in ihr eingehen, die faszinierendste Erscheinung der Kultur und Humanität.“ Das schrieb Thomas Mann anläßlich des 50. Geburtstags seines Freundes Bruno Walter, dem großen Dirigenten. Nun hat seine Heimatstadt dem Sprachtitanen ein klingendes Geburtstagsgeschenk gemacht – zum 150. am 6. Juni 2025.
Thomas Manns Urteil über das Lübecker Theater, das ihm gleichermaßen die Quelle seiner musikalischen Muttermilch war, fiel erstaunlich nüchtern aus. Vom „einigermaßen unzulänglichen“ Haus hörte man in seinem Kommentar zu einer Sendung das Süddeutschen Rundfunks 1954, einer Sendefolge der Reihe „Wer wünscht was“, für die er als ganz persönliches Wunschkonzert seine Lieblingsstücke auswählte.
GMD Stefan Vladar sprach in seiner Begrüßung die begründete Hoffnung aus, daß man im Jugendstiltheater der Hansestadt „doch mittlerweile etwas besser geworden“ sei. Um es gleich zu sagen: Den Literaturnobelpreisträger hätte dieses Konzert glücklich gemacht!

Wagners Lohengrin war für Thomas Mann die erste Drogenerfahrung mit dieser süchtig machenden Musik, mit deren Aufführung in Lübeck er trotz der bemängelten Qualität er die „dankbarste Erinnerung“ verband.
Bereits bei den ersten Takten des Vorspiels zu dieser Musik in ihrer, wie Mann synästhetisch empfand, „blau-silbernen Schönheit“, hatte das Philharmonische Orchester der Hansestadt Lübeck sein Publikum gefangen. Mit, gemäß dem Titel eines Zauberberg-Kapitels, aller „Fülle des Wohllauts“, ergossen sich ebenso transluzid wie kraftvoll die romantischen Klänge in den Saal. Vladar ist ein Freund des flotten Tempos, und diese Neigung gab auch allen vier Werken des Abends eine wundervoll dynamische Bewegung und Lebendigkeit – so auch der Lohengrin-Musik mit ihrem zauberischen Sog.
Mit Debussys Prélude à l´Après-midi d´un faune trat der lüsterne Faun, dessen unbefriedigte erotische Gier zur Schaffung der Musik führt, in die sommerliche Glut eines mediterranen Nachmittags. Trotz der inhaltlichen Bocksfüße geriet diese Musik leichtfüßig, ja anmutig-fein, mit dem flirrenden Licht der südlichen Sonne, das wohl nur die Impressionisten farbig zu vermitteln wußten. Die Harfe zauberte goldene Tupfer in den Glast des erhitzen Tages, mit entsprechend heißbrünstiger Aufladung des antiken Protagonisten.
Als Geburtstagsgeschenk für seinen Großvater brachte Frido Mann ein Kapitel seiner engagierten Streitschrift Um der Güte und Liebe willen – Zehn Wege eines kämpferischen Humanismus mit. Gemäß dem Bekenntnis im Zauberberg zur Menschlichkeit als Mittel gegen Gewalt, Krieg und antidemokratische Bewegungen leider auch der Gegenwart bezog sich der Psychologe und Schriftsteller auf die Dialogphilosophie Martin Bubers. Der jüdische Religionsphilosoph hatte in seinem Hauptwerk Ich und Du die Begegnung und Wahrnehmung des „Du“ als tragendes Gegenüber des Miteinander und damit Mittel gegen Totalitarismus und Gewalt benannt. „Das Miteinander ist kein Zustand, es ist ein Prozeß, ein Ideal, ein Ziel und in diesem Sinne auch eine Hoffnung, gar eine Sehnsucht“, so Frido Mann, dessen Aufforderung zu aufrechter Haltung und menschlichem Zusammenhalt in erschreckender Aktualität existentiell wichtig erscheint.
Der sympathische, völlig unprätentiöse Frido Mann ist eben nicht nur „Enkel von“, aber sein Fanal für Demokratie und Verständnis über Ideologien und Religionen hinweg entspricht ganz dem Impetus seines Großvaters, der mit dem Beginn seiner Emigration die Welt an den Einsatz für all die Werte gemahnte, die von der Nazi-Diktatur mit Füßen getreten wurden.
Wer Thomas Manns „Doktor Faustus“ gelesen hat, weiß, wie wichtig Beethoven neben Wagner für den Schriftsteller war. Dessen dritte „Leonoren”-Ouvertüre, schon mehr eine Tondichtung als eine Opern-Einleitung, erklang aber selten so luftig-leicht und ebenso schwungvoll-energiegeladen, ja wuchtig, wie zur Lübecker Geburtstagsfeier. Leuchtend strahlendes Blech unterstrich die lebensfrohe Haltung dieser Musik, die sich ja aus dem Kerker in die Befreiung erhebt. Zahlreiche „Bravo“-Rufe belohnten die phantastische Leistung aller Mitwirkenden, die sichtlich große Freude am Musizieren hatten. Im Pausengespräch mit einer Musikerin bestätigte diese, das oft aufgeführte Stück noch nie mit so viel Elan gespielt zu haben.
Den zweiten Teil des Festkonzerts leitete ein von Andreas Hutzel vorgetragener Text Thomas Manns über die Musik ein, „zwar Literat, aber mehr noch Musiker“, wie dieser sich selbst beschrieb. Der Schauspieler gab dem Schriftsteller eine lebendige Stimme; aus dem Photo im Bühnenhintergrund blickte Mann freundlich und fast kindlich-neugierig – so schien es – in eine hoffnungsfrohe Ferne.
Hätte Thomas Mann selbst komponiert, so wäre sein Stil dem César Francks verwandt gewesen, wie er Bruno Walter gegenüber in der zitierten Geburtstagsrede bekannte. Daher bildete die wundervolle Symphonie des Belgiers den glanzvollen Abschluß des Abends.
Dieses Werk ist durchflutet von Licht und pulsierender Tatenkraft; es spricht klanglich durchweg französisch und gerade der Beginn des zweiten Satzes, der sicher das Zauberhafteste ist, was Franck je geschaffen hat, atmet eher provenzalische denn wallonische Luft. Vladar entschied sich allerdings für eine weniger romantisch-geheimnisvolle, als vielmehr markant-zupackende Interpretation; die einleitenden Pizzicati waren von akzentuierter Deutlichkeit geprägt und das Englischhorn, das umgehend das Thema übernimmt, schritt rascher voran, als man es von den meisten Einspielungen gewohnt ist. Dies gab der Musik etwas Forsches, deutlich Zielstrebiges, und fügte sich in die Gesamtdeutung mit entschiedener Grundhaltung ein; schließlich vergißt diese Symphonie auch in den dramatischen Passagen nie, daß die Sonne siegen wird. Angemessen triumphal gestalteten die Lübecker das leuchtende Finale, das sich feurig und optimistisch in die Höhe erhob.
Thomas Mann hätte in seiner Kritik des Konzerts sicher erwähnt, daß leider das Klatschen zwischen den Symphoniesätzen die Spannung und Dichte der Musik beschädigte. Alle aber, die Thomas Manns Literatur verehren und „seine“ Musik lieben, wußten sich glücklich zu schätzen, an dieser besonderen Gratulation teilhaben zu dürfen. Ein unvergeßlicher Abend zu Ehren des großen Sohnes der Hansestadt!
Andreas Ströbl, 8. Juni 2025
Das Konzert seines Lebens
Festkonzert zu Thomas Manns 150. Geburtstag
Lübeck, Theater
6. Juni 2025
Richard Wagner, Vorspiel zu Lohengrin
Claude Debussy, Prélude à l´Après-midi d´un faune
Ludwig van Beethoven, „Leonoren”-Ouvertüre Nr. 3 op. 72a
César Franck, Symphonie d-Moll
Frido Mann, Rede
Andreas Hutzel, Lesung
Musikalische Leitung: Stefan Vladar
Philharmonisches Orchester der Hansestadt Lübeck