Sicherlich kennt jeder Opernfreund Giuseppe Verdis Oper Aida, die damit endet, dass der des Hochverrats beschuldigte Radamès unter einem Tempel lebendig begraben wird. Zuvor hatte sich bereits seine Geliebte Aida in die Gruft geschlichen, um hier die letzten Stunden des Lebens gemeinsam mit Radamès zu verbringen. Doch was passiert in diesen letzten Stunden vor dem Tod wirklich? Diese Frage beschäftigte den Komponisten Stefan Heucke bereits als siebenjähriger Junge, nachdem er eine Aufführung der Aida in der Stuttgarter Staatsoper besuchte, was gleichzeitig sein erster Opernbesuch überhaupt war. Nach dem dramatischen Finale blieb als besondere Erinnerung dieses Abends hängen, dass hier zwei Menschen lebendig eingemauert wurden, ohne zu klären, was weiter mit den beiden Protagonisten passierte. Als Heucke und das Theater Krefeld-Mönchengladbach zusammen nach einem Thema für eine neue Oper suchten, die im Bunker Güdderath uraufgeführt werden sollte, kam diese Idee wieder zum Vorschein. Und in der Tat eignet sich die Location sehr gut für diese Geschichte, denn als Zuschauer erlebt man hier einen fast schon immersiven Theaterabend in einer ganz besondere Atmosphäre.
Im besagten Bunker befindet sich ein Konzertsaal, der vergleichbar mit einer kleinen Studiobühne auch szenisch bespielt werden kann. Für seine Inszenierung setzt Regisseur Dennis Krauß hier vor allem auf die Darstellung von Radamès und Aida, die in den engen Mauern des Tempels (bzw. des Bunkers) gefangen sind. Darüber hinaus besteht die Bühne aus einem Podest, so dass auch die hinteren Reihen der Handlung recht gut folgen können. Sehr schön wird auch die vorhandene Dachluke einbezogen, die zu Beginn der Vorstellung verschlossen wird, so als ob man die Gruft im Tempel durch einen großen Stein verschließt. Auf einer Empore ist das kleine Kammerorchester aus Klarinette, Fagott, Horn, Violine, Viola und Violoncello untergerbracht, unterstützt von Katie Wong am Klavier im hinteren Bühnenbereich. Auf der gegenüberliegenden Empore findet neben der Technik auch Dirigent Giovanni Conti seinen Platz, so dass die Musiker ihn trotz der engen räumlichen Verhältnisse gut im Auge haben. Der Klang in diesem besonderen Ambiente ist erstaunlich gut, so dass die Partitur von Stefan Heucke voll zur Geltung kommt. Musikalisch bedient sich Heuke zwar immer wieder an Verdi-Motiven aus der bekannten Vorlage, dennoch handelt es sich bei dieser Uraufführung um eine relativ moderne Oper, die recht abwechslungsreich daher kommt. Sehr gelungen ist die kurze Ouvertüre, die quasi die letzten Momente der Aida-Oper nochmals aufgreift, um dann zum „fünften Akt“ überzuleiten.
Das deutsche Libretto stammt von Ralph Köhnen, dem es gelungen ist, die Beziehung zwischen den beiden Hauptfiguren in rund 70 Minuten spannend weiter zu erzählen. Eine Mischung aus Liebe, Zweifel, Hoffnung und Verzweiflung (aufgelockert in der zweiten Szene durch einen kurzen Rückblick in die Kindheit der beiden) in klaren, teilweise aber auch poetischen Worten, lässt den Zuschauer aufmerksam bei der Sache bleiben. Vorteilhaft hierbei auch die gute Textverständlichkeit durch die Mezzosopranistian Eva Maria Günschmann als Aida und dem Bariton Rafael Bruck als Radamés. Zwei ganz hervoragende Darsteller, denen es in diesem Fall auch zu Gute kommt, dass diese Oper speziell für ihre Stimmen geschrieben wurde. Das ist musikalisch eindrucksvoll und dem am Ende fast 10minütigen Beifall allemal wert. Beide sind in dieser Kammeroper zuvor 70 Minuten im Dauereinsatz, denn das Libretto ist schon extrem wortreich angelegt. Am Ende scheinen beide daher auch spürbar erleichtert, die anwesenden Zuschauer sind sichtlich begeistert von dieser besondere Uraufführung zum Beginn der neuen Spielzeit am Theater Mönchengladbach.
Mit der Uraufführung von Aida – Der fünfte Akt zeigt das vergleichsweise kleine Theater Krefeld-Mönchengladbach einmal mehr, dass es im Musiktheater auch spannende Abende abseits des üblichen Repertoire zu entdecken gibt. Hierfür gebührt allen Verantwortlichen großer Respekt. Ein Besuch der Vorstellung im Bunker Güdderath ist ein sicherlich nicht alltäglicher Theaterabend, der lange im Gedächtnis bleiben wird.
Markus Lamers, 5. September 2023
Aida – Der fünfte Akt
Kammeroper von Stefan Heucke, Libretto von Ralph Köhnen
Bunker Güdderath, Theater Mönchengladbach
Uraufführung: 3. September 2023
Inszenierung, Bühne und Kostüme: Dennis Krauß
Musikalische Leitung: Giovanni Conti
Niederrheinische Sinfoniker
Weitere Aufführungen: 8. September / 16. September / 23. September / 29. September und ab 10. November in der Fabrik Heeder, Krefeld