Vorstellung am 7.11.15
Premiere am 21.3.2015
Es war höchste Zeit, dass auch die Ungarische Staatsoper endlich wieder die notwendigen Mittel lukrieren konnte, um nach 17 Jahren einen neuen „Ring“ in Szene zu setzen. In der Zwischenzeit musste das Publikum seit etwa 2007 mit einer halbszenischen Tetralogie im Rahmen der Wagner-Tage Budapest im Palast der Künste (MÜPA) Vorlieb nehmen. Für den neuen Ring-Zyklus konnte man den ungarischen Filmregisseur und Béla Balázs-Preisträger Géza M. Tóth als Regisseur gewinnen. Gemeinsam mit seiner Dramaturgin Eszter Orbán unternahm er den Versuch, mit einer an Computer-Animationsfilme angelehnten visuellen Ästhetik ein jüngeres Publikum anzusprechen. Knapp vor Beginn des Vorspiels sehen wir dann in die dunkle Tiefe der Rheins, aus der sich langsam einzelne Wogen emporschaukeln. Die Rheintöchter schweben darin auf „Felsbrocken“, die mit einer Art „Seetang“ umwachsen sind, auf und ab.
Sie alle tragen Rüschchenkleider in poppigen Farben und erinnern entfernt an Barbiepuppen. Zita Váradi als Woglinde, Krisztina Simon als Wellgunde und die Mezzosopranistin Melinda Heiter als Flosshilde agierten kokett und sangen, bis auf letztere, mit präziser Diktion. Einzig Melinda Heiters Mezzo hörte sich etwas angestrengt und verquollen an. Der deutsche Bariton Marcus Jupither als Gast versuchte als korpulenter Alberich vergebens im Wasser plantschend eine der drei Rheintöchter an sich zu ziehen. Aber es gelingt ihm immerhin einige Kleiderfetzen abzureißen, in die er dann bequem das zu raubende Rheingold einpacken kann. Im dritten Bild überwacht er dann in Uniform die Vermehrung seines Schatzes, den ihm die geschundenen Nibelungen „zu Tage“ befördern. Als Riesenwurm erscheint dann eine Videoeinspielung, als „Kröte“ tritt er selber als ein Zerrbild der Soldateska auf. Seines Fluches entledigt er sich dann im vierten Bild mit einem gewaltigen Schrei, der aufrüttelte. Das Orchesterzwischenspiel zum zweiten Bild zeigt eine Unmenge schwebender Konstruktionselemente, die langsam zu einsamen Bergeshöhen führen und schließlich den Blick auf Walhall freigeben, das auf einer Insel inmitten üppiger Vegetation liegt. Das Göttergeschlecht, alles andere als hehr und achtenswert, wird sichtbar. Kostüm- und Maskenbildnerin Ibolya Bárdosi kleidet sie scharf überzeichnend in Kostüme des Popzeitalters.
Auf einer eleganten Bar (Bühnenbild: Ildikó Tihanyi) stehen Freies Äpfel in Form von zarten Teelichtern. Donner, in hellblauem Anzug mit zerzaustem weißem Haar und aufgeblasenem Plastikhammer, spielt gelangweilt mit seinem Mobiltelefon. Froh ist grün gekleidet wie ein Frosch mit Frisur aus dem 18. Jahrhundert und lässt sich von Musik aus seinem Kopfhörer berauschen. Fricka versucht mit ihrem beigen Kleid mit Riesenschleife neuen Wind in die erstarrte Ehe mit Wotan zu blasen. Ihre Schwester Freia trägt dann ein furchtbar kitschiges rosafarbenes Kleidchen. Währenddessen sinniert Göttervater Wotan über ein fernes Weltkonzept. Mit seinem schneeweißem Haar und Mantel erinnert er dabei ein wenig an Gandalf aus der Filmtrilogie „Der Herr der Ringe“. Eine Weltkugel mit Landschafts- und Gebäudebildern, unterlegt von komplexen Daten und Codices, die so das Gebilde als unlenkbar erscheinen lassen, wird letztlich sichtbar. Die beiden Riesen erscheinen dann wie bei einer Zeitreise aus dem fernen All und führen Freia mit sich auf einem Podest. István Kovácsházi trat als ränkeschmiedender Loge in hellgrünem Anzug und rotem Irokesenhaarschnitt auf. Darstellerisch wirkte er souverän bei bester Phrasierung und klangvollem Volume. Sehr wortdeutlich gestaltet Krisztián Cser den Fasolt mit klangvollem Bass. Es gelang ihm mit dieser Rolle an diesem Abend ein musikalischer Hattrick.
Noch am Vormittag hatte er in zwei ungarischen Opern jeweils die Hauptrolle gesungen. In Vajdas „Mário és a varázsló“ den Magier Cipolla und in Bartoks „A kékszakállu herceg vára“ den Blaubart. Und nun gesellte sich mit dem Fasolt die dritte große Rolle zu diesem Hattrick, der wohl ins Guiness Buch der Rekorde Eingang finden könnte. Seine eindringlichen Mahnungen an Wotan gelangen so zu einer der intensivsten Szenen des Abends. Mihály Kálmándi sang den Göttervater mit einem warm timbrierten Bassbariton, der sowohl in der Höhe als auch in der Tiefe bestens disponiert war. Ildikó Komlósi gab nach ihrer packenden Judit in Herzog Blaubarts Burg am Vormittag eine resolute Fricka mit gutem Mezzo. Zoltán Nyári gefiel als quirliger Froh mit kräftigem Tenor und Zoltán Megyesi als prägnanter Mime. Géza Gábor war ein stimmlich solider Fafner. Bori Keszei war eine höhensichere trotzige Freia und Sándor Egri war als Gott Donner leider mit gesanglich wenig göttlichem Aplomb ausgestattet.
Aber vielleicht kann ja ein Donner durchaus „polternd“ singen, würde es doch zu seinem Naturell passen. Die von Richard Wagner in seiner Tetralogie angesprochene Kritik am Kapitalismus des aufkeimenden Industriezeitalters verdeutlichte Regisseur Tóth besonders eindrucksvoll im Orchesterzwischenspiel zum Nibelheimbild. Vorbei an den Walhalllofts der Superreichen, geht es In rasender visueller Fahrt nach unten, vorbei an den Insignien fernöstlicher Billiglohnelektronika, bis zu den Abfällen dieser Hochkultur, dem Elektromüll und sonstigen Müllhalden und der für immer zerstörten Natur. Stimmlich großartig taucht dann Bernadett Fodor als Erda mit der Unterbühne aus der Tiefe der Erde auf. Sie sorgte mit dieser Rolle bereits im Linzer Ring für Furore. Die Mahnung der Urwala trifft auf offene Ohren, zwar möchte Wotan mehr wissen, aber für dieses Mal hat Erdas weise Botschaft bereits ein Umdenken in seinem Kopf bewirkt. Das Gold liegt für den schändlichen Handel zur Lösung Freias bereits in Kisten verpackt da, wird übereinander gestapelt, um so den Blick auf Freia zu verbergen. Wo dann ihr Auge Fafner noch zugeblinzelt haben mag, bleibt ein szenisches Rätsel. Nach dem Einzug der Götter nach Walhall erstürmen Konsumenten wie toll einen Supermarkt und versuchen in ihrem Kaufrausch, ihre Einkaufswägen randvoll mit allerlei Tand zu befüllen.
Damit setzte der Regisseur gekonnt ein schockierendes Ausrufungszeichen und überlässt dem Publikum die eigene Auseinandersetzung mit seinem Konsumverhalten. Péter Halász, der junge Generalmusikdirektor der Ungarischen Staatsoper, unterstrich mit dem Orchester mit klaren Linien die narrative Struktur des Vorabends der Tetralogie. Mit viel Liebe zum Detail gelang ihm auch eine überzeugende Verbindung zu den visualisierten Orchesterzwischenspielen. Trotz oder gerade wegen dieser entromantisierten Sichtweise auf Wagners opus ultimum erhielt diese Produktion und alle mitwirkenden Künstler vom Publikum an diesem Abend verdienten Applaus. Der Rezensent war sich noch unschlüssig, ob ihm das Gesehene eigentlich gefallen oder missfallen hatte? Aber darauf kommt es ja nicht an. Das Publikum ist der Gradmesser.
Fotos: Pét er Rákossy