Vorstellung am 24.09.2020
Glänzender Auftakt
„In Zeiten, wie diesen“ ist es nicht selbstverständlich, dass man eine Ballettvorstellung mit live Orchesterbegleitung geniessen kann. Das Wiener Staatsballett, seit Saisonbeginn unter der Leitung des Schweizer Choreographen Martin Schläpfer, ermöglicht dies, wie gewohnt auf sehr hohem Niveau. Etwa 25% der Company wurde mit dem Direktionswechsel neu besetzt, die meisten Ersten Solotänzer blieben dem Wiener Publikum erhalten, auch wenn man manche Tänzer vermisst, denen man wirklich von Herzen eine umjubelte Finalvorstellung im Juni gegönnt hätte. Wäre nicht die Coronakrise seit März… Ein etwas beklemmendes Gefühl mag in einem aufkeimen, wenn man mit Mund-Nasen-Schutz die Staatsoper betritt und auf der Website darum gebeten wird, die Begeisterung ausschliesslich durch möglichst lautes Klatschen auszudrücken. Aber vor allem ist man glücklich, dass Veranstaltungen wieder möglich sind, die Tänzerinnen vermitteln dieses Glücksgefühl ebenfalls, geben mehr denn je ihre grossartige Leistung – angesichts der wieder steigenden Zahlen weiss man ja nie, wie lange es jetzt möglich sein darf.
Genug von Damokles-Schwertern, wer sich in Bezug auf den Direktionswechsel gesorgt hat, das klassische Ballett würde mit einem Schlag von der Bildfläche verschwinden, wird eines Besseren belehrt. Zum einen ist das Niveau des Wiener Staatsballetts gerade im klassischen Repertoire international sehr hoch, zum anderen stehen diese Spielzeit Klassiker, wie Nurejews „Schwanensee“ und Ashtons „La Fille mal gardée“ am Spielplan, ebenso das neoklassische Werk „Jewels“ von George Balanchine. Und mit der neuen Ersten Solotänzerin Claudine Schoch, die gleich im ersten Stück, „Emeralds“, einen sehr guten Einstand gibt, dürften die Zweifel zerstreut sein. Da hat Wien eine erfahrene, technisch souveräne neue Ballerina mit klaren Linien gewonnen, die den Stil Balanchines bestens beherrscht, und auch die notwendige „Coolness“ hat, ein abstraktes Werk angemessen zu vermitteln. Als kongenialer Partner ist Roman Lazik ihr zur Seite, seit dieser Saison Senior Artist. Schoch wird übrigens Ende Oktober den Hauptpart im dritten Stück, „Diamonds“, tanzen.
Bereits in der letzten Saison waren Nina Polakova und Robert Gabdullin als 1. Paar in „Emeralds“ zu erleben, und harmonieren elegant miteinander. Polakova gestaltet in diesem Ballett die Armhaltung besonders feingliedrig und detailgetreu.
Ein weiteres Hausdebüt gab es in „Emeralds“ von Halbsolistin Sonia Dvorak – eine vielversprechende Tänzerin, die in einer Folgevorstellung auch für das 1. Hauptpaar vorgesehen ist. Geschmeidig und flink gelingt ihr gemeinsam mit der ebenso lieblichen Alice Firenze und dem als Solotänzer wieder zum Wiener Staatsballett zurückgekehrten Francesco Costa der Pas de trois.
Auch bei den 10 Corps Damen gab es gleich acht Rollendebüts, davon vier Hausdebüts, alle in sich stimmig und harmonisch.
Nach der Pause ging es mit „Rubies“ sehr energisch weiter, Igor Zapravdin spielte das Capriccio für Klavier und Orchester von Igor Strawinski präzise und brillant, während Kiyoka Hashimoto und Densy Cherevychko mit Esprit und Humor und einem faszinierend-schnellen Wechsel von leger und streng-klassisch den Pas de deux zum Besten geben. Ketevan Papava ergänzt mit starker Bühnenpräsenz und energiegeladenen Sprüngen die Solistenriege optimal, während auch hier das Corps de Ballet (hier zwei Hausdebüts, aber ansonsten keine Rollendebüts, auch Papava, Hashimoto und Cherevychko haben die Rubies bereits vergangene Saison getanzt) eine souveräne Leistung bringt.
Schliesslich, nach einer weiteren Pause, kam der klassischste Teil des Abends mit „Diamonds“ und Publikumsliebling Olga Esina. Das ist eine Ballerina der ganz grossen Klasse, die seit 2006 dem Wiener Staatsballett angehört, und die man bereits in zahlreichen Hauptpartien bewundern konnte. Während der „Diamonds“-Pas de deux bereits 2018 bei der Nurejew Gala von technisch souveränen Gastsolisten getanzt wurde, doch leider damals etwas langatmig war, so hat Esina die Begabung, einen Spannungsbogen zu schaffen, der bis zum Ende des Abends wirkt. Erstmals als ihr Partner ist Masayu Kimoto zu erleben, sehr sicher in den Hebungen und hervorragend in seinen Soli – er ist übrigens der einzige, der Szenenapplaus erntet. Einziges Manko: Esina ist nunmal eine grossgewachsene Ballerina und ihr letzter kongenialer Partner, Jakob Feyferlik, tanzt seit September beim Het Nationale Ballet…
Bei „Diamonds“ gab es auch einige Hausdebüts, sowohl im Corps de Ballet, als auch unter den Solisten, neue Solotänzerin ist Aleksandra Liashenko, die gemeinsam mit Elena Bottaro vereinzelte Soli zum Besten gibt, ein freudiges Wiedersehen gibt es mit Masha Tolstunova, welche in der Ballettschule als kleine Clara im „Nussknacker“ zu erleben war und später bei den „Jungen Talenten des Wiener Staatsballetts“ auf sich aufmerksam machte, bevor sie für ein paar Jahre nach Hamburg wechselte.
Kräftigen Applaus gab es auch für den Dirigenten Paul Conelly, der den ganzen Abend mit Mund-Nasen-Schutz dirigierte und das Orchester facettenreich durch Fauré, Strawinsky und Tschaikowski führte, und schliesslich beim Schlussapplaus Olga Esina die Ellbogen bot, was für allgemeine Erheiterung sorgte.
Folgevorstellungen: 25.9., 3., 9., 18., 22., 27., 29.10., 1.1.2020
Katharina Gebauer, 26.9.2020
Bilder (c) Staatsballett