Premiere am 23.03. 2014
Fantasievolle Sparsamkeit
Georg Friedrich Händels Zauberoper "Alcina" gehört mit recht zu seinen meistgespielten Werken, denn seine musikalische Inspiration erreicht hier ihren Höhepunkt. Eine Ohrwurmarie reiht sich an die nächste. Zumal ist ihm mit der vielschichtigen Titelpartie eine echte Charakterstudie gelungen, eine doch außergewöhnlich schillernde Menschengestalt innerhalb der Barockoper. Trotz des dramatischen Sujets haftet der Alcina-Musik etwas besonders Moussierendes an, wenn der tragisch dunkle "Tamerlano" mit einem schweren Rotwein verglichen werden kann, so ist die "Alcina" ein Champagner der Spitzenklasse. Nach über dreißig Jahren ist sie jetzt wieder an den Wuppertaler Bühnen zu erleben.
Johannes Weigand wurde von mir schon oft gelobt, weil er Spielpläne und Ausstattung nach Ensemble und Etat zu gestalten vermag. Auch hier haben wir es, bis auf eine Ausnahme mit dem Wuppertaler Hausensemble zu tun, was bedeutet keine Countertenöre, sondern weibliche Mezzosoprane in den Männerrollen. Auch die Ausstattung wird dem Diktat der Sparsamkeit gerecht, ohne das Metier der optisch opulenten Zauberoper zu vernachlässigen. Moritz Nitsche stellt schlichte Vorhangparavents auf die Bühne, die mal gerafft werden können, und mit Hilfe von Videos in farbenprächtige Hintergründe verwandelt werden. Der meiste Zauber entsteht jedoch durch die schönen Kostüme von Judith Fischer, eine Mischung aus barocken Anspielungen und ein bißchen Science-Fiction der Siebziger Jahre. Weigand erzählt den Niedergang, der durchaus nicht nur netten Zauberin, gleichsam in einer märchenhaften Naivität, die sehr viel Augenmerk auf die Musik richtet, das mag vielleicht nicht originell oder tiefschürfend psychologisch sein, erreicht aber das Publikum.
Musikalisch erinnert man sich in Wuppertal an stilsichere Barockopern, als man noch Spezialisten für Alte Musik ans Pult des Sinfonieorchester Wuppertals holte. Boris Brinkmann sorgt sich um einen eher romantischen Zugang zu Händel, das klingt dann recht weihevoll und betulich aus dem Graben, überfordert jedoch auch nie die Sänger. Mein Wunsch wäre jedoch eine Herangehensweise der neueren Art gewesen, straffere Tempi, mehr "Swing" innerhalb der einzelnen Nummern und lebendigere Rezitative. So klingt es doch wie Stadttheater von 1950 mit Barock, das Orchester kann auch anders.
Elena Fink als Alcina ist nicht nur ein optischer Knüller, wenngleich ihre "Zauberurne" mehr wie ein magischer Rollator aussieht. Gesanglich fühlt sie sich in den Höhen der Koloraturen wie ein Fisch im Wasser, trotz mancher kleiner Engstelle. Ihr Sopran hat vielleicht nicht die sämige Tiefe für die dramatischen Stellen, doch wird der Kehlkopfartistik sehr gerecht. Joslyn Rechter läßt als verzauberter Ritter Ruggiero mit schönen Farben, geläufiger Gurgel und dramatischer Wahrheit kaum Wünsche offen, ihre wunderschöne, melancholische Arie "Verdi prati" war für mich im entspannten Piano gesungen der Höhepunkt des Abends. Nohad Becker als Gast ließ als heroische Verlobte Bradamante zwar auch gekonnte Koloraturen hören, die waren durch unschöne Vokalverfärbungen, Fiorituren auf "u" klingen einfach nicht gut, getrübt, auch klingt die Stimme an sich einfach zu klein. Dorothea Brandts Sopran wusste in der Partie der Morgana vor allem durch schöne Schwelltöne und silbernen Klang zu gefallen, die artistischen Koloraturen sind noch nachbesserungsfähig. Christian Sturms Tenor scheint sich im barocken Repertoire wohl zu fühlen, denn sein Oronte klang sicherer und nonchalanter, als man bei ihm im romantischen Repertoire gewohnt ist. Martin Js. Ohu absolviert den Melisso mit sicherem Bass, hier jedoch umgekehrt, ist eher eine Eignung für größeres Volumen. Annika Boos entzückt mit hellem Sopran als Oberto und gefällt durch starke Emotionalität.
Insgesamt die gute Leistung eines ausgeglichenen Stadttheaters, das eben nicht oft Barock spielt. Das reichliche Premierenpublikum zeigte jedoch mit langanhaltendem und begeisterten Applaus seine Freude für den immerhin dreistündigen Abend.
Martin Freitag 25.3.14
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