Wuppertal: „Alcina“

Premiere am 23.03. 2014

Zauberoper mit einfachen Mitteln der Moderne

Händel hat an die vierzig Opern geschrieben und gehört mit ihnen heute, auch wenn keiner der Einzeltitel die Aufführungszahlen der Opern des Hauptrepertoires erreicht, zu den am meisten gespielten Autoren. Die Stoffe reichen von den heroischen und Huldigungsopern zu barocken Zauberopern und Pasticci. Da man den 1:1 umgesetzten heroischen und historischen Stoffen mit ihren teilweise hergeholten Liebesverbandelungen heute nicht mehr so viel Interesse entgegenbringt, werden die Opern vielfach parodistisch und ironisch inszeniert, aber leider auch vielfach zum comedy-Klamauk degradiert. Die Zauberoper Alcina beruht auf einer Episode aus Ariosts Orlando furioso und nimmt eine Ausnahmestellung in Händels Schaffen ein (Ballett, Chor, Ensembles); zudem thematisiert sie oberflächliche konsumptive erotische Verhaltensweisen und wahre Liebe und führt in die Tiefe der Gefühle wie kein zweites Händel-Werk. Das inspirierte den Komponisten zu großer thematischer Geschlossenheit der Musik und einem Brillantfeuerwerk an unsterblichen Melodien, die er in anderen Opern wesentlich spärlicher einsetzte. Alcina könnte man aufgrund dieses emotionalen und psychologischen Inhalts durchaus auch als Oper mit den früheren romantischen Stilmitteln aufführen. Aber das ist im Zeitalter des Aberglaubens an die historisch informierte Aufführungspraxis kein Thema…

Dorothea Brandt (Morgana); Nohad Becker (Bradamante); Christian Sturm (Oronte)

Was macht nun der scheidende Wuppertaler Opernintendant und Regisseur Johannes Weigand aus dem Stoff? Er stellt ihn untendenziös als Zauberoper mit einem liebenswürdigen ironischen Unterton auf die Bühne und lässt Barock-Klamauk gänzlich außen vor. Die Entwicklung der Titelfigur Alcina von einem ruchlosen, bösen männerverscheißenden, ja -mordenden Weib bis zu einem Häufchen Elend, das alle Macht über seine Umwelt verloren hat, weil es begann wirklich zu lieben, bleibt dabei sekundär. Das äußert sich schon in der Streichung von Alcinas Arie „Si, son quella“ im ersten Akt, die mit am Anfang ihrer Entwicklung steht, die mit ihren Lamenti und ihrem Untergang endet. Von den weiteren Kürzungen, die die Fassung dieses Abends von den ursprünglichen vier auf zweieinhalb Stunden reine Spielzeit brachten, hatte Händel schon bei der ersten Wiederaufnahmeserie in London einige selbst vorgenommen. In der vorliegenden Produktion behalten Oronte und Oberto ihre Arien; bei den rein instrumentalen Passagen ist aber schon bei der einleitenden sinfonia gekürzt worden, die Ballettmusiken sind konsequent herausgestrichen, obwohl gerade ein Teil dieser zur Zauberstimmung des Werks beiträgt. Dafür blieben alle Chorszenen bis auf eine erhalten.

Joslyn Rechter (Ruggiero); Martin Js. Ohu (Melisso)

Weigand realisiert sein Konzept mit ganz einfachen szenischen Mitteln, wobei die Klar- und Einfachheit des Bühnenbildes (Moritz Nitsche) mit der märchenhaften Pracht der Kostüme (Judith Fischer) kontrastiert. Die Bühne ist mit einem großen weißen Rahmen eingefasst, als ob die Regie sagen wollte: Achtung, wir sind im Guckkasten-Theater! Auf der Spielfläche ist ein Halbrund von sieben bühnenhohen, mit Leinwand bespannten Elementen aufgebaut, von denen sich bei dreien durch Hochraffen Durchgänge öffnen lassen. Davor wird praktisch ohne weitere Requisiten gespielt. Zauberhafte Elemente und Fantasien werden jeweils farbig auf die Leinwand projiziert. Dahinter tauchen in Schattenspielen märchenhafte Figuren auf: die von Alcina verzauberten Männer. Die Kostüme reichen von ironisierender Naivität beim „niederen“ Paar Oronte Morgana bis zur ausladenden Krinoline Alcinens und ihrem zum Schluss darüber gezogenen Luxuskleid mit langer Schleppe.

Während der sinfonia treten Melisso und Ricciardo/Bradamante in einfachen Uniformen mit Südwester vom Zuschauerraum auf die Bühne: sie sind vom maritimen Unwetter auf die Zauberinsel gespült worden und mischen dort die Handlung auf. Bei dem Spiel im Halbrund gibt es nicht viele Requisiten. Melisso hat zwei Koffer mit Kultgegenständen für den Abtrünnigen Ruggiero an Land gerettet. Dann gibt es noch den Zauberkasten der Alcina; das ist ein Lampen- und Spiegelgestell, das aus einem Designer-Laden der 70er Jahre stammen könnte. Das Werkzeug wirkt bei der Beschwörung der Schatten gegen Ende schon nicht mehr. Als aber der antikisierend eingekleidete Pennäler-Typ Oberto zum Schluss einen wesentlichen funktionalen Teil des Geräts herauszieht und mutwillig zerstört, fallen die Bettlaken der Bespannungen; die Insel ist von Alcinas Zauber befreit ebenso wie das darauf befindliche Volk: es handelt sich um eine Schar von Mittelmeertouristen, die zu Besuch auf der Insel ist und nun fröhlich herumtanzt. Im Schlusschor feiern sie das ihnen gewogene Schicksal, während sich Alcina an der Seite mit einer Pistole in den Mund schießt. Ende der Oper! Eine zwar zurückhaltende, aber stringente und gut mit der Musikstruktur gehende Personenregie rundet die gute Regieleistung ab.

Nohad Becker (Bradamante); Joslyn Rechter (Ruggiero); Elena Fink (Alcina)

Bezüglich der musikalischen Realisierung des Werks muss man indes etwas Wasser in den Wein schütten. Verstärkt mit einigen Barockspezialisten spielte ein etwa 25-köpfiges Ensemble aus dem Sinfonieorchester Wuppertal unter seinem jungen Kapellmeister Boris Brinkmann durchweg präzise und musizierfreudig auf. Aber dennoch: das war nicht Fisch, nicht Fleisch. Der federnde Händel-Swing kam kaum zustande, der Klang einiger Originalinstrumente kontrastierte mit der romantisch klingenden Streichergrundierung. Das klang ziemlich brav und war in dem Tempi manchmal etwas breit: kulminierend im „verdi prati“. Erst im dritten Akt nimmt die Musik mit dem Geschehen an Dramatik zu. Aber bei einem der Höhepunkte der Oper „sta nell’ircana“ wollten die hohen Naturhörner den Hornisten nicht gehorchen. Sauber hingegen die Soli der Flöten, der Geige und des Cello und gut einstudiert (Jens Bingert) der Opernchor, der kräftige musikalische Akzente setzten konnte.

Elena Fink (Alcina)

Die Titelrolle war mit Elena Fink besetzt, die mit ihrem klangstarken, gut fokussierten Sopran die Rolle jugendlich dramatisch anlegte. Dementsprechend war ihre stimmliche Beweglichkeit bei den secco-Rezitativen nicht sehr ausgeprägt, dafür aber sehr gelungen dramatisch die Geisterbeschwörung im einzigen accompagnato „Ah! Ruggiero crudel!“ und die folgende Arie. Innig in Ausdruck und Tiefe ihre beiden Lamenti, wobei das „Ah Ah mio cor“ noch besser gefiel. Die Australierin Joslyn Rechter verlieh dem Ruggiero ihren eleganten, runden und einschmeichelnden Mezzo, der in der Höhe schön aufblühte. Auch Nohad Becker punktete als Bradamante mit einem weichen klaren Mezzo, mit dessen Beweglichkeit sie ihre Koloraturen mit schöner Leichtigkeit bewältigte. Selbst in der guten Akustik des mittelgroßen Wuppertaler Saales hätte man sich von den beiden Mezzosopranistinnen allerdings etwas mehr Volumen gewünscht. Christian Sturm sang mit feinem lyrischem Tenor den Oronte, den Händel schon ursprünglich für einen jungen Sänger gesetzt hatte, und war auch darstellerisch mit seinem jugendlichen Auftreten gut unterwegs. Dem koreanischen Bass Martin Js. Ohu lagen die Rezitative nicht; aber seine Arie gestaltete er mit schönen lyrischen Linien. Die junge Wuppertalerin Annika Boos punktete in der aufgewerteten Rolle des Oberto mit quicklebendigem Spiel und ihrem klaren hellen Sopran. Dass die Morgana eine der schwer sangbaren Rollen Händels ist, zeigte sich auch bei Dorothea Brandt, die zudem mit den Rezitativen zu kämpfen hatte.

Elena Fink (Alcina); Christian Sturm (Oronte); Chor; Alcinas Zaubergerät

Die Vorführung erhielt aus dem fast ausverkauften Haus Riesenbeifall, der sich bei der Vorstellung des Regieteams fast zum Jubel steigert. Wahrscheinlich galt dieser Extrabeifall dem scheidenden Opernintendanten Johannes Weigand persönlich. Alcina kommt bis in den Juni hinein noch sechs Mal.

Manfred Langer, 24.03.2014
Fotos: Uwe Stratmann

CD-Empfehlung:

Opulenter Händel-Klang der Cappella Coloniensis unter Ferdinand Leitner (heute nicht mehr als historisch informiert anerkannt.) Dazu Fritz Wunderlichs Tenor als Ruggiero und Joan Sutherland als Alcina

Live Aufnahme 1959 – Deutsche Grammophon 2 CDs CD ADD 0289 477 8017 5 GH 2 MONO

Keine Experimente!

Opernintendant Kamioka stellt sein erstes Spielzeitprogramm vor Ein golden glänzendes W prangt auf der Broschüre der neuen Spielzeit 2014/15. Das ist chic. Was aber steckt dahinter? Wie sieht sie aus – die erste Spielzeit des neuen Opernintendanten Toshiyuki Kamioka? Solche Fragen sollte die Pressekonferenz beantworten, die am vergangenen Freitag im Opernhaus stattfand. Und auch noch andere. Schließlich hatte in den letzten Monaten das Gerücht die Runde gemacht, Kamioka wolle in Zukunft auf ein festes Opernensemble verzichten und nur noch Gastsänger verpflichten. Zahlreiche Pressevertreter erschienen. Ganz zu schweigen von den interessierten Wuppertaler Bürgern. Ansprechpartner neben Kamioka waren sein Stellvertreter Joachim Arnold, der kaufmännische Geschäftsführer Enno Schaarwächter und Oberbürgermeister Peter Jung. Die Vorstellung der Spielzeit dauerte nicht lang. Sechs Premieren plant das Team Kamioka-Arnold. Puccinis „Tosca“ soll die Spielzeit am 5. September 2014 eröffnen. Danach folgen „Don Giovanni“, „Parsifal“ und „Salomé“. Farbtupfer sind eine szenische Aufführung der „Johannes-Passion“ im Mai und die Kinderoper „Alice im Wunderland“ als letzte Premiere im Juni 2015. Wiederaufnahmen des „Barbier von Sevilla“ und von „Hänsel und Gretel“ – beides Inszenierungen des scheidenden Intendanten Johannes Weigand – fügen sich in das Muster ein. Operetten, mit denen Weigand beim Publikum punktete, werden nicht gespielt. Ein Musical-Projekt sei kurzfristig wieder abgeblasen worden – nach Protesten der Gewerkschaft Verdi. Mehr, so Intendant Kamioka mit entwaffnender Ehrlichkeit, könne er im Moment nicht leisten. „Ich bin abhängig von Zuschauerzahlen und Einnahmen.“ Dafür sei die Spielzeit bereits finanziert. „Wie sich das für einen vernünftigen Kaufmann gehört.“ Joachim Arnold sprach gern von den vielen Regisseuren, die ihr Debüt in Wuppertal gäben. Zum Beispiel vom Regisseur der „Johannes-Passion“, Philipp Harnoncourt, dem Sohn des berühmten Dirigenten. Hellhörig wurde man, als Arnold ein Dutzend Sänger erwähnte, mit denen der Intendant plane. Sei ein festes Ensemble gemeint? Kamiokas Stellvertreter wollte keine definitive Antwort geben. Profis wie Tenor Emilio Pons wollten „überhaupt kein festes Engagement“. Ausweichend antwortete Arnold auch auf die Frage nach der Theaterpädagogik. Ja, die neue Dramaturgin, Janina Maschkowski, würde auch pädagogisch tätig werden.
Als dann noch der Journalist Werner Häussner von einer Erhöhung der Eintrittspreise um 20 Prozent sprach, reagierte OB Jung etwas ungehalten und läutete das Ende der Pressekonferenz ein. So blieb also eine Frage weiter offen: Wird es noch einmal ein Wuppertaler Opernensemble geben? Weitere Informationen unter: www.wuppertaler-buehnen.de Daniel Diekhans 18.3.14
(Gastbeitrag Musenblätter)