Wien: „Der Rosenkavalier“

Wiener Volksoper, 17.11.2021

Der doppelte Retter

… und es begab sich dass der Premierensänger des Ochs, Stefan Cerny, krankheitsbedingt schon nach der zweiten Vorstellung der Serie den Rest der Vorstellungen absagen musste. Es gelang der Direktion mit Franz Hawlata einen sehr erfahrenen Sänger als Ersatz zu engagieren, der nicht nur bereits über 500x diese Rolle verkörpert hat, sondern noch dazu die Inszenierung gut kannte (es ist eine Übernahme der Produktion aus Bonn), da er in dieser auch schon aufgetreten war. Schade, dass ich nicht die Möglichkeit hatte den jungen Wiener Cerny als Ochs zu erleben – alleine durch den Altersunterschied, so könnte ich mir vorstellen, würde da ein ganz anderes Bild des Lerchenauers gezeichnet worden sein.

Warum spreche ich vom „doppelten Retter“? Zu Beginn der gestrigen Vorstellung wurde dann auch noch bekannt gegeben, dass Hawlata krank sei, aber trotzdem an diesem Abend auftreten werde. Nun, alleine schon aus diesem Grund wäre es unfair über die Leistung des Sängers ein Urteil abzugeben. Er schonte seine Stimme im ersten Akt, begann den 2.Akt sehr souverän, musste dann aber gegen Ende schon wieder auf „Überlebensmodus“ zurückfahren. Seine schauspielerische Leistung war indes beeindruckend (inwieweit sie mit dem Regiekonzept übereinstimmte, sei dahingestellt), er brachte seine ganze Erfahrung aufs Tapet. Sein Ochs ist ein „grober Lackel“, wäre ein Fressen für die „me-too“-Gemeinde gewesen, in der Konversation mit der Marschalling zeigte er aber nichtsdestotrotz dass er – wenn es unbedingt sein muss – sich wohl zu benehmen weiß. Das Publikum dankte dem Sänger für seinen Auftritt mit sehr freundlichem Applaus.

Die vom Publikum am meisten akklamierte Sängerin des Abends war Beate Ritter in der Rolle der Sophie. Als gelernter Wiener hat man die Schenk-Inszenierung an der Staatsoper ja schon viele Male gesehen, und meistens wird sie dort als sehr unschuldiges Wesen dargestellt. Hier ist sie ein selbstbewusstes junges Mädchen, das sich (im Gegensatz zur Marschallin – wie diese ja selbst sagt) nicht ohne weiteres ihrem Schicksal ergeben möchte. Es ist auch nicht die Liebe auf den ersten Blick zwischen Octavian und ihr, diese ergibt sich erst im Verlauf des 2.Akts. Eine interessante Interpretation, die dem Regiekonzept zuzuschreiben ist. Leider geht dadurch der Zauber bei der Überreichung der Rose ziemlich verloren (und ist es wirklich notwendig gewesen eine Slapstick-Aktion einzufügen? Wenn Sophie dem Octavian die Rose zum Riechen hinhält, dann stolpert sie ein bisschen und rammt ihn diese ins Gesicht…). Ritter beherrscht die Rolle perfekt – es wird interessant sein, wie sie sich ein einem größeren Haus bewährt.

Emma Sventelius ist von der Figur und vom Auftreten her ein idealer Octavian. Ihr Mezzo ist zwar etwas hell und daher beim Schlussterzett nicht leicht von den beiden Sopranen zu unterscheiden, aber das ist schon der einzige Einwand, den ich vorbringen kann.

Beeindruckend, besonders vom schauspielerischen Standpunkt aus, war die Leistung von Jaquelyn Wagner als Marschallin. Auch ihr Monolog ging wirklich unter die Haut. Eigentlich von der ersten Szene weg konnte man erahnen, dass die Liaison mit Octavian nicht lange anhalten wird. In ihrem Gesang spiegelte sich eine gewisse Wehmut in ihrem Gesang. Die Amerikanerin, die schon auf eine erfolgreiche internationale Karriere zurückblicken kann, ist – wie auch Ritter und Sventelius – ein absoluter Gewinn für diese Produktion. Ähnlich wie bei Beate Ritter wäre es interessant, wie sie sich auf einer wirklich großen Bühne schlägt.

Morten Frank Larsen war ein verlässlicher Faninal, der eher als „Prolet“ denn als frisch geadelter Mann gezeichnet ist, Ulrike Steinsky eine manchmal etwas schrille Leitzmetzerin. Das Intrigantenpaar war bei Johannes Mertes und Margarete Joswig in guten Händen, ohne dass beide besondere Akzente setzen konnten. Daniel Ohlenschläger beeindruckte als stimmgewaltiger Polizeikommissar.

Einer, der aus seiner Nebenrolle viel herausholte, war Carsten Süss. Der Haushofmeister bei Faninal wurde von der Regie sehr genau gezeichnet – und es bedarf wahrscheinlich ein oder zwei weitere Besuche der Produktion, um alle Kleinigkeiten, die Regisseur Josef Ernst Köpplinger der Produktion „verschrieben“ hat, zu entdecken.

Vincent Schirrmacher überzeugte mit seinem kraftvollen Tenor und er brachte diese recht schwierige Arie gut über die Runden. Alle anderen Mitwirkenden seien pauschal gelobt.

Hans Graf dirigierte das Orchester der Volksoper für meinen Geschmack etwas zu laut (aber vielleicht hörte es sich am Balkon und auf der Galerie anders an als im Parkett. Und – um wieder die Staatsoper als Vergleich zu bemühen – DORT spielen halt die Philharmoniker…

(allerdings „borgte“ sich die VOP das Bühnenorchester der Wiener Staatsoper aus !)

Thomas Böttcher studierte den Chor der Wiener Volksoper wunderbar ein.

Zum Abschluss noch einige Bemerkungen zur Inszenierung. Nach 40 Jahren wieder eine Neuinszenierung des Rosenkavaliers in Wien – alleine das ist ja schon ein Wagnis, noch dazu, dass die Schenk-Produktion sicherlich zu den schönsten überhaupt gehört. Und das Wagnis hat sich gelohnt, denn man findet durch eine sehr gelungene Personenführung einige andere Akzente als im Haus am Ring.

Eine der am besten gelungenen Einfälle ist der, dass Octavian im ersten Akt ein Tuch der Marschallin mitnimmt, mit ebendiesem im zweiten Akt der Sophie die Tränen abwischt und sie es dann behält – und im dritten Akt verliert sie es und „Mohammed“ nimmt es und somit geht es wieder an die Marschallin retour – „Full Circle“

Es ist insgesamt eine im besten Sinne des Wortest konservative Inszenierung, die von Köpplinger (der auch für das Licht verantwortlich zeigt), Johannes Leiacker (Bühne) und Dagmar Morell (Kostüme) verantwortet wird. Nicht ganz glücklich war ich mit dem dritten Akt. Das „Wirtshaus“ erschien als Bar (zwar im Stil des frühen 20.Jahrhunderts – in diese Zeit war die Oper angesiedelt), doch war das alles sehr nüchtern. Und die Regie schickte auch sämtliche Mitwirkende der Oper auf die Bühne (was hatten da die „drei adeligen Waisen“ – die auch überzeichnet waren – zu suchen ?!?).

Trotz allem lohnt es sich diese Produktion zu sehen – ich werde sie sicherlich bei einem Re-Run besuchen!

Kurt Vlach 18.11.21