Trier: „La voix humaine“ / „Dido and Aeneas“

Licht und Schatten

Lieber Opernfreund-Freund,

zum Doppelabend lädt derzeit das Theater Trier ein und stellt zwei Frauen einander gegenüber, die das Verlassenwerden in den Selbstmord treibt: Zu Purcells Drama um Dido & Aeneas gesellt sich Francis Poulencs One-Woman-Show La voix humaine. Trotz packender Musik verlasse ich das Theater allerdings mit gemischten Gefühlen: So sehr mich die Interpretation des barocken Werks aus den Socken gehauen hat, so wenig hat mich die Umsetzung der Monooper überzeugen können.

Dido and Aeneas von Henry Purcell wurde irgendwann in den 1680er Jahren uraufgeführt, lange glaubte man, in einem Mädchenpensionat in Chelsea. Mittlerweile geht man von einem königlichen Kompositionsauftrag und damit mit einer Uraufführung in London aus. Die Handlung stammt aus dem 4. Gesang aus Vergils Aeneis, ist also mehr als 2000 Jahre alt. Doch die Lesart des Franzosen Jean-Claude Berutti kommt alles andere als antiquiert daher. In die zeitlose Gegenwart holt er die althergebrachte Geschichte und haucht ihr mit zahlreichen originellen Ideen neues Leben ein. Dabei nutz er die technischen Möglichkeiten der Trierer Bühne voll aus, so dass sich Aeneas‘ wellenumtostes Schiff blitzschnell in Didos Palast oder einen naturalistisch anmutenden Wald verwandelt. Das hat Bühnenbildner Rudy Saboungi vorzüglich gelöst. Die Idee, Didos zweite Gefährtin und eine der Hexen vom gleichen Countertenor interpretieren zu lassen, ist grandios, folgerichtig wird die Zauberin auch baritonal besetzt. Lediglich die eingestreute Ballettchoreographie von Roberto Scafati ist dermaßen dezent, dass man sie vielleicht ganz hätte weglassen können. Die kurze Stunde Oper vergeht so wie im Flug, wozu sicher auch die musikalische Seite beiträgt.

Janja Vuletic als Dido ist ein Ereignis. Neigt sie in den ersten Minuten bedauerlicherweise noch zum Overacting, erweckt sie im weiteren Verlauf diese zutiefst verzweifelte Frau gekonnt zum Leben. Dazu singt sie fantastisch und nuanciert, glänzt mit mühelos daherkommenden Verzierungen und feiner Höhe und verschafft mir so mehr als einmal Gänsehaut. Eva Maria Amann ist eine warm klingende Belinda und packt als treue Dienerin viel Gefühl in ihren wunderbaren Sopran. Matthias Bein würzt seinen klangschönen Bariton als Zauberin mit einer gehörigen Spur Fiesheit, während Silja Schindler und Fritz Spengler mit sicht- und hörbar viel Spiellust die Hexen geben. Letzterer macht auch als 2. Frau eine gute Figur und überzeugt mich in beiden Rollen mit der großen Natürlichkeit seines Counters und engagiertem Spiel bis in die letzten Perückenhaarspitzen hinein. Die „echten“ Herren des Abends bleiben bei so viel Frauenpower vergleichsweise blass. Blaise Rantoanina gefällt in den beiden kurzen Auftritten als Seemann und Geist (die Regie lässt ihn als Geistlichen auftreten), während Derek Rues Tenor recht zart über die Rampe kommt. Das mag aber auch daran liegen, dass er über weite Teile des Abends Anchises, den Vater seiner Figur, auf dem Rücken zu tragen hat – so war Aeneas der Sage nach aus Troja geflohen.

Dem Chor kommt in Dido & Aeneas besondere Bedeutung zu – und noch nie habe ich die einzelnen Stimmen so klar und präzise hören dürfen, wie gestern in Trier, so genau hat Angela Händel mit den Sängerinnen und Sängern gearbeitet. Auch im Graben gibt das schlanke, espritgeladene Dirigat von Jochem Hochstenbach keinen Anlass zur Klage. Doch das ändert sich bedauernswerterweise nach der Pause.

Es ist sicher nicht einfach, innerhalb von 30 Minuten den Schalter von einem klanglich eher zarten Barockwerk zu einer höchst expressiven, immer wieder von klanglichen Ausbrüchen geprägten Musik umzulegen. Und – so deutlich muss ich das leider sagen – das ist gestern in Trier auch nicht wirklich gelungen. Poulencs mitreißende Dynamik geht in der weichgespülten Interpretation Hochstenbachs komplett verloren, Ecken und Kanten fehlen völlig, so dass die musikalische Wirkung weit hinter den Möglichkeiten dieser kurzen Oper zurück bleibt.

Réka Kristóf gestaltet die Frau (sie hat im Stück keinen Namen) mit höchster Intensität, farbenreich und überzeugend. Mit viel Herzblut gelingen ihr die Wechsel zwischen Verzweiflung, Enttäuschung, Hoffnung, Wut und Flehen scheinbar mühelos. Dass man einige männliche Zuschauer auf die Bühne gebeten hat, um dem zweiten Teil von dort zu folgen, ist noch nachzuvollziehen – da verzweifelt und stirbt eine Frau vor den Augen der Männerwelt. Dass das eingeblendete Oszillogramm die Stimme des Telefongesprächspartners visualisiert, mag sich nicht jedem Zuschauer erschlossen haben, doch deshalb ist der Regieeinfall nicht weniger gut. Und auch die Idee, die Figur wie eine antike Tragödin zu gewanden, entbehrt nicht jeder Grundlage. Doch warum steckt Katharina Heistinger die Sängerin in seltsam klumpig anmutende Plateau-Sneaker, so dass die Arme allenfalls wenig anmutig über die Bühne staksen kann? Warum treten anstelle des stimmigen Lichtkonzeptes der ersten Hälfte grobe Lichtwechsel? Und warum fällt niemandem auf, dass man den in der Seitengasse positionierten Souffleur durch den schräg positionierten Spiegel im Zuschauerraum sehen kann, dass er hell erleuchtet und so präsent ist, dass er von der eigentlichen Protagonistin ablenkt? So überzeugend die Arbeit des Trierer Operndirektors Beruttis am Purcell ist, so sehr erinnert seine Voix humaine an Schülertheater.

Eine Medaille mit zwei Seiten ist also dieser Abend – und dennoch schicke ich Sie, lieber Opernfreund-Freund, nach Trier. Zum einen sind die 40 Minuten der zweiten Hälfte schnell überstanden und Réka Kristófs Verkörperung der Figur entschädigt für einiges. Zum anderen ist dieser Purcell dermaßen sehenswert, dass der Weg in jedem Fall lohnt.

Ihr Jochen Rüth 2.06.2019

Die Fotos stammen von Virginie Lançon