Besuchte Aufführung: 14.12.2018 (Premiere: 2.12.2018)
Theaterstreit im verpixelten Computerspiel
Zu einer ungemein kurzweiligen, interessanten, farbigen und bildgewaltigen Angelegenheit geriet die Neuproduktion von Sergej Prokofjews bereits im Jahre 1921 in Chicago aus der Taufe gehobener Oper Die Liebe zu drei Orangen an der Staatsoper Stuttgart. Hier fällt zuerst einmal auf, dass im Titel der Artikel den fehlt. Auf ihn wurde vom Produktionsteam aber bewusst verzichtet, um den Silben des Russischen besser zu entsprechen. Gesungen wurde in deutsch – Textfassung: Werner Hintze -, was angesichts der gut funktionierenden Übertitel fragwürdig und stilistisch ebenfalls problematisch war. Man hätte das Stück im russischen Original belassen sollen.
Carole Wilson (Fata Morgana), Michael Ebbecke (Der Zauberer Celio), Staatsopernchor Stuttgart und Statisterie
Das hinderte den Abend aber nicht daran, eine großartige Show zu sein. Die begeisterte Zustimmung, die allen Beteiligten beim Schlussapplaus entgegenschlug, war nur zu berechtigt. Eine derartige Begeisterung des Publikums erlebt man bei einer relativ unbekannten Oper, wie sie Die Liebe zu drei Orangen darstellt, nur selten. Angesichts des relativ geringen Bekanntheitsgrades des Werkes seien einige kurze Worte zum Inhalt erlaubt: Der Prinz eines Königreiches krankt daran, nicht lachen zu können. Durch einen plötzlichen Ausbruch von Schadenfreude wird er zwar geheilt, gleichzeitig aber auch mit dem Fluch belegt, sich in drei Orangen zu verlieben. Gemeinsam mit seinem Freund Truffaldino begibt er sich auf die Suche nach den drei Orangen, findet und befreit sie aus Kreontas Palast, kann jedoch nur eine der in den Orangen steckenden Prinzessinnen retten, die er schließlich aber, nach diversen Komplikationen und dem beherzten Eingreifen verschiedenster Mächte, doch noch heiratet (Programmbuch S. 6). Das Ganze beruht auf einer Vorlage von Carlo Gozzi. Für ihn waren das Überraschende, das Fantastische und der Schauwert die entscheidenden Kriterien (vgl. Programmbuch S. 21). Und genau diesen Aspekten wird Regisseur Axel Ranisch zusammen mit Saskia Wunsch (Bühnenbild) sowie Bettina Werner und Claudia Irro (Kostüme) auch voll gerecht. Das Regieteam hat sich wirklich sehr angestrengt, den Ansprüchen des Auditoriums gerecht zu werden, was ihm dann auch voll gelungen ist. Diese ausgesprochen ansprechende Produktion stellt eine wahre Augenweide dar, die man nicht so schnell wieder vergisst. Das gilt neben dem imposanten Bühnenbild auch für die äußerst gelungenen Kostüme.
Elmar Gilbertsson (Prinz), Daniel Kluge (Truffaldino), Fiorella Hincapie (Smeraldina), Staatsopernchor Stuttgart
Axel Ranisch siedelt das Stück in einem Computerspiel der frühen 1990er Jahre mit Namen Orange Desert III an. Die Welt ist demgemäß eine Computerwelt, die aus lauter Pixeln besteht. Es gibt in dieser Inszenierung gebaute, animierte und gespielte Pixel, die der Regisseur gekonnt zu einer Einheit zwingt. Das ganze Bühnenbild besteht aus Pixeln. Die verschiedenen Ebenen um den kranken Prinzen, die sich auf verschiedene Seiten schlagenden Zauberer und das Computerspiel gehen eine überzeugende Verbindung ein. Die Handlung spielt sich auf dem Grunde eines ausgetrockneten Sees in einem Schiffswrack ab. Durst und Langeweile herrschen hier. Ein guter Einfall war es, einen immer wieder per Video sichtbaren Jungen, der einfach nicht von seinem Computer wegzukriegen ist, in das Zentrum des Geschehens zu stellen. Anstatt das von seinem Vater zubereitete Essen zu genießen, verweilt er lieber am Laptop und vergnügt sich mit seinem Computerspiel. Nachhaltig wird er von Ranisch mit dem großen Weltenlenker Farfarello gleichgesetzt, der oftmals in das Geschehen eingreift. Das Kind Serjoscha kreiert eine Bühnenwelt, die in gleichem Maße komisch und grotesk ist. Wenn er im zweiten Teil des Werkes von der bösen Zauberin Fata Morgana, auf deren Seite er sich zuvor geschlagen hat, auf einmal in die virtuelle Welt hineingezogen wird, werden die Gefahren von Computerspielen offenkundig. Sein Vater muss das Spiel zu Ende bringen, was auch gelingt. Am Ende gelangt der Junge wieder in die reale Welt. In seiner Begleitung befinden sich indes die geflohenen Intriganten Fata Morgana, Clarice, Leander und Smeraldina. Die Realität bietet ihnen Zuflucht vor der drohenden Hinrichtung. Der Prinz und die schwangere Ninetta erfreuen sich derweil ihres Lebens. Die vom Zauberer Celio bezahlte und instrumentalisierte Prinzessin, die im dritten Akt einem abenteuerlich anmutenden Flugobjekt entsteigt – das gleiche tun die übrigen zwei Königstöchter auch -, gebiert passenderweise eine Orange, wobei ihr Celio als Geburtshelfer behilflich ist.
Daniel Kluge (Truffaldino), Matthew Anchel (Die Köchin), Elmar Gilbertsson (Prinz)
Geschickt werden die unterschiedlichen Ebenen miteinander verzahnt, was den großen Reiz von Ranischs Regiearbeit ausmacht. Die Überlagerung der verschiedenen Handlungsstränge war äußerst gelungen. Zu der Geschichte um den kranken Prinzen, den Zauberern und dem Computerspiel gesellt sich noch eine vierte Ebene. Bereits zu Beginn lässt Prokofjew eine Schar von Anhängern verschiedener Theatergenres auftreten. Es entbrennt Streit zwischen ihnen. Die Tragiker wünschen sich Tragödien, die Komischen Komödien und die Lyrischen eine Liebesgeschichte. Dann gibt es noch die Sonderlinge, auf deren Initiative die Aufführung des Stücks Die Liebe zu drei Orangen basiert. Ihnen kommt eine zentrale Stellung innerhalb des Stücks zu. Immer wieder greifen sie in die muntere Handlung ein und sind schließlich auch für den guten Ausgang verantwortlich. Sie werden von Ranisch als russische Aktivisten dargestellt, die das Stück zur Aufführung bringen. Sie befinden sich fast ständig auf der Szene und leiten vom rechten Teil der Bühne aus als Regieteam das Geschehen. Hier werden vom Regisseur gekonnt alte Theaterdispute thematisiert. Der Streit zwischen Gozzi und Goldoni scheint ebenso auf wie die Auseinandersetzung zwischen Meyerhold und Stanislawski. Dem Programmbuch ist zu entnehmen, dass es Gozzi um die Artifizialität bzw. die Natürlichkeit der Commedia dell’ Arte ging, während Goldoni um eine Reformierung des Schauspiels bemüht war und für das Ende der Improvisation und die Abschaffung der Masken plädierte. Stanislawski vertrat eine dem Naturalismus verpflichtete Psychotechnik. Als Abgrenzung dazu entwickelte Meyerhold seine radikal antirealistische Spielweise der Biomechanik. Um die Aufzeigung dieser Streitereien geht es Ranisch. Diese Dispute werden von ihm dann auch auf überzeugende Art und Weise miteinander in Einklang gebracht. Die Kämpfe werden beigelegt. Jede Art des Theaterspielens hat ihre Berechtigung. Das war alles gut durchdacht und perfekt auf die Bühne gebracht. Mit dieser überaus gelungenen Regiearbeit ist Ranisch und seinem Team ein kleines Meisterwerk gelungen, das überaus gut gefiel.
Elmar Gilbertsson (Prinz), Esther Dierkes (Ninetta)
Insgesamt ansprechend waren auch die gesanglichen Leistungen. Einen trefflich fokussierten Tenor und wunderbaren lyrischen Schmelz brachte Elmar Gilbertsson in die Partie des Prinzen ein. Mit recht maskigem Stimmsitz und einer ausgezeichneten darstellerischen Leistung wartete Daniel Kluge als Truffaldino auf. Die wirklich schwangere Esther Dierkes war eine voll und rund singende Ninetta. Über immer noch beachtliche Bariton-Reserven verfügte der Celio von Michael Ebbecke. Äußerlich nicht gerade sympathisch, stimmlich aber recht sonor wirkte Shigeo Ishino s Leander. In der Rolle der Prinzessin Clarice bewährte sich die über üppiges Mezzo-Material verfügende Stine Marie Fischer. Als Fata Morgana gefiel die kräftig intonierende Carole Wilson. In gleichem Maße in jeder Beziehung gefällig gab Fiorella Hincapie die Doppelrolle der Smeraldina und der Nicoletta. Von dem markant singenden Pantalone von Johannes Kammler hätte man gerne mehr gehört. Mit wunderbarem, volltönendem Bassklang stattete Goran Juric den Kreuz-König und den Herold aus. Ein tadelloser Farfarello war Matthew Anchel. Er war zudem als köstliche männliche Köchin zu erleben. Auch an Aytaj Shikhalizade (Linetta) gab es nichts auszusetzen. Christopher Sokolowski (Zeremonienmeister) rundete das Sängerensemble ab. Ein Extralob gebührt dem jungen Ben Knotz in der Rolle des Knaben Serjoscha. Auf gewohnt hohem Niveau präsentierte sich der von Manuel Pujol einstudierte Staatsopernchor Stuttgart.
Daniel Kluge (Truffaldino), Shigeo Ishino (Leander), Goran Juric (Der Kreuz-König), Stine Marie Fischer (Prinzessin Clarice), Elmar Gilbertsson (Prinz), Staatsopernchor Stuttgart
Eine gute Leistung ist Alejo Pérez am Pult und dem gut gelaunten Staatsorchester Stuttgart zu bescheinigen. Der große Farbenreichtum der Partitur wurde vom Dirigenten perfekt herausgearbeitet. Auch auf die Aufzeigung musikgeschichtlicher Zitate legte er großen Wert. Unter seiner versierten Leistung spielten die Musiker zügig, differenziert und abwechslungsreich. Und ausdrucksmäßig war es ein ungemein intensiver Klangteppich.
Fazit: Ein Bravo für eine rundum gelungene Produktion, die sich hoffentlich lange auf dem Spielplan der Stuttgarter Staatsoper halten wird!
Ludwig Steinbach, 15.12.2018
Die Bilder stammen von Matthias Baus