am 29.06.2018
Wien ist eine Ballettstadt
Die Ballettsaison 2017/18 fand mit der traditionellen Nurejew Gala einen fulminanten Abschluss, der gekrönt wurde mit der Verleihung der Ehrenmitgliedschaft der Wiener Staatsoper an Ballettdirektor Manuel Legris. Selten wird die Ehrenmitgliedschaft an einen Balletttänzer verliehen (Anm.: zuletzt 1988 an Rudolf Nurejew), deswegen war es Staatsoperndirektor Dominique Meyer eine besondere Freude, die Laudatio auf offener Bühne im Anschluss an die Gala für den Menschen zu halten, der Wien zur Ballettstadt gemacht hatte. Meyer erwähnte, dass er zu Beginn seines Amtsantritts gefragt wurde, warum er sich so für das Ballett einsetzt, nachdem Wien ja keine Ballettstadt sei.
Die Aussage „Heute ist Wien eine Ballettstadt“ wurde mit tosendem Applaus begrüsst. Auch die Statistik spricht für sich, die Auslastung beim Ballett liegt mittlerweile wie bei der Oper bei 98%, dank des ansprechenden Programms und der hohen Qualität der Company. Meyer lobte auch den Einsatz von Legris für die neue Tänzergeneration, welcher Simona Noja (ehem. 1. Solotänzerin des Wiener Staatsopernballetts) als Leiterin der Ballettakademie engagierte, und durch deren effiziente Arbeit einige Nachwuchskünstler direkt von der Akademie ins Corps de Ballet des Staatsballetts übernommen werden konnten. (Anm: Solotänzerin Natascha Mair und Solotänzer Jakob Feyferlik, sowie 1. Solotänzer Davide Dato, dessen Comeback nach 1-jähriger Verletzungspause von Meyer freudig extra erwähnt wurde) Ein weiterer Verdienst von Legris war auch das Wiedereinführen des Titels 1. Solotänzer, was zur Folge hatte, dass die Tänzer der Company bessere Karrierechancen erhielten, als wenn die Hauptrollen hauptsächlich von Gastsolisten getanzt werden – die in diesem Modul aber nicht gänzlich abgeschafft wurden.
Nun aber zur gut 4-stündigen Gala, die wie im Flug verging: Eröffnet wurde der Abend mit George Balanchines „Valse fantaisie“, ein Werk, mit welchem Natascha Mair und Jakob Feyferlik bereits vor 3 Jahren im Rahmen der „Talente des Wiener Staatsballetts“ an der Wiener Volksoper einen grossen Erfolg feierten. Und wie souverän die hochkarätigen Solisten den elegant-diffizilen Stil von Balanchine beherrschen und mit welcher Freude sie tanzen! Lieblich schweben auch Elena Bottaro, Adele Fiocchi, Sveva Gargiulo und Madison Young über die Bühne.
Erfreulich ist, dass bei dieser Gala gleich zwei Tänzer auch als Choreographen präsentiert werden, das folgende Stück „opus 25“ von Solotänzer Eno Peci ist ein geschmeidig-emotionaler Pas de deux, Peci tanzt selbst mit 1. Solotänzerin Maria Yakovleva, die durch Facettenreichtum glänzt (am Ende des 1. Teils als klassisch-mädchenhafte Raymonda, hier als charakterstarke, gereifte junge Frau), begleitet werden sie von Ballettkorrepetitor Igor Zapravdin.
Ein brillantes Solo gab es anschliessend aus John Neumeiers „Le Pavillon d’Armide“ von 1. Solotänzer Masayu Kimoto, ein beispielhafter Tänzer mit einer sauberen Technik und Schalk!
Was einen 1. Solotänzer ebenfalls auszeichnet, zeigt Roman Lazik im darauffolgenden Ausschnitt aus Kenneth MacMillans „Concerto“, als hervorragender Partner von Nina Polakova. Dieser Pas de deux wird dank seiner enormen Sicherheit in den diffizilen Hebefiguren zu einem ästhetischen Genuss, dazu die überaus elegante Haltung mit melancholischem Ausdruck von Polakova, grossartig!
Nach der doch etwas schwermütigen Musik von Schostakowitsch geht es danach umso spritziger weiter mit dem „Satanella“ Pas de deux von Marius Petipa. Kiyoka Hashimoto zeigt sich mit Charme und einer derart souveränen Technik von ihrer besten Seite, kongenial dazu Mihail Sosnovschi, der mit seinen perfekt ausgeführten Sprüngen immer noch jugendliche Energie versprüht (er ist seit 17 Jahren im Staatsballett).
Anschliessend ging es dramatisch weiter, mit einem akrobatischen Pas de deux aus Boris Eifmans „Giselle Rouge“, die Rolle, welche vor 3 Jahren Ketevan Papava den Titel 1. Solotänzerin verschaffte; sowohl sie als auch Eno Peci überzeugen mit packenden Emotionen, gepaart mit atemberaubenden Hebefiguren.
Ein charmanter Pas de deux aus Jean-Christophe Maillots „The Taming of the Shrew“ erfreute das Publikum darauf, erfrischend getanzt von den Gastsolisten Olga Smirnova und Semyon Chudin, bevor Teil 1 mit Ausschnitten aus Nurejews „Raymonda“ zu Ende ging. Hier konnte man sich vor allem von der Vielseitigkeit von Maria Yakovleva überzeugen, die nicht nur in Charakterstücken (siehe Beginn), sondern auch im „ganz Klassischen“ seit ihrem Engagement an die Wiener Staatsoper sich stetig weiterentwickelt hat und für die grossen klassischen Ballerinenpartien eine Luxusbesetzung ist. Das Corps de Ballet bewies hierbei, dass es auch das wohl schwierigste klassische Werk mehr als im Griff hat und glänzte durch Harmonie und Präzision. Beglückt ging man in die Pause.
Für Teil 2, Frederick Ashtons „Marguerite and Armand“, konnten die Gastsolisten Marianela Nunez und Vadim Muntagirov vom Royal Ballet gewonnen werden, sichtlich erfahren mit der für Dame Margot Fonteyn und Rudolf Nurejew konzipierten Choreographie, ein purer Genuss, wie makellos und emotional die beiden das Publikum mitrissen! Legris erwähnte in seiner Dankesrede am Ende der Vorstellung, dass es ihm ein Anliegen war, dieses Werk noch vor der Gala ins Repertoire des Wiener Staatsballett aufzunehmen. Das virtuose Klaviersolo spielte Shino Takizawa.
Der 3. Teil wurde mit einem Ausschnitt aus Andras Lukacs‘ „Movements to Stravinsky“ eröffnet, mehrere seiner Choreographien wurden bereits an der Wiener Staatsoper getanzt. Man möge sich noch an seine erste Choreographie vor etwa 10 Jahren erinnern, wo man auf Alice Firenze (damals noch im Corps de Ballet) aufmerksam wurde. Diesmal ist sie die Haupttänzerin, und brilliert gemeinsam mit Ioanna Avraam, Sveva Gargiulo, Fiona McGee, Masayu Kimoto, James Stephens, Richard Szabo, Arne Vandervelde und Géraud Wielick durch Geschmeidigkeit.Einen romantischen Pas de deux aus dem ersten abendfüllenden Ballett von Manuel Legris, „Le Corsaire“, gaben anschliessend Liudmila Konovalova (mit atemberaubender Technik) und Robert Gabdullin zum Besten, und auch aus dem Orchestergraben wurde man mit einem süsslichen Violinsolo verwöhnt.
Die folgende Nummer, der Pas de deux aus Edward Clugs „Peer Gynt“, wurde mit besonderer Freude aufgenommen, da Publikumsliebling Davide Dato nach einer 1-jährigen Verletzungspause endlich wieder zu erleben war, gemeinsam mit der überaus sympathischen, lieblichen Nina Polakova.
Grossen Applaus gab es auch für die Gastsolisten Alexandre Riabko und Ivan Urban vom Hamburg Ballett, welche in John Neumeiers „Opus 100 – for Maurice“ einen kraftvollen Pas de deux mit sinnlichen Anspielungen zum Besten gaben.
Ein zweites Mal traten dann die Gastsolisten Olga Smirnova und Semyon Chudin mit einem Pas de deux aus George Balanchines „Diamonds“ auf – technisch makellos, wenn auch mitunter etwas kühl im Ausdruck mag der Kontrast nach Simon & Garfunkel’s „Old Friends“ etwas stark gewirkt haben.
Mit grosser Spannung erwartete man dann den Pas de deux aus Roland Petits „Le Rendez-vous“, getanzt von Ballettdirektor Manuel Legris und Gastsolistin Isabelle Guérin. Das Publikum begrüsst Legris mit einem lang anhaltenden Auftrittsapplaus (mehrere Bravorufe). Man hat ihn wohl letztes Jahr bei der Gala als Tänzer vermisst, damals vielleicht auch befürchtet, dass er nicht mehr auftritt, aber wie schon Dominique Meyer bei der Laudatio erzählte, wenn er Legris im Haus suchte, dann fand er ihn so gut wie immer im Ballettsaal bei der Arbeit, selten im Büro. Legris ist nicht nur ein hervorragender Tänzer (Meyer lobte ihn u.a. als „Meister der petite batterie“), sondern auch eine starke Persönlichkeit auf der Bühne und tanzt leidenschaftlich mit der genial zwischen sexy und eiskalt pendelnden Isabelle Guérin, eine ebenso charakterstarke Tänzerin, die ihm zum Schluss triumphierend die Kehle aufschneidet.
Zum Schluss der Gala gab es noch ein choreographisches Arrangement aus Nurejews „Raymonda“ und „Schwanensee“, mit der besonders stilvollen Olga Esina (die Variation gelingt ihr traumhaft gut!), der brillanten Natascha Mair, dem prinzenhaften Jakob Feyferlik, dem kraftvollen Mihail Sosnovschi, und bei den „Schwanensee“- Ausschnitten begeisterten der unermüdliche Masayu Kimoto (es war definitiv die richtige Entscheidung, ihn vor 1 Jahr zum 1. Solotänzer zu befördern!), die hervorragende Liudmila Konovalova, sowie auch (diesmal im Charaktertanz) die präzise Nikisha Fogo.
Tosender Applaus für alle Beteiligten, insbesondere auch für den stilsicheren Dirigenten Kevin Rhodes und das Orchester der Wiener Staatsoper.
Im Anschluss an die Vorstellung wurden Dumitru Taran und Richard Szabo zu Solotänzern befördert, neue Halbsolisten sind Fiona McGee, Rikako Shibamoto, Madison Young und Scott McKenzie. Man darf sich auf eine vielversprechende neue Saison freuen!
Katharina Gebauer 2.7.2018
Bilder (c) Staatsballett / Staatsoper