23.11.2018 (Pr 15.11.)
Eine rasende Medea beherrscht das Geschehen
Nach seinem „Rinaldo“ und „Il pastor fido“ ist „Teseo“ (HWV 9) die dritte Oper von Georg Friedrich Händel auf ein Libretto des italienischen Dichters, Cellisten, Komponisten und Theatermanagers Nicola Francesco Haym (1678-1729), welcher seinerseits wiederum die französische Vorlage von Jean-Baptiste Lullys „Thesée“ von Philippe Quinault (1635-88) aus dem Jahre 1675 verwendete. Dieser adaptierte die Strukturen der französischen Tragédie lyrique in ein italienisches Dramma tragico auf Kosten der Chornummern. Es sollte auch Händels einzige fünfaktige Oper bleiben, die schließlich am 10. Januar 1713 im Queen’s Theatre in London uraufgeführt wurde. Für 200 Jahre war dann der „Teseo“ von den Spielplänen der Opernhäuser verschwunden und erlebte erst bei den Göttinger Händel-Festspielen des Jahres 1947 seine Wiedergeburt.
René Jacobs, der musikalische Leiter dieser Produktion, hat für das Theater an der Wien eine Neubearbeitung des „Teseo“ erstellt. Obwohl Medea die eigentliche Hauptfigur dieser Oper ist, dreht sich der Konflikt um Teseo, das Objekt der Begierde der Prinzessin Agilea und der Zauberin Medea, die aus Eifersucht sowohl Glauke und Kreon als auch die beiden Kinder von Jason, Mermeros und Pheres, tötete. Als weitere Konfliktebenen dienen die Beziehung von Teseo zu seinem noch unbekannten Vater Egeo, König von Athen. Egeo liebt Agilea, ist aber Medea versprochen, die wiederum Teseo begehrt, der von Agilea geliebt wird. Agilea wird also sowohl von Teseo als auch von seinem Vater Egeo begehrt, während Medea zweifach zurückgewiesen wird, nämlich von dem ihr versprochenen Egeo und von dessen Sohn Teseo. Der an Raserei nicht zu übertreffende Wahnsinn von Medea ist also vorprogrammiert und vollkommen nachvollziehbar, wird sie doch von allen verraten und zieht bei diesen faits accomplis naturgemäß den Kürzeren. René Jacobs am Pult der auf Originalinstrumenten spielenden Akademie für Alte Musik Berlin sorgte trotz einiger Längen im ersten Akt für einen überwältigenden Opernabend. Anders als bei der Premiere gab es an diesem Abend auch zahlreichen Szenenapplaus für alle Mitwirkenden nach ihren Arien oder Duetten. Man muss aber bedenken, dass das damalige betuchte Publikum regelmäßig Opernaufführungen meist erst nach dem ersten Akt, der ja schließlich nur der Einleitung diente, beiwohnte.
Bei dem Regieduo Moshe Leiser und Patrice Caurier entrollt sich die verquere Handlung in etwa der Mitte des 20. Jhd. in imperialen Josephinischen Gemächern von Christian Fenouillat. Die Kostüme von Agostino Cavalca sind aus der heutigen Zeit. Zunächst dient dieser Palast noch als Lazarett, denn im ersten Akt ist noch Krieg. Mit einem Hang zu Ironie hat das Regieteam auch Medeas Zauber inszeniert. Da bewegen sich Kulissen wie von Geisterhand gezogen, Diener erscheinen als Werwölfe, zwei überdimensionale Hände werden vom Bühnenrand links und rechts bedrohlich in die Szene geschoben und schließlich entzündet Medea auf der bereits gedeckten Herrschaftstafel besonders effektvoll eine Handgranate. Aber die Dea ex machina in Gestalt von Minerva ist für das Happy End noch rechtzeitig zur Stelle…
Gaëlle Arquez, die am Theater an der Wien bereits 2013 als Idamante in Mozarts „Idomeneo“ und an der Wiener Staatsoper als „Armide“ reüssierte, war der Motor des ganzen Abends, der leider erst ab dem Zweiten Akt in Erscheinung treten durfte. Ihr voluminöser Mezzosopran war völlig im Einklang mit der betrogenen und enttäuschten Figur der Medea. Gesanglich und darstellerisch war diesem „monstre sacré“ an diesem Abend wahrlich niemand gewachsen. Die norwegische Sopranistin Mari Eriksmoen musste als stiefmütterlich gekleidete Prinzessin Agilea den ersten Akt mit eher langweiliger Musik tragen. Die in Taschkent geborene usbekische Mezzosopranistin Lena Belkina gab einen quirligen Buben Teseo, mit einer hellen und gut geführten Stimme, der besonders in den Duetten aufhorchen ließ. Der französische Countertenor Christophe Dumaux markierte einen eher schwächlichen König, der aber seine wenigen Arien mit Aplomb darstellen wusste.
Der in Bayern geborene Benno Schachtner, der zweite Countertenor des Abends, in der Rolle des Arcane, liebt Clizia, gesungen von der US-amerikanischen Sopranistin Robin Johannsen. Sie müssen sich mit ihren ungeliebten Nebenrollen ohne musikalische Höhepunkte zufrieden geben. Die Rolle von Medeas Vertrauter Fedra, interpretiert von der kanadischen Sopranistin Soula Parassidis ist derart winzig, dass man leicht nachvollziehen kann, dass sie von Impresario Owen Swiny (1676-1754), der mit den Eintrittspreisen der ersten beiden Abende in London durchgebrannt war, gestrichen wurde. Der 16 köpfige Arnold Schoenberg Chor unter seinem verdienten Leiter Erwin Ortner agierte besonders spielfreudig und sang auf gewohnt hohem Niveau. Das Publikum schenkte allen Mitwirkenden dieser vorletzten Vorstellung überwältigenden Applaus, der besonders stark für Medea ausfiel, die auch mit Brava-Rufen ausgezeichnet wurde.
Harald Lacina, 24.11.2018
Fotocredits: Herwig Prammer