Stephaniensaal Graz am 19. 12. 2019
Opernstar als Liedgestalter
René Pape und Camillo Radicke waren im April vorigen Jahres zu Gast im Grazer Lied-Zyklus und wurden damals vom Publikum begeistert aufgenommen. Es ist also gut verständlich, dass der Grazer Musikverein die Chance nutzte und das Lied-Duo einlud, unmittelbar nach seinem Liederabend an der Wiener Staatsoper erneut in Graz zu gastieren. Das Programm in Graz war ident wie drei Tage davor in Wien:
WOLFGANG AMADEUS MOZART: “Die ihr des unermesslichen Weltalls Schöpfer ehrt”
HUGO WOLF: Drei Lieder nach Gedichten von Michelangelo
FRANZ SCHUBERT: Der Einsame, An den Mond, Lachen und Weinen, Heidenröslein, Wonne der Wehmut, Der Musensohn, An die Musik, Lied eines Schiffers an die Dioskuren, Prometheus
— Pause —
ROGER QUILTER (1877 – 1953): Drei Lieder nach Gedichten von William Shakespeare, op. 6
JEAN SIBELIUS (1865 – 1957): An den Abend, Im Feld ein Mädchen singt, Schwarze Rosen, Der Span auf den Wellen, Mädchen kam vom Stelldichein, Der erste Kuß op. 37/1, Be still, my soul
Die Eindrücke des ersten Abends im Jahr 2018 haben sich für mich bestätigt, ja verstärkt. René Pape, unbestrittener Weltstar auf der Opernbühne, singt nur wenige Liederabende und hat dabei ein fixes, nicht allzu großes Liedrepertoire, aus dem er das jeweilige Abendprogramm zusammenstellt. Das in Graz vorgetragene Programm sang er nicht nur wenige Tage davor mit großem Erfolg an der Wiener Staatsoper (siehe dazu diese Kritik), sondern es setzt sich aus im Internet nachzuhörenden Programmbausteinen zusammen, die 2012 in Barcelona und 2017 bei der Schubertiade erklangen. Die Quilter-Lieder hatte überdies René Pape bereits im Vorjahr in Graz auf dem Programm.
René Pape war hörbar um eine liedgerechte Stimmführung seines mächtigen Prachtorgans bemüht, aber speziell im ersten Teil bei Mozart, Wolf und Schubert fiel vor allem in der Höhe immer wieder ein opernhaftes Forte deutlich aus dem Rahmen der Liedlinie. Dazu kam, dass sehr breite, ja statische Tempi gewählt wurden, und man hatte ein wenig den Eindruck, dass sich René Pape im ersten Teil des Abends nicht wohl fühlte, ja mit sich selbst nicht ganz zufrieden war. Dazu trug meiner Meinung nach die wenig flexible Begleitung des routinierten Pianisten Camillo Radicke bei, mit dem René Pape seit Jahren zusammenarbeitet. Bei Mozart klang das Klavier pathetisch und ohne plastische Frische. Bei Hugo Wolf fehlten mir die spätromantischen Rubati, die dafür bei Franz Schubert etwa in den Nachspielen erklangen, wo doch schon der große Liedbegleiter Gerald Moore geschrieben hatte, dass die Nachspiele a tempo zu spielen seien. Auch im biedermeierlich-skurrilen Einsamen war für mich die Klavierbegleitung mit ihrem stereotypen Achtel-Staccato farblos und eher die Gesangslinie bremsend.
Nach der Pause erlebte man einen wesentlich entspannteren Sänger – er hatte den Frackkragen geöffnet und einleitend bemerkt, noch nie habe er in Österreich im Winter so transpiriert…..
Man freute sich, die Shakespeare-Sonette von Roger Quilter in der Interpretation von René Pape neuerlich zu hören. Das war nach dem recht steif gelungenen ersten Konzertteil eine willkommene Auffrischung – übrigens sei allen Interessierten die ungeheuer lebensvolle Quilter-Wiedergabe auf der CD von Bryn Terfel und Malcolm Martineau empfohlen. Interessant war dann die Begegnung mit den selten aufgeführten Liedern von Jean Sibelius – ich habe sie in der Interpretation von Kim Borg und Erik Werba in Erinnerung. Deren Aufnahme ist immer noch maßstabsetzend. René Pape sang die Lieder in deutscher Übersetzung und mit vorbildlicher Textartikulation, die ihn übrigens den ganzen Abend bei allen Liedern auszeichnete.
Während des Abends gab es zwischen den Liedgruppen erstaunlich sparsamen Beifall – am Ende allerdings wurde das Liedduo mit großem Beifall und Bravo-Rufen bedankt. Dann gab es die bei René Pape üblichen beiden Zugaben und ich kann nur das wiederholen, was ich bereits im Vorjahr geschrieben hatte:
Zwei klug gewählte Zugaben gewährten die Künstler – zuerst mit breiter Opernstimme die Zueignung von Richard Strauss und dann die Miniatur von Robert Schumann Wenn fromme Kindlein schlafen gehen. Bei diesem Kinderlied registrierte man zwar wieder die stimmlichen Grenzen des großen Opernheroen René Pape im kammermusikalischen Lied, aber es war so charmant vorgetragen, dass sich die Begeisterung des Publikums geradezu noch steigerte.
Und diesmal gab es eine dritte, eine vorweihnachtliche Zugabe: drei Strophen aus dem auf Deutsch und auf Latein mit posaunengleicher Stimmpracht vorgetragenen Weihnachtslied „Nun freut euch, ihr Christen – Adeste fideles“.
Man hatte an diesem Abend das ernsthafte Bemühen eines Opernweltstars um das Lied erlebt – das ist zu würdigen und dafür ist zu danken. Ein wenig wurde man an den jüngeren Kollegen Günther Groissböck erinnert, der sich auch um das Lied bemüht – René Pape ist auf diesem Wege schon weiter, aber auch bei ihm erlebt man, wie schwer es ist, sowohl in der Oper als auch in der Liedinterpretation Weltspitze zu sein. Übrigens: der erwähnte Günther Groissböck übernimmt für René Pape die Partie des Baron Ochs bei der Neuinszenierung von DER ROSENKAVALIER, die am 9. Februar 2020 in der Regie von André Heller und unter der musikalischen Leitung von Zubin Mehta in Berlin Premiere feiern wird. Die nächsten Auftritte von René Pape findet man hier – Liederabende sind bisher nicht vorgesehen.
Hermann Becke, 21.12.2019
Nächster Abend im Lied-Zyklus in Graz: 9.2.2020 – dazu die Ankündigung des Musikvereins: „Philippe Jaroussky, der 2017 mit dem Ensemble L’Arpeggiata debütierte und auch bei den Salzburger Festspielen begeisterte, gastiert nun im Liederabendzyklus. Mit seinen Interpretationen von Schubert-Liedern präsentiert der französische Countertenor eine Hommage an das Ehrenmitglied des Musikvereins“ Es wird sehr interessant sein, die Schubert-Interpretationen