Besuchte Vorstellung. 17. Juni 2019 (Premiere am 15. Juni 2019)
Vergnügliches Opernmuseum
In einem ungewöhnlichen Doppelabend hat die Oper Frankfurt zum Saisonabschluß im Bockenheimer Depot einen Ausflug in die jüngere Musikgeschichte unternommen. Sie hat dabei zwei Werke kombiniert, die typisch für ihre Entstehungszeit sind, über welche aber die Zeit hinweggegangen ist. Da ist zunächst die Kurzoper The Medium des italo-amerikanischen Komponisten Gian Carlo Menotti aus dem Jahr 1946. Menotti hielt zeitlebens nichts von den neutönerischen Experimenten seiner komponierenden Zeitgenossen, sondern blieb wie sein Lebensgefährte Samuel Barber der tradierten Tonalität verpflichtet, die er harmonisch anschärfte und bei Bedarf erweiterte. Das traf den konservativen amerikanischen Zeitgeschmack. The Medium wurde sogar unter der Regie des Komponisten selbst bereits zwei Jahre nach der Uraufführung verfilmt (auf Youtube verfügbar: https://www.youtube.com/watch?v=Ni6Ugouya0o). Tatsächlich fühlt man sich immer wieder an Filmmusiken etwa eines Bernhard Herrmann erinnert.
Meredith Arwady (Madame Flora; in der Bildmitte stehend) und Ensemble
Der Plot handelt von einer Scharlatanin, die Leichtgläubigen in Séancen mit allerhand Budenzauber vorgaukelt, mit Verstorbenen in Kontakt zu stehen. Ihre Tochter und ein stummer Waisenjunge gehen ihr dabei zur Hand. Doch der vorgegaukelte Spuk scheint sich selbständig zu machen. Das Medium sieht sich von Geistern verfolgt. Was als Komödie begonnen hat, endet mit einem tragischen Tod.
Kaspar Glarner hat dazu ein Bühnenbild entworfen, welches nach dem Vorbild der Filmkulisse detailverliebt einen plüschig ausgestatteten und deutlich heruntergekommenen Salon zeigt. Die Regie von Hans Walter Richter entfaltet darin ein handwerklich sauber inszeniertes Kammerspiel, das auf die darstellerischen Stärken einer ausgezeichneten Besetzung bauen kann. Meredith Arwady als Madame Flora, das titelgebende Medium, rockt mit einer umwerfenden Präsenz geradezu die Bühne. Sie hat sich die Figur mit Haut und Haare einverleibt. Sie chargiert in der Séance, daß es eine Freude ist und zeichnet den Weg von der aufkeimenden Furcht hin zum tödlichen, panischen Gewaltausbruch mit unablässiger Intensität. Ihren stimmgewaltigen Alt stellt sie in den Dienst der Darstellung, gewinnt ihm unendlich viele Klangfarben ab und scheut dabei auch keine ordinären Töne. Im stimmlichen Kontrast dazu steht die wunderbare Louise Alder, die sich mit der Rolle der Monica, der Tochter des falschen Mediums, aus dem Ensemble der Oper Frankfurt verabschiedet. Sie adelt die allzu gefälligen Rückbezüge des Komponisten auf volksliedhafte Melodien mit ihrem honigsüßen Sopran.
Eine Entdeckung ist die junge Mezzosopranistin Kelsey Lauritano in der kleinen Nebenrolle der Mrs. Nolan. Ihre Stimme zeichnet sich durch einen samtig-warmen Ton aus. Sie wirkt trotz ihrer jugendlichen Frische bereits so ausgereift, daß man nicht vermuten würde, hier einen Neuankömmling im Opernstudio vor sich zu haben. Die Intendanz sieht jedenfalls großes Potential und weiß die junge Sängerin in der kommenden Spielzeit vielfältig einzusetzen. Besonders auf ihren Auftritt als Fuchs im Schlauen Füchslein darf man sich freuen. Barbara Zechmeister und Dietrich Volle als geistergläubiges Ehepaar runden die ausgezeichnete Sängerbesetzung ab. Besonderen Eindruck macht zudem der junge Schauspieler Marek Löcker, welcher der stummen Rolle des Toby große Eindringlichkeit verleiht.
Satyricon: vorne v.l.n.r. Susanne Gritschneder (Fortunata), Peter Marsh (Trimalchio), im Hintergrund Tänzer
Nach der Pause wird Bruno Madernas revueartiges Saryricon gegeben. Der musikalische und szenische Kontrast zum altmodischen Schauerstück zuvor könnte nicht größer sein. Wo Menotti den Fundus der europäischen Musiktradition kulinarisch-konservativ weiterverwendet, wird er bei Maderna schrill zugespitzt, zerfetzt und persifliert. Mitunter wirkt die Komposition aus den frühen 1970er Jahren wie ein heiter-boshaftes Melodienraten. Maderna selbst hatte scherzhaft gesagt, in der Partitur stamme keine Note von ihm selbst.
Von Gluck über Wagner und Verdi bis Puccini wird die halbe europäische Musikgeschichte durch den Fleischwolf gedreht. Da ertönt das Walhall-Motiv aus dem Rheingold, um die neureiche Protzerei des Emporkömmlings Trimalchio zu karikieren, den Peter Marsh mit schneidend hellem Tenor gibt. Eine Travestie von Bizets Carmen-Habanera wird von Susanne Gritschneder als Fortunata als hinreißendes Chanson serviert. Ambur Braid darf sich als Scintilla nicht bloß einmal mehr an halsbrecherischen Koloraturen beweisen, sondern vollbringt das auch noch mitunter kopfüber zu akrobatischen Kunststückchen. Das gesamte Ensemble hat großen Spaß an der bunten Revue, die kurzweilig am Publikum vorüberzieht. Nelly Danker hat dies im abstrakten Bühnenbild von Kaspar Klarner aber allzu harmlos arrangiert. Ein Fließband im Dauerbetrieb, auf dem unablässig die Bestandteile des Büffets für das Gelage des Trimalchio herbeifahren, um dann am Ende des Fließbandes zu Boden zu stürzen, markiert als überdeutliche Metapher die verschwenderische Dekadenz. Wen kümmert’s? Madernas linke Kapitalismuskritik ist eben auch längst zu einem Museumsstück geworden.
Das Orchester in Kammerbesetzung untermalt beide Teile des Abends stilsicher unter der Leitung der beiden jungen Kapellmeister Nikolai Petersen (Medium) und Simone Di Felice (Satyricon) und erweist einmal mehr seine Flexibilität.
Michael Demel, 25. Juni 2019
Bilder: Barbara Aumüller