Bonn: „Cavalleria Rusticana & I Pagliacci“

Premiere Bonn 9.11.2019

Ein meisterlicher, ein perfekter Verismo- Opernabend

Wenn der leidgeprüfter Kritiker durch die NRW-Lande – immerhin die dichteste Theaterlandschaft der Welt – streift, dann ist er mehr als glücklich, wenn er nach einer Tschernobyl-Pique Dame (Essen) und einer Pappkarton-Boheme (Wuppertal) – die Düsseldorfer Boheme spielt sogar im Bunker – endlich wieder schöne, große, wahre Oper erleben darf. Es erfreut mein Herz, daß es noch Regisseure gibt, die das Werk ernst nehmen, fachkundig, partiturgenau und mit Liebe zum Musiktheater inszenieren und auch an die Sänger denken.

Ein solcher Fachmann mit Herz für Oper ist Erfurts Generalintendant Guy Montavon. Ein Meister seines Faches. Immerhin den älteren Bonnern noch aus der del Monaco-Ära (als Oberspielleiter) bekannt. Daß so eine tolle Inszenierung – ich nehme bewusst eine Bewertung schon vorweg ohne zu spoilern 😉 – nicht in Bonn alleine blühen wird, sondern weiter nach Erfurt und Seattle gereicht wird, ist nicht nur vernünftig zeitgemäß, sondern auch ganz großartig im künstlerischen Sinn. Die nicht störenden, zeitgenössischen Kostüme von Bianca Deigner passen ausgezeichnet zur Ästhetik des Gesamtbühnenbildes.

Zwei riesige Totenmasken der Komponisten Leoncavallo und Mascagni bilden das Zentrum des Bühnenbildes von Hank Irwin Kittel in einem riesigen Mausoleum. Im Verlauf der Cavalleria werden sie dann niedergelegt und dienen als unebene Spielfläche, die bestiegen und teilweise erklettert werden muss. Keine einfach Sache für die Darsteller, denen man schon fast artistisches Balancegefühl abverlangt, denn der Boden dreht sich auch noch zusätzlich. Die Beleuchtung von Max Karbe spielt perfekt mit den musikalischen Stimmungen und passt zu den jeweiligen Situationen. Auch hier höchste Lobestöne.

Zu den Pagliacci wandelt sich die Bühne zu einer Art Amphitheater, in dessen Zentrum die kleine Gauklertruppe unter einer jetzt umgedrehten Maske hausiert. Schöne Idee, schönes Symbol für das Innere des Kopfes, für die wirren Gedanken der Liebe, Rache und Eifersucht bzw. Mordlust, die ja diesen Reißer prägen. Wenn sich dann am Ende zum Schlußakkord und zum Ruf "la commedia e finita!" die riesigen Totenmasken aus der Cavalleria langsam wie gigantische Monolithe wieder herabsenken, ist das ein toller Theatercoup und ein beeindruckendes Finale, welches man noch lange in Erinnerung behalten wird.

Die Aufführung liegt in den Händen des begnadeten Dirigent Will Humburg – eine Einschätzung, die nicht nur der Rezensent, sondern auch große Teile des Publikums teilten, was der riesige Jubel schon zu Beginn des zweiten Teils (Pagliacci) bewies. Humburg ist letztlich das I-Tüpfelchen auf der Sahnetorte, oder nennen wir es die Marzipanfigur. Die Musiker des Beethoven Orchesters spielen auf, als säßen die Orchestermeister der legendären Academia di Santa Cecilia vor uns. Feuer, Tragik, Schmelz, herzergreifende Celli und ein im Blech- und Streicherklang beinah überirdisches Klangerlebnis.

Das war Italianita vom Feinsten – man hat, insbesondere bei den Vor- und Zwischenspielen Tränen in den Augen. Jede Note wird zelebriert bis zum ätherischen Verhauchen, auch die Sänger trägt Humburg auf Engelsflügeln. Man hat das Gefühl – besonders wenn man ihn beobachten kann – er lebt, er liebt und er stirbt mit ihnen. Ein Maestro, der alles gibt und der am Ende beim Schlußvorhang den Eindruck eines Marathonläufers nach dem Zieleinlauf erweckt. Bravo, bravissmo! Daß er den Jubel direkt an die Orchestermitglieder weiterleitet, ehrt ihn besonders. Ein ganz, großer hoch musiksensibler Orchesterchef – kurzum: Weiterhin, auch mit 62 Jahren, einer der besten Dirigenten der deutschen Opernszene.

Großer Jubel und berechtigte Anerkennung auch für Chor und Extrachor des Theaters Bonn unter der tadellosen Leitung von Marco Medved, sowie dem Kinder- und Jugendchor des Bonner Theaters, den Ekaterina Klewitz nicht nur zu gesanglicher Perfektion, sondern auch zu einem Klangkörper mit großem schauspielerischen Einsatz motiviert hat. Selten sah ich auf einer Bühne so viel begeisternde Spielfreude, veristisches Engagement und überragenden Einsatz. Die Choristen wurden zu Recht als eine große weitere Säule dieses brillanten Gesamtkunstwerkes gefeiert.

Da es auch auf der sängerischen Seite keinerlei Einschränkungen gab – wann hat man als Kritiker mal nichts zu bemäkeln? – ist hier ein Abend von internationalem Format zu bescheinigen. Heraus zu heben aus den in jeder Beziehung trefflich besetzten Comprimarii, sind allerdings die Santuzza von Dashamilja Kaiser und die Nedda von Anna Princeva.

Während erstere einfach ein gesangliches Monument darstellt, welches alle Facetten der hochschwierigen Partie klaglos meistert und über eine stimmliche Tragfähigkeit verfügt, die jedes größere Haus vor Neid erblassen lässt, ist die Princeva eine perfekte Musiktheater-Darstellerin, von der man sofort in den Bann gezogen wird. Sie präsentiert den Charakter Nedda so hautnah, berührend und herzergreifend lebensecht – das ist Verismo in Perfektion! – daß es den Zuschauer bewegt und man fasziniert, wie bei einem großen Krimi, die Luft anhält. Was für eine Darstellerin ! – und auch der Kunstgesang kommt so ehrlich über die Bühne, daß man sich im echten Leben wähnt und nicht in der Oper.

Zum Schluss eine Lobeshymne über den Haustenor der Bonner Oper, den stets großartig singenden George Oniani (Turridu/Canio). Ich habe Oniani in den letzten zehn Jahren am Haus in vielen Monster-Partien erlebt, in denen er stets mit Bravour und stimmsicher auftrumpfte. Ein Tenor für die härtesten, für die schwierigsten Rollen, der nie enttäuschte.

Er war immer, vor allem bei Verdi und Puccini eine sichere Besetzung. Oniani hat sich stets mit großem Mut und Einsatz in regelrechte Mörderpartien geworfen und nicht nur bei den Premieren seine Arien furios bis zum Da-Capo geschmettert. Ein Künstler, der nie enttäuschte. Er hat sein gutes Niveau über die Jahre gehalten und ist nun auch darstellerisch aufgestiegen. Insbesondere der Canio schien ihm, dank guter Regiearbeit, auf den Leib geschnitten. Kurzum: Ich habe ihn nie besser erlebt.

Fünf Sterne für diesen herausragenden Opernabend. Buchen Sie sich, liebe letzte romantische Opernfreunde, unbedingt in Bonn bitte ein. Sie werden nicht enttäuscht und bekommen den Glauben an das wunderbare Erlebnis einer großen Oper wieder zurück.

Peter Bilsing, 10.11.2019

(c) Thilo Beu

Credits

Santuzza – Dshamilja Kaiser

Turridu – George Oniani

Lucia – Anjara I. Bartz

Alfio – Mark Morouse

Lola – Ava Gesell

Nedda – Anna Princeva

Canio – George Oniani

Tonio – Mark Morouse

Peppe – Kieran Luke Carrel

Silvio – Giorgos Kanaris

Un altro contadino – Jeongmyeong Lee

Meisterjongleur – Maximilian Koch

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