Premiere am 02.11.2019
besuchte Aufführung: 14.11.2019
Leidenschaft im Altersheim
Das Bühnenbild zu den Opern Cavalleria rusticana von Pietro Mascagni und I Pagliacci („Der Bajazzo“) von Ruggero Leoncavallo wirkt auf den ersten Blick irritierend. Ausstatterin Gudula Martin schuf nicht die Postkartenidylle eines sizilianischen Dorfplatzes, stattdessen erblickt man eine Frau im Rollstuhl, die sich in einem Altersheim mit Meeresblick befindet. Es ist Santuzza, die noch immer unter Albträumen leidet, weil sie sich schuldig gemacht hat durch den Verrat des Liebesverhältnisses von Turiddu und Alfios Frau Lola, der letztendlich zum Tod von Turiddu geführt hat. Als sie im Radio wieder die krächzende Serenade Turiddus hört, rastet sie völlig aus und kann kaum von der Krankenschwester und dem Pfleger gebändigt werden. Auch ein alter Mann am Krückstock geistert im Hindergrund durch die Szene, der sich später als der Gaukler Tonio aus dem „Bajazzo“ entpuppt.
Regisseur Martin Schüler hat für seine Inszenierung einen ungewöhnlichen Ansatz gefunden, der die Ereignisse in „Cavalleria rusticana“ als Rückblick Santuzzas und die im „Bajazzo“ als Rückblick Tonios sieht. Denn auch der hat durch seinen Verrat der Liaison von Nedda, die ihn abgewiesen hat, den Tod Neddas und ihres Liebhabers Silvio verschuldet.
Das Konzept geht glänzend auf, zumindest in der „Cavalleria rusticana“. Beim „Bajazzo“ ist es nicht mehr ganz so zwingend, trägt aber dennoch. Schülers Abwendung vom Folkloristischen und hin zur Atmosphäre eines Psychothrillers ermöglicht tiefe Einblicke in Santuzzas und Tonios Selenzustände, auch wenn manche Emotionen etwas plakativ ausgespielt werden, etwa bei Alfios Racheschwur. Die Geister der Vergangenheit, die sich oft wie in Zeitlupe bewegen und in fahl-blaues Licht getaucht sind, erleben beide als eine Art Albtraum. Gesungen wird eigentlich in italienischer Sprache, nur die Passagen, die Schüler in der Gegenwart des Altersheims verortet, erklingen auf Deutsch. Aber das trägt nicht zur Erhellung bei.
Musikalisch wird pure Leidenschaft beschworen. Marc Niemann kostet am Pult des Philharmonischen Orchesters Bremerhaven, besonders in der „Cavalleria“, die knalligen Effekte der Musik voll aus und musiziert mit breitem Pinselstrich. Aber feinsinnige Details gehen ihm trotzdem nicht verloren.
Die Mezzosopranistin Jadwiga Postrozna als Santuzza ist ein Ereignis. Sie lässt ihre große, kraftvolle Stimme vor Leidenschaft beben und beherrscht souverän die Szene. Eine tolle, aufregende Leistung. Tijana Grujic ist da als Nedda filigraner und bezaubert mit einem leichtfüßig genommenen Vogellied. Patrizia Häusermann gibt sich verführerisch und ist in ihrem roten Kleid und mit der roten Rose fast eine Schwester von Carmen. Brigitte Rickmann als Mutter Lucia wirkt wie eine Mahnerin in einer griechischen Tragödie. Marco Antonio Rivera singt den Turiddu und den Canio mit kraftvollem und ausgesprochen schön timbrierten Tenor. Auch Marian Pop verkörpert zwei Figuren, den Alfio und den Tonio. Mit seinem erzenen Bariton gibt er beiden Rollen ein nachhaltiges „Schurkenprofil“.
In weiteren Rollen überzeugen Vikrant Subramanian als smarter Liebhaber Silvio und MacKenzie Gallinger mit einem schönen Ständchen des Harlekin. Ein besonderes Lob gebührt dem von Mario Orlando El Fakih Hernández einstudierten Chor, der etwa den Frühlingschor in „Cavalleria“ einfach prachtvoll singt.
Wolfgang Denker, 15.11.2019
Fotos von Manja Herrmann