Premiere am 25.12.2016
Geschüttelt, nicht gerührt
Zu Weihnachten eine Premiere im Musiktheater – das ist in Bremerhaven eine fast „heilige“ Tradition. Und ein ausverkauftes Haus ist auch immer garantiert. Dabei ist es fast nebensächlich, welches Werk auf dem Programm steht. In diesem Jahr war es eine Operette: „Die Fledermaus“ von Johann Strauß jr. erweist sich mit ihrer genialen Musik und dem erstrangigen Libretto immer wieder als Königin aller Operetten. Die Geschichte von der Rache des Dr. Falke, der von seinem Freund Eisenstein einst in einem Fledermauskostüm auf dem Marktplatz ausgesetzt wurde und der sich nun bei Eisenstein revanchiert, indem er ihn auf einem Ball des Prinzen Orlofsky in allerlei prekäre Situationen stürzt, hat zeitlose Komödienqualitäten.
Diese Einheit von Libretto und Musik ist es auch, die Regisseur Roland Hüve besonders an dem Werk gereizt hat. Hüve hat in Bremerhaven mit „Singin’ in the Rain“, „Crazy for you“ oder dem „Grafen von Luxemburg“ bereits beglückende Inszenierungen vorgelegt. Leider lässt sich seine Sicht der „Fledermaus“ zunächst etwas zäh und bieder an. Die Sänger stehen oft an der Rampe, der Funke will nicht wirklich überspringen. Dass Rosalindes Verehrer Alfred immer wieder aus dem Fenster fällt, trägt nicht wirklich. Das Bühnenbild von Dorit Lievenbrück zeigt ein altmodisches Wohnzimmer und suggeriert sehr raffiniert mit einem Prospekt räumliche Tiefe. Sehr gelungen ist das Bild des 2. Aktes. Türen sind abstrakt angedeutet, hinter denen sich wohl der eigentliche Ballsaal befindet. Aber das bleibt der Phantasie des Zuschauers überlassen. Das erotische Katz- und Maus-Spiel findet quasi im Vorzimmer statt. Gleichwohl – bis zur Pause (nach dem Uhrenduett mitten im 2. Akt) waren die Zutaten zur Champagner-Seligkeit offensichtlich noch nicht richtig zusammengerührt.
In der Pause muss jemand die Champagner-Flaschen kräftig geschüttelt haben, denn plötzlich sprudelte es wie entfesselt. Hüves Personenführung legte an Witz und Originalität kräftig zu. Die große Verbrüderungsszene wird zu einer Art Orgie in Zeitlupe, bei der es jeder mit jedem treibt. Eine durchaus ästhetische Szene. Bei der Ballett-Einlage („Unter Donner und Blitz“) in der Choreographie von Andrea D. Kingston mischen sich Ballett- und Solistenensemble so geschickt und gekonnt, dass man kaum noch zwischen Tänzern und Sängern unterscheiden kann. Das war einfach mitreißend!
Der Schlussakt überrascht mit einem tollen Bühnenbild, bei dem endlos lange Gefängnisgänge vorgetäuscht werden. Und hier bereitet vor allem die Figur des Gefängniswärters Frosch ungetrübtes Vergnügen. Schauspieler John Wesley Zielmann erweist sich da als Glücksfall. Wie er mit vollem körperlichem Einsatz den Betrunkenen mimt, wie er punktgenau die Pointen setzt oder einen skurrilen Kampf mit einer Trittleiter besteht, ist große Klasse.
Sängerisch bewegt sich die Aufführung auf hohem Niveau. Inga-Britt Andersson ist eine ausdrucksvolle Rosalinde, die ihren Csardas ausdrucksvoll und mit sicherer Höhe hinlegt. So temperamentvoll hört man diese Arie selten. Aber Alice Fuder steht ihr gesanglich und darstellerisch in nichts nach. Ihre Adele hat zudem viel Charme und Witz. Als Eisenstein kann Tobias Haaks seinen schön timbrierten Tenor bestens zur Geltung bringen.
Eine schöne Stimme hat auch Daniel Szeili, der als Alfred zwar anfangs kleine Höhenprobleme hat und seine Partie durchgehend kraftvoll singt, der aber die Figur als selbstverliebten Verehrer überzeugend anlegt. Leo Yeun-Ku Chu stattet den Gefängnisdirektor Frank mit satten Tönen aus. Als Figur würde er auch als eine Loriot-Schöpfung durchgehen. Carolin Löffler ist ein sehr markanter Orlofsky. Ihre pompöse, phantasievolle Frisur ist ein kleines Kunstwerk für sich. Vikrant Subramanian ist mit schlankem Bariton ein eleganter Dr. Falke. Thomas Burger schöpft als stotternder Rechtsanwalt Blind die Möglichkeiten der Rolle voll aus.
Marc Niemann am Pult des Philharmonischen Orchesters Bremerhaven hat die „Fledermaus“ zur Chefsache erklärt. Man hört es. Schon bei der schwungvollen Ouvertüre betont er mit sinnvollen Ritardandi die Raffinesse der Musik. Die Champagner-Laune, die die Inszenierung im zweiten Teil nachliefert, ist bei seiner Wiedergabe durchgängig präsent.
Bremerhaven ist immer eine Reise wert; besonders, aber nicht nur, für Opernfreunde. Hier macht Theater noch Spass. Die Operette lebt.
Wolfgang Denker, 26.12.2016
Fotos von Heiko Sandelmann