Meyerbeer
Premiere am 29. Juni 2019
Seit der deutschen Erstaufführung der Oper Die Hugenotten 1837 in Leipzig ist das Erfolgswerk des Giacomo Meyerbeer (geboren als Jakob Meyer Beer in Berlin) am 29. Juni 2019 zum vierten Mal auf die Bühne der Semperoper gebracht worden. Für die Inszenierung war Peter Konwitschny gewonnen worden, nachdem er seit seiner Csardasfürstin vom Silvester 1999 die Elbestadt gemieden hatte. Oder hatte sich das Haus nach dem verlorenen Rechtsstreit derart verschreckt? Dem damaligen Intendanten war sogar vom Gericht Haft angedroht worden, wenn er die Urheberrechte Konwitschnys an der Operetten-Inszenierung nicht achte und Handlungen in einem Schützengraben des Uraufführungsjahres der Komposition 1915 nicht wiederherstellen lasse.
Eigentlich hatte Peter Konwitschny Les Huguenots 2017 der Pariser Opéra Bastille inszenieren sollen, war aber ausgeladen worden. Er konnte sich mit dem Dirigenten Michele Mariotti nicht über Streichungen einigen. Und für seine Kompromissunfähigkeit in Fragen der Werkauffassung ist der von der Zeitung Opernwelt zum "Regisseur des Jahres“ gewählte Regisseur, nun einmal bekannt.
Wesentlich zurückhaltender hatte ich Peter Konwitschny im Jahre 1951 kennen gelernt. Zu den Dienstobliegenheiten meines Vaters als Stadtteil-Verwaltungsleiter von Leipzig-Schleußig gehörte, dem frischen Nationalpreisträger und damaligen Gewandhauskapellmeister Franz Konwitschny zu gratulieren. Aus irgendeinem Grunde begleitete ich meinen Vater und uns wurde dabei auch das im Garten spielende 6-jährige Bürschlein vorgestellt.
Der Fließband-Schreiber Eugène Scribe (1791-1861) fertigte 1832 für Meyerbeer ein Libretto mit einer fiktiven Handlung um das Geschehen des Massacrede la Saint-Bartthélemy, der Bartolomäusnacht vom 23. zum 24. August 1572. Er nutzte dabei die Auseinandersetzungen zwischen den vom spanischen Königshaus unterstützten Katholiken mit den calvinistischen Hugenotten. Katharina von Medici, die Mutter des schwachen Königs, wollte den fragilen Frieden von 1570 stabilisieren und arrangierte am 18. August 1572 eine Hochzeit ihrer katholischen Tochter Marguerite mit dem protestantischen Heinrich von Navarra, dem späteren Henri Quatre. Zu den vier Tage dauernden Hochzeitsfeierlichkeiten waren mit etwa 3000 Hugenotten auch deren sämtliche Führer nach Paris gekommen. Ein allerdings missglücktes Attentat auf deren Repräsentant Admiral de Coligny verunsicherte die Hugenotten und sie forderten Rache. Vermutlich sah die Katharina von Medici ihre Versöhnungsversuche gescheitert und nutzte die Gelegenheit, dass alle Hugenottenführer an einem Ort versammelt waren. In der Nacht zum 24. August ließ sie alle Hugenottenführer umbringen. In dessen Folge begann in den Morgenstunden ein bis Dato nicht vollständig aufgeklärtes pogromartiges Gemetzel an den Hugenotten, derer man habhaft werden konnte.
Giacomo Meyerbeer war mit der Arbeit Scribes nicht zufrieden und zog den Schriftsteller Émile Deschampsin (1791-1871) zur Anpassung des Textes an seine Erfordernisse heran. Auch Verse des Gaetano Rossi (1747-1855) wurden im Libretto verwendet.
Die Librettisten folgten bei der Entwicklung der Handlung den historischen Abläufen, die zur Erkenntnis führen, dass gesellschaftliche Konflikte nur durch gesellschaftliche Entwicklungen und nicht mit individuellen Aktivitäten gelöst werden können. Denn erst nach 26 Jahren harter Verhandlungen vor allen von Heinrich IV. wurde mit dem Edikt von Nantes für 87 Jahre ein relativer Religionsfrieden in Frankreich ermöglicht.
Peter Konwitschny hatte seine Inszenierung in der Zeit belassen und die Geschehnisse um die Bartolomäusnacht recht konsequent, soweit ihm das Libretto Spielraum gab mit brillant inszenierten Massenszenen sichtbar gemacht. Wer mit einigem Wissen über die historischen Ereignisse ins Haus gekommen war, dem wurde begreiflich gemacht, wie sich eine Situation, hier als religiöser Konflikt dargestellt, aufschaukeln kann und zur Katastrophe führen muss.
Gelungen fand ich die Verlegung des ersten Teils im des zweiten Aktes in eine Badestube, in dessen Verlauf der calvinistische Edelmann Raoul de Nangis von der Königin von Navarra in einer Badewanne verführt wurde. Als glänzenden Regieeinfall fanden wir, dass das bei Meyerbeer in der Mitte des Gemetzels im fünften Akt angeordnete fragende Bassklarinetten-Solo erst am Ende des Geschehens erklingt; mit dem Tod verklingt auch die Musik.
Die Bühnenbild Gestaltung von Johannes Leacker half der Regie, indem das gesamte Spiel in einer Halle verortet war. Deren Wand-Täfelung wurde mit hellen Bereichen den Protestanten und mit dunklen Vertäfelungen den Katholiken zugewiesen. Gut organisierte Statisten bauten mit wenigen Räumungen die Szene um. Das war handwerklich gekonnt.
Die Dresdner Malerwerkstatt hatte für die Inszenierung einen wunderbar gelungenen Zwischenvorhang mit einer Kopie da Vincis Abendmahl gefertigt, der zwischen den Akten den Parteien vor Augen führte, was sie eigentlich einen sollte: die gemeinsame Herkunft von der Lehre Jesus.
Die musikalische Wirkung kam vor allem von den hervorragenden Chorszenen und vom Orchester unter der Leitung des Österreichers mit ungarischen Wurzeln Stefan Soltés. Gesungen wurde recht differenziert: Makellos die Marguerite de Valois der russischen Koloratur-Sopranistin Venera Gimadieva. Jenniver Rowley gab der Valentine den vollen Glanz ihrer Stimme eigentlich erst ab dem vierten Bild in der Szene mit dem Raoul von John Osborn. Von seinem Einsatz hatte ich letztlich mehr Glanz erwartet.
Hervorragend war das Kabinett-Stück des Ensemblemitglieds Stepanka Pucalkova in der Rolle des Pagen. Gute Leistungen, oft an den Grenzen ihrer stimmlichen Möglichkeiten sind Tilmann Rönnebeck als Graf de St. Bris, John Relyea als Marcel, Christoph Pohl als Graf de Nevers und Magnus Piontek als Méru. Sabine Brohm durfte sogar direkt in das Auditorium singen.
Die Reaktion des Premierenpublikums blieb differenziert. Die beiden Pausen hatten bereits Lücken in den Sitzreihen verursacht. Ich konnte von meinem Platz um sechs Sitze bis zum MittelplatzPlatz der Reihe sechs rücken. Aber bei den wenigen, offensichtlich unvermeidlichen Buh-Rufen für das Inszenierungs-Kollektiv, gab es herzlichen und begrenzt auch stehenden Beifall. Für mich denke ich, dass bei einem von Wagner, Mahler, Schostakowitsch und Bruckner verwöhntem Publikum die Musik Meyerbeers doch etwas aus der Zeit gefallen ist.
Für mich war auch der gehäufte Szenen-Beifall schlimm, der das musikalische Geschehen zusätzlich zerhackte und wenig Fluss aufkommen ließ.
Thomas Thielemann