Premiere 6. April 2019
Rolando Villazón inszeniert Höllenfahrt eines Transvestiten
Gäbe es eine Repertoire-Gerechtigkeit, so müsste der Jean Philippe Rameau (1683-1764) in den Statistiken ähnlich häufig aufgelistet sein, wie die beiden anderen Komponisten-Giganten die in den 1680er Jahren geborenen: Johann Sebastian Bach (1685-1750) und Georg Friedrich Händel (1685-1759). Dabei hat er neben Motetten, Kantaten, viel Instrumentalmusik und Opern auch als Musiktheoretiker erhebliches geleistet. Mit seiner „Treatise of Harmony“ ist er der Erfinder der Harmonie-Lehre.
Zögerlich werden seine Opern erst im letzten Jahrzehnt wieder in Deutschland in die Spielpläne aufgenommen. Die Semperoper engagierte nun den Rolando Villazón, um die wahrscheinlich gelungenste Komposition Rameaus „Platée- Ballet bouffon in einem Prolog und drei Akten von Adrien-Joseph Le Valois d´Orville“ zu inszenieren. Wegen der „Ballett-Oper“, in der Gesang und Tanz fast gleichberechtigt nebeneinander stehen, brachte Villazón den französischen Choreographen Philippe Giraudeau und zur Komplettierung der Opulenz den Lichtdesigner Davy Cunningham mit nach Dresden.
Der Stoff der Handlung basiert auf einer spätantiken Überlieferung des Pausanias aus der Zeit um 170 n. Chr. und beschreibt einen Spaß, den sich die olympischen Götter mit der liebesverrückten Nymphe Platea gemacht haben sollen. Diese hässliche Kröte hält sich für unwiderstehlich und will sich in eine Liaison mit dem „Allerhöchsten“ einlassen, der aber nicht als Stier oder Schwan sondern als Einhorn bzw. Eule erscheint. Aus dieser Überlieferung entwarf der Maler, Dramatiker und Schauspieler Jaques Bureau (1657-1745) einen Operntext und verkaufte ihn aus Gründen der Geldnot an Rameau. Der ließ den Entwurf vom Amateur-Librettisten Le Valois d´Orville komplettieren. Rameau schuf eine Opernmusik, die von abgrundtiefer Tragik bis zu ausgelassener Albernheit einen Spannungsbogen der Darstellung menschlicher Gemütszustände auslotet. Einsame Solokantilenen, prächtige Ensemble- und Chorszenen sind durch zahlreiche Ballette verbunden. Dabei entlockt er dem barocken Orchester immer neue Klangfarben und Tänze von überwältigender rhythmischer Vielfalt: Um des Jupiters Gattin von ihrer Eifersucht zu kurieren wird ihr vorgegaukelt, dass Jupiter beabsichtige, die im sumpfigen Reich der Frösche beheimatete hässliche Wassernymphe Platée zu heiraten. Nun hält sich aber die Nixe aber für unwiderstehlich, träumt von einer Zukunft als Göttergattin, wird aber letztlich verspottet und gedemütigt.
Für die Hochzeit des Dauphins mit der spanischen Infantin gedacht, fand der Stoff bei einer Aufführung vor einem Teil der Hofgesellschaft nur begrenzte Gegenliebe, schon weil die Prinzessin absolut keine Schönheit war und Imitationen der Stimmen von Kuckuck und Esel kaum für eine Huldigung am Versailler Hof Ludwig XV. geeignet waren. Eine öffentliche Aufführung erfolgte am 9. Februar 1649 an der Pariser Opera.
Rolando Villazóns Inszenierung ist so, wie wir ihn kennen: locker, schräg und ordentlich durchgedreht. Dazu eignete sich der Handlungsbereich in der Welt der Götter und der Nymphen. Die Handlung, von Haus aus verfremdet, bedient so ziemlich jedes Vorurteil und charakterisiert so menschliches Verhalten, ohne erhobenen Zeigefinger. Es gelingt so der Regie, das schwierige Thema des Mobbings locker auf die Bühne zu bringen. Denn letztlich ist „Platée“ eine als Komödie verkleidete Tragödie. Und so vermischt Villazón auch die antagonistischen Götter, Amour als Gott der Liebe mit dem Gott der Satire Momus.
Die Tänze, in der französischen Oper eigentlich Einlagen, sind geschickt, zum Beispiel als Fantasie-Gebilde der Titelrolle, in die Handlung eingebaut, während Platée mit Puppen spielt. Sie bringen das Geschehen voran, so dass ein Fluss von Gesang und Tanz entstanden ist.
Die weibliche Titelrolle hatte der Komponist einem hohen Tenor zugeschrieben. Das entsprach durchaus der üblichen Opernpraxis der Zeit. Villazón zeichnet konsequenterweise Platée von vornherein ohne Wenn und Aber als Transvestiten. Er zeigt seine Verwandlung vom Mann zu einer selbstbewussten Frau, die eben nur im Körper eines Mannes versteckt ist. Ihre Fähigkeit zur Fantasie ermöglicht das zu akzeptieren, was aber ihre Mitwelt nicht so anzunehmen bereit ist. Die Regie überlässt dem Zuschauer die Entscheidung, ist Platée verrückt weil sie Frau im Körper eines Mannes ist? Oder ist die Gesellschaft verrückt, weil sie damit ein Problem hat?
Die Lockerheit und das Komische der Inszenierung verleitet zum Lachen über Platée, aber es ist ein grausames Lachen.
Die Bühne, hervorragend zweckmäßig von Harald Thor entworfen, ist ständig voller Menschen: Zwischen den Sängern, den Ballett-Tänzern und den Hauptfiguren kann sich der Zuschauer kaum langweilen. Dazu passten die wunderbar schrägen Kostüme von Susanne Hubrich
Die musikalische Leitung war dem Spezialisten für die französische Barockmusik Paul Agnew übertragen worden, der selbst mehrfach als Platée auf der Bühne gestanden hat.
Den Musikern der Staatskapelle gelingt, obwohl die Barockmusik nicht zur Kernkompetenz des Orchesters gehört, eine Wiedergabe auf höchstem Niveau. Das Orchester hat Rameau im Jahre 1769 zum letzten Mal gespielt. Aber den Profis werden dem tänzerischen Ungestüm der Musik und dem barocken Klangbild in jedem Moment gerecht.
Die weibliche Titelrolle hatte der bereits als Platée erfahrene Philippe Talbot übernommen. Seine Stimme war nicht ausgesprochen farbenreich, aber seine schauspielerischen Leistungen ließen seinen begrenzten Gesang vergessen.
Neben ihm mit gesunder Kompaktheit und unverstellter Direktheit als König der Götter Jupiter der Bass-Bariton Andreas Wolf. Dazu seine Gattin Juno lyrisch mit leuchtendem Sopran Ute Selbig.
Die Muse der Komödie Thalie und die Magd der Platée bot die rumänische Sopranistin Iulia Maria Dan mit wunderschöner samtiger Stimme ungewöhnlich durchsetzungsfähig.
Im Prolog agierte als Erfinder der Komödie Thespis und im Spiel als Bote-Gott Mercure mit skurriler Liebenswürdigkeit, umwerfendem Charme, sängerisch und schauspielerisch glanzvoll der englische Counter-Tenor Mark Milhofer. Einen fast magisch-hemmungslosen Auftritt als Gott der Satire Momus schafft mit dem Wenigen, was er zu singen hat, der Ensemble-Bassbariton Sebastian Wartig.
Mit immens spielerischem Einsatz und einem fast protzenden prächtigen Bariton verkörperte Giorgio Caoduro den König der Berge Cithéron und im Vorspiel einen Satyr, neben ihm mit gesunder Kompaktheit und unverstellter Direktheit der König der Götter Jupiter, der Bass-Bariton Andreas Wolf.
Einen zauberhaften Amor konnten wir von der Sopranistin des Jungen Ensembles Tania Lorenzo erleben.
Die erfahrene Interpretin des Barockrepertoires Inga Kalla beherrschte als die lebenslustige La Folie mit überwältigender Stimme und lasziver Darstellung die Bühne.
Zudem war der allgegenwärtige Staatsopernchor, absolut fantastisch von Cornelius Volke geleitet, egal ob als ein Chor von Fröschen oder kontrapunktisch, immer beeindruckend.
In der Pause sah man einige ratlose Gesichter und es blieben im zweiten und dritten Akt einige Plätze frei. Aber am Schluss gab es einhelligen Jubel für das Regieteam, die Sänger-Darsteller und Tänzer. Wir haben auch keine Missfallenskundgebungen gehört.
Thomas Thielemann 7.3.2019
Bilder (c) Ludwig Olah