Premiere am 2. Februar 2019
Mechanik des Wahns
Regisseur Roland Schwab – Bekenntnis: Ich will keine Umdeutung der Personen – inszeniert eine alptraumhafte Welt, die sich auf vielen Ebenen so deutbar im Kopf des Heerführers Otello abspielt. Hinter einer grandios eingesetzten Technik von riesigen Jalousien, erblicken wir bis zum Ende immer wieder seine Alter egos – die vielen kleinen Teufel im Gehirn, die ihn scheinbar malträtieren und in den Wahnsinn treiben.
Das ist von der Statisterie des Aalto-Theaters – man möchte in der Kritik eigentlich jeden einzelnen hoch loben – famos präsentiert. Zur Sichtbarmachung der Mechanik des Wahns setzt Schwab gekonnt die Zauberkasten-Mechanik des Essener Aalto-Theaters ein. Der für die Bühne zuständige Piero Vinciguerra zieht alle Register der Bühnenillusionen von Feuer, Rauch, Nebel über Rampenbewegungen bis hin zum ersten gigantischen Eisernen Vorhang, der ja, wenn er vor dem Orchestergraben hochfährt, mit über 40 Metern Breite schon mächtig beeindruckt. Auch der zweite am Bühnenportal schließt dramaturgisch passend die drei anderen Akte ab. So sollte es sein, denn so geben es Libretto und Musik vor.
Nach vielen Elends-Inszenierungen in Essen gerade in dieser Saison – aktuell Platz eins unserer Opernfreund-Negativpreise der Schnuppenbewertungen! – gibt es nun endlich wieder große Oper. Endlich wieder ein ausgebildeter Musiktheater-Regisseur und kein Seiteneinsteiger oder Regie-Debütant, besser wäre das Wort Regie-Dilettant. So macht großes Theater auch in Essen wieder Spaß. Möge es so bleiben.
Das Credo Schwabs – Ich gehe als Regisseur immer von der Musik aus – ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Es zeigt sich im hervorragend gemachten Interview des lohnenden Programmheftes, dass das kein leeres Gerede ist. Schwab weiß, wovon er spricht, kennt die Musik und kann Noten lesen. Seine Gedanken sind so naheliegend wie nachvollziehbar. Er möchte den Besuchern weder obskures Gedankengut aufschwatzen oder sie pädagogisch belehren – siehe den Essener Flüchtlings-Troubadour – noch politisch indoktrinieren. Jago, die eigentliche Hauptfigur des Stücks, ist ein mephistophelischer, dabei immer höflich-schmeichlerisch wirkender Brandbeschleuniger – die Regie spricht von einem Wahnbeschleuniger.
Otello ist der dümmliche Haudrauf, wie wir ihn von Wagners Siegfried kennen – er denkt in den einfachen Dimensionen eines Kriegers, der aufs Töten spezialisiert, dressiert und dafür ausgebildet wurde. Da kennt man nur Freund und Feind und ist, zumindest zuhause, auf sein biederes Saubermann-Image bedacht. Ein Mädchen, oder Weibchen – wie es Papageno in Mozarts Zauberflöte besingt – sollte es sein, keine Lulu von Alban Berg oder eine verdische Traviata gar.
Gaston Rivero lotet das in der Hauptrolle nicht nur gesanglich perfekt und kraftvoll aus, sondern auch optisch mit bodygebuildetem, nacktem, stellenweise blutverschmiertem Oberkörper. Ein übler Charakter – wir Niederrheiner würden sagen ne fiese Möpp – der auch mal kurz seine Desdemona vergewaltigt, wenn er allzu sehr in Rage gerät. Ein durch Krieg und Elend zermürbter manipulierbarer Psychopath. Nicht nur spätestens beim grandios breitwandig inszenierten Apokalypse-Now-Szenario des zweiten Aktes denkt man an Vietnam. Man denkt an die heute nachwirkenden Kriegstraumata der Vietnam-Heimkehrer oder Afghanistan-Deformierten. Soldaten sind halt doch Mörder – letztlich und nicht selten auch nach dem Krieg in der eigenen Familie. Da geriert sich diese Verdi-Oper plötzlich beängstigend aktuell und hautnah, irgendwie erschreckend …
Am Ende schnappen alle ausgelegten Fallen zwangsweise zu, so dass Desdemona kein Entrinnen bleibt. Tolle Bilder eines Psycho-Krimis, der allein mit Licht und Nebel – ein Bravissimo für Lichtdesigner Manfred Kirst – die Zuschauer schaudern lässt. Die Jalousien werden zu Todesfallen, zu verschlossenen, geradezu klaustrophobisch wirkenden Türen, Sperren und Fenstern. Spannender, gruseliger geht es kaum noch. Besser kann man Verdis Oper Otello, immer noch höchst werktreu, kaum inszenieren. Bravi a tutti!
Die Kostüme von Gabriele Rupprecht heben in einem Szenario von Kampfuniformen bei den Massen die zwei weiblichen Charaktere besonders heraus. Emilias Kostüm ist brave Couture einer reifen Chefbuchhalterin, und Desdemonas mehr als umwerfend geschneidertes Brautkleid ist ein Hingucker besonderer Art, den die nicht nur bezaubernd singende Gabrielle Mouhlen hinreißend ausfüllt. Überhaupt symbolisiert diese Desdemona eine andere Welt; jemand, der in diesem schmutzigen Kriegsambiente, in dem auch die Frauen unter Waffen stehen, eine skurrile Außenseiterrolle spielt. Zumindest optisch kommt sie der bereits angesprochenen Lulu oder Kameliendame näher, als wir die klassische Desdemona aus tradierten Otello-Produktionen kennen. Der Regisseur sieht sie als eine Projektionsfigur in einer Parallelwelt Otellos. Das wirkt in der szenischen Umsetzung überzeugend.
Und was gesanglich auf die Bretter – die immer noch die Opern-Welt bedeuten – gestemmt wird, ist von durchgängig hohem Niveau. Angefangen mit den sängerfreundlichen, aber stets umsichtigen und in den Extremen auch fortissimo ausgespielten Orchestergewalten, die der hochtalentierte Matteo Beltrami mit den Essener Philharmonikern bravourös unter Kontrolle hat. Auch der mal wieder glänzend disponierte Chor und Extrachor des Aalto-Theaters zeigt bestechende Qualität. Chorleiter Jens Bingert hat große und gute Arbeit geleistet. Ein Chor-Ensemble, auf das man zu Recht stolz sein kann.
Nikoloz Lagvilava bekam als Jago den meisten Final-Applaus – sein stimmliches Format für diese Hauptpartie ist über jeden Zweifel erhaben, und auch darstellerisch versteht er es, den hinterhältigen Schurken und Intriganten überzeugend abzuliefern. Dass die Comprimari – gibt es die bei Verdi überhaupt? – Carlos Cardose als Cassio, Dmitry Ivanchey in der Rolle des Rodrigo, Tijl Faveyts, der den Lodovico gibt, Baurzhan Anderzhanov als Montano, Bettina Ranch in der Rolle der Emilia und Herold Martin Ludvik ebenso überzeugten, rundet das Bild einer in allen Punkten gelungenen, endlich mal wieder sehenswerten, wunderbaren Opernproduktion ab.
Fazit: Sehr empfehlenswert – 5 Sterne!
Peter Bilsing 3.2.2018
Dank an (c) Thilo Beu für die aussagekräftigen Bilder