Bayreuth: Der Sänger sitzt

Fritz Kothner

So waren sie zugleich das Wichtigste und seltsam unwichtig, je nachdem, ob man sein Augenmerk nun aufs Optische (die Flächen) oder das Akustische (die zunächst ruhig dasitzenden Sänger und ihre gestischen Beiträge) konzentrierte. Wie gesagt: ab dem 2. Akt war zumindest mein Fokus oft eher bei ihnen als bei der Bildkunst. Lag es an Klaus Florian Vogt, dass dem so war? Zweifellos interessierte man sich im Anfang des Dramas zunächst für das natürlich spektakuläre Andere des rückwärtigen Bild-Aufbaus. Dass Vogt ein Sänger ist, dessen Stimme relativ wenig Dramatik gestaltet, aber mit seinem weißen Klang vorbildlich artikuliert und scheinbar mühelos die Höhen zu gestalten weiß: es sind die Pluspunkte seines Singens, die, rollencharakterbedingt, vermutlich allein im Lohengrin zur völligen Erfüllung findet. Lise Davidsen, deren überaus strahlender Sopran wie mit altem dunkelrot-violettem Edelsamt bedeckt ist, was ihrer Stimme, vergleicht man sie mir der einer Kirsten Flagstad, einen unvergleichlich „alten“ und doch unfassbar vitalen Klang verleiht, ist in Bayreuth seit ihrem sensationellen Einstieg als Elisabeth bekannt. Sie gestaltet die Sieglinde zwar pur innerlich, doch gleichzeitig mit einem blendenden Klang, der im dritten Akt mit dreifachem Forte über ein nötiges Maß hinausgeht; weniger wäre an den exponierten Stellen ihrer Szene tatsächlich mehr. Über Irene Theorins Brünnhilde kann nur gesagt werden, dass ihre Stimme, wie Thomas Mann geschrieben hätte, „mit historischem Edelrost“ überzogen ist, während Günther Groissböck in seinem Bayreuther Wotan-Debüt und seiner gleichzeitig vorerst letzten Bayreuther Wotan-Vorstellung entzückt, weil er Schönklang, genaue Artikulation und dramatische Kraft ineins bringt und noch den Schluss – bei aller Kraftanstrengung – gestalten kann: ein wütender, von seiner Tochter begeisterter, herrischer und verzweifelter Wotan, eine Prachtfigur. Bleiben die gute Fricka der Christa Meyer, der Hunding des Dmitry Belosselskiy: ein hervorragender finsterer Bass, wie man ihn auch in Bayreuth nicht alle Jahre hören kann, und das Corps der Walküren, die im Gesamtklang eine außerordentlich schöne, reintönende Mischung produzierten. Getragen wurden sie vom Orchester der Bayreuther Festspiele, das unter Pietari Inkinen eine bewegte, subtile, klanglich schöne und doch nachdrücklich dramatische Walküre aus dem Graben herausspielt. So gehört, darf man sich auf den gesamten Ring freuen, der hoffentlich im nächsten Jahr auf die Bühne kommen wird – ohne Farb-Spiele, aber mit anderen koloristischen Interpretationen.

…bietest mein Bild mir nun du!

Sieglinde

Einmal dreht sie sich doch um. Siegmund singt, der Mond strahlt in das Haus, das vordem dunkel war, den kommenden Frühling der Liebe an: „Siehe, der Lenz lacht in den Saal“, und Sieglinde, also Lise Davidsen, dreht sich zum ersten und letzten Mal zum BILD um: als blickte sie in ein Atelier, in dem gerade eine gewaltige Fläche mit grünen, braunen und violetten Farbstreifen zu einer Komposition wird. Die Drehung erscheint plakativ, fast ist sie zu deutlich, aber als augenzwinkender Hinweis auf das, was da gerade im Wonnemond innerlich, aber auch äußerlich buchstäblich ausgemalt wurde, ist sie einfach: zauberhaft.

Fotos:

©Bayreuther Festspiele / Enrico Nawarath

Frank Piontek, 24.7. 2021