Bayreuth: „Parsifal“

Uwe Eric Laufenbergs

Ätherischer Abgesang an die Weltreligionen

Ein klein wenig hat diese Aufführung vor ihrer Absetzung zugunsten des „Rings“ im nächsten Jahr sich wohl selbst schon überlebt. Allerdings nur, wenn man von der einzigartigen politischen Brisanz und Dramatik der Flüchtlingsströme ausgeht, wie sie vor rund vier Jahren bestanden hat, als Uwe Eric Laufenberg diesen „Parsifal“ erstmals in Angriff genommen hat. Inzwischen haben sich die Wogen um die Merkel`sche Willkommenspolitik und deren Folgen weitgehend gelegt, sind andere Dinge inhaltlich in den Vordergrund gerückt. Im vierten und letzten Jahr erntete das „Parsifal“-Ensemble nichtsdestotrotz energischen Applaus, ja die Darbietung wurde vom Publikum im Bayreuther Festspielhaus geradezu gefeiert.

Vermutlich begründet sich die Begeisterung auch darin, dass die Entfremdung von den eigenen kulturellen wie religiösen Wurzeln eine zeitlos moderne Erfahrung ist. Besonders deutlich wird diese ziemlich unbequeme Thematik in der Laufenberg-Inszenierung schon im ersten Aufzug, welcher in eine ausgebombte christliche Kirche im Irak verlegt worden ist. Die wenig heimelige Szenerie wird für die dorthin Geflüchteten nur zur scheinbaren Zuflucht, denn schon wenig später werden sie rücksichtslos vertrieben. Und zwar zugunsten der Gralshüter, die in dem Gemäuer ihren Gottesdienst abhalten möchten: Eine heilige Feier, die zwar rund um einen unfassbar großen Gral abgehalten wird, aber letztlich doch nur eine Farce darstellt. Ganz deutlich wird die Entlarvung und Entwertung allen heiligen „Getus“ nochmals gegen Ende der mehr als vierstündigen Aufführung, wenn die einzelnen Vertreter der Weltreligionen deren Symbole in einen Sarg legen. Und damit allen überkommenen und überlieferten Glauben zu Grabe tragen. Es ist der Sarg des toten Titurel, des Gründers der Gralsritterschaft. So bleibt kein Zweifel daran, dass Richard Wagner zumindest stellenweise von den atheistischen Tendenzen seiner Zeit, des 19. Jahrhunderts, infiziert war. Die vormals heilsbringenden Ideologien haben ausgedient und erweisen sich nur mehr als als blasse, leere Hülsen.

Getreu diesem Ur- und Grundgedanken stellt diese Version des „Parsifal“ das eigentlich ätherische Grundgerüst der Oper auf ziemlich nüchterne Füße. Inhaltlich ein echt harter Tobak, an den die Bayreuth-Besucher sich im Lauf der Jahre jedoch gewöhnt zu haben scheinen. Gebannt erlebten sie mit, wie sich die Gralsritter rituell am Blut des durch einen Speer übel verletzten Amfortas guttun. Die Waffe schleuderte bekanntlich der böse Zauberer Klingsor, welcher eine Art frühes Disney-Gegenreich zur Gralsburg sein eigen nennt. Zu Klingsor, diesem Antagonisten des Heiligen und Guten, erklärte Regisseur Laufenberg gegenüber dem „Wiesbadener Kurier“: „Er pervertiert das Kreuz. Das Kreuz ist ja das Symbol des unendlichen Leidens von Jesus Christus und deswegen ein sehr schmerzhaftes Symbol – was man auch nicht einfach als Machtdemonstration benutzen sollte.“ So, wie Klingsor das verbotenerweise tut. Laufenberg führt diese Überlegung zu konkreter Kritik an den Vertretern der Religionen, welche oft ähnlich machtbesessen seien: „Die katholische Kirche hat … viele Leute verbrannt – schlimme Kriege in diesem Zeichen des Kreuzes geführt.“ Der Intendant des Wiesbadener Staatstheaters äußerte dazu weiter: „Aber deswegen sollte man die heutigen Kriege, auch wenn es nur ideologische sind, eben nicht mit diesem Zeichen führen. Denn (das Kreuz) steht für Barmherzigkeit, für Empathie, für Auf-den-anderen-Zugehen. Und nicht sich von dem anderen abgrenzen.“

Insofern gibt es dann doch einen tröstlichen Nachklang bei dieser Inszenierung. Das inhaltlich komplizierte, dreiaktige Stück war bekanntlich das letzte Bühnenwerk Wagners. Der leidenschaftliche Komponist arbeitete mit Unterbrechungen an dem Stück, was wohl auch auf die inhaltliche Komplexität zurückzuführen ist. Der Meister verstarb nur wenige Monate nach Vollendung seines von ihm selbst so genannten „Bühnenweihfestspiels“, welches er alleine und ausschließlich in Bayreuth aufgeführt wissen wollte. Das hat zwar nicht geklappt, aber Regisseure wie Laufenberg scheinen zumindest die Botschaft des religionskritischen „Parsifal“ verstanden und engagiert umgesetzt zu haben. Unterstützt wurde der 58-Jährige dabei von einem versierten Ensemble, das vom Publikum denn auch gebührend gefeiert wurde.

In erster Linie ist hier natürlich Andreas Schager zu nennen, welcher der Hauptfigur das passende stimmliche Gewicht verlieh – sehr sicher im Gesang über die gesamte Aufführung hinweg. Zudem erlebte man in Elena Pankratova eine herausragende, von der Kritik querbeet bewunderte Kundry. Vor allem die Spannweite der Stimme dieser Künstlerin überraschte positiv an diesem Abend. Auch schauspielerisch setzte die Russin, die ihre Ausbildung am Sankt Petersburger Konservatorium absolviert hat, zahlreiche beeindruckende Akzente. So meisterte sie sowohl die tief verschleierten, introvertierten wie auch die wollüstigen Szenen ihrer Bühnenrolle gleichermaßen gut. Man nahm Pankratova gleichermaßen Verzweiflung wie Verzückung ab. Der Amerikaner Ryan McKinny verlieh Amfortas seinen markanten Bassbariton; wie Wilhelm Schwinghammer als Titurel mühte er sich um eine weihevolle, dem rituellen Geschehen angepasste Intonation. Als aalglatter, teils ganz in Schwarz geschniegelter Klingsor betrat Derek Welton die Bühne. In einer Szene fallen zahlreiche Kruzifixe rings um ihn herum auf den Boden, ein weiterer Abgesang auf das (institutionalisierte) Christentum. Selbst in seiner Kleidung mischen sich die Religionen: Oben Christ, unten Moslem, eindeutig ist hier erkennbar nichts mehr. Der Österreicher Günther Groissböck schließlich beherrschte die Szene als hellwacher Gurnemanz, welcher mit seinem voll tönenden Bass die nötige Portion Pfeffer und Temperament in diese Inszenierung brachte.

Daniela Egert 10.9.2019

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