Aufführung am 24.1.20 (Premiere)
Überzeugendes Debüt
Eigentlich hatte ich mich, wie viele andere Opernliebhaber auch, gefragt, warum Luca Salsi, dessen Karriere derzeit einen Höhepunkt erreicht hat, bereits die Titelrolle in Verdis letztem Werk verkörpern wollte. Nach dieser Debütvorstellung war klar, warum, denn Salsi hatte nicht nur eine musikalische Interpretation von größter Sorgfalt für alle Zeichen und Vorschriften des Komponisten vorgelegt, sondern auch eine überzeugende Interpretation, in welcher Shakespeares Dickwanst einmal nicht als alter Tölpel jenseits von Gut und Böse gezeigt wird, sondern als Edelmann, der zwar seine finanziellen Probleme hat, aber sozusagen bis „gestern“ auch noch in der Fraktion der Ladykiller ernstzunehmen war. Daher kein billiges Augenzwinkern auf leicht zu erzielende Lacher und eine Interpretation des Monologs zur Eröffnung des 3. Akts, die durchaus als wegweisend gesehen werden darf. Ein geradezu kindliches Erstaunen über das, was ihm widerfahren ist, kennzeichnet seine Worte, die Bitte um „un bicchier di vin caldo“ ist richtiggehend rührend. Dazu kommt als Selbstverständlichkeit, dass unser Bariton an den wenigen Stellen, wo ihn Verdi richtig aufdrehen lässt, natürlich eine Freude war. Es spricht für die Klugheit des Künstlers, die Rolle an kleineren Häusern (es gibt auch Vorstellungen in Modena und Reggio Emilia), aber gleichzeitig in den terre verdiane debütiert zu haben.
Falstaff ist natürlich keine Figur, die sofort unabänderlich vor uns steht. Man darf sich auf weitere Vertiefungen und Nuancen freuen, wenn man noch dazu bedenkt, dass der Regisseur Leonardo Lidi nicht viel zu einer weiteren Charakterisierung beigetragen haben dürfte. Lidi kommt vom Sprechtheater und hatte sich für seine erste Opernregie nicht unbedingt das einfachste Werk ausgesucht. Im Bühnenbild von Emanuele Sinisi, das mit seinen kaum angedeuteten Schauplätzen einmal mehr nachwies, wie schlecht die Finanzlage der italienischen Opernhäuser ist, bediente er sich vierer Mimen, die einerseits eine große Hilfe bei den minimalen Veränderungen der Szene, etwa durch das Verschieben von Bänken, waren, andererseits als zeitweilige Verdopplung der Figuren eher störend wirkten. Ihr großer Auftritt kam allerdings im letzten Bild, als sie die Angriffe auf Falstaff überzeugend mimten, während dieser mit Augenbinde hilflos auf seinem Stuhl saß. Dass die Mimen teilweise mit Röcken als Mägde, teilweise in Strumpfhosen gekleidet waren (Kostüme: Valeria Donata Bettella), mag ein kleiner Hinweis auf Shakespeares Zeiten sein, als alle Frauenrollen von Männern interpretiert wurden. Die Kostüme der Solisten entsprachen dem Geschmack zu Beginn des 17. Jahrhunderts.
Die musikalische Umsetzung litt unter einer unentschlossen klingenden Leitung von Jordi Bernàcer, dem es nicht gelang, dem Orchestra dell’Emilia-Romagna Arturo Toscanini mehr als korrekte Töne zu entlocken, sodass die vielen Farben der Partitur nicht ausgelotet wurden. Vladimir Stoyanov erwies sich in der Rolle des vermeintlich gehörnten Ford einmal mehr als stimmlich sicher, aber in Hinsicht auf Persönlichkeit schwach. (Kann sich jemand unserer Leser noch erinnern, was Rolando Panerai aus der Figur gemacht hat?). Alice Ford wurde von Serena Gamberoni als pikante junge Ehefrau gezeichnet; ihrer anständigen stimmlichen Leistung fehlte ein wenig Durchschlagskraft. Diese besaß Giuliana Gianfaldoni als ihre Tochter Nannetta, die durch unglückliche Kostümierung und Perücke älter als ihre Mutter aussah, aber schöne, reine Soprantöne hören ließ. Ihr Fenton Marco Ciaponi klang ein wenig über das Fach des lirico-leggero hinausgewachsen, sang aber gut. Sehr amüsant und stimmlich untadelig waren Marcello Nardis (Bardolfo) und Graziano Dallavalle (Pistola).
Entsprechend schneidend klang Luca Casalin als aufgebrachter Dottor Cajus. Rossana Rinaldi tat als Quickly, was sie konnte, aber die tiefen Noten im Altregister standen ihrem Mezzo nicht zur Verfügung. Als Meg fügte sich Florentina Soare gut ins Geschehen. Untadelig wie immer der von Corrado Casati einstudierte Chor des Hauses.
Großer Jubel für alle, triumphaler Beifall für Salsi.
Eva Pleus 28.1.20
Bilder: Gianni Cravedi und Mirella Verile